Ein problematisches Geschäftsmodell: Manager globaler Wertschöpfungsketten

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Neben inexistenten Gesetzen und der mangelhaften Durchsetzung können auch die Geschäftsmodelle von Agrarhändlern selbst zu Verletzungen der Menschenrechte in den Produktionsländern führen. Mit der zunehmenden Verlagerung der Trader in den Anbau von Agrarrohstoffen entstehen auch direktere Geschäftsbeziehungen zwischen mächtigen Unternehmen und schwach organisierten Arbeitenden, die oft alles andere als fair sind. Unternehmen tragen jedoch ebenfalls eine Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte und dürfen das Versagen von Staaten, ihrerseits die Menschenrechte zu garantieren nicht nutzen, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
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Die Tatsache, dass zahlreiche Agrarhändler heute als Manager globaler Wertschöpfungsketten fungieren, ermöglicht es ihnen, grossen Einfluss auf weite Teile der Wertschöpfungsketten auszuüben. Dies gilt auch für die kleineren und weniger dominanten Akteure. Agrarrohstoffhändler dringen in den Anbau von Agrarrohstoffen vor und können so Einfluss über diese Stufe der Wertschöpfungskette ausüben. Direktere Verbindungen zwischen einflussreichen globalen Unternehmen und schwach organisierten Kleinbäuerinnen und Arbeitenden mit geringer Verhandlungsmacht führen selten zu fairen Geschäftsbeziehungen. Statt den Produzierenden einen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern, kann diese Beziehung zu Abhängigkeiten und Ausbeutung führen.

Das Geschäftsmodell der Händler ist im Gegensatz zu dem der Kleinproduzierenden darauf ausgerichtet, flexibel auf Geschäftsrisiken zu reagieren. Beispielsweise werden Preisrisiken abgesichert, so dass sich Händler gegen übermässige Preisschwankungen «schützen» können. Die meisten Kleinbauern hingegen sind nicht in der Lage, sich auf diese Weise abzusichern. Stattdessen sind sie Preisschwankungen und den oft sehr niedrigen Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt direkt ausgesetzt, mit wenig oder keinen Möglichkeiten, solche Risiken zu mindern oder bessere Preise auszuhandeln.

Neben dem Preisrisiko tragen Kleinproduzierende auch direkt klimatische und andere produktionsbezogene Risiken. Diese Risiken haben meist einen weitaus existenzielleren Einfluss auf ihre Lebensgrundlage als auf die der mächtigen Händler, die oft in der Lage sind, ihre Rohstoffe andernorts zu beschaffen. Im Gegensatz dazu bleiben Kleinbauern und Arbeiterinnen durch den Mangel an alternativen Abnehmern, fehlende Flexibilität oder Möglichkeiten zur Steigerung ihrer Wertschöpfung oft in ausbeuterischen Beziehungen gefangen. Typischerweise erhalten Kleinproduzierende den geringsten Anteil am gesamten, entlang der Wertschöpfungskette generierten Mehrwert. Und dieser Anteil sinkt immer weiter. Eine Studie von Oxfam aus dem Jahr 2019 zeigt: «Der Anteil der Produzierenden am Endverbraucherpreis für Lebensmittel ist seit 1995 sogar um 13% gesunken; die Supermärkte haben den grössten Teil des gestiegenen Mehrwerts verbucht. Aber auch für andere, weniger bekannte aber mächtige Akteure ist der Anteil leicht gestiegen: die globalen Händler, die sich auf den Anbau, die Verarbeitung und den Handel mit Agrarrohstoffen spezialisiert haben». Der Mangel an zuverlässigem Marktzugang und transparenter Marktinformation sowie meist informelle und befristete Beschäftigungsverhältnisse schwächen die Position von Kleinproduzenten und Arbeiterinnen weiter.

Machtungleichgewicht schwächt Produzierende

Der Hauptgrund, warum Kleinproduzierende und Arbeiterinnen Risiken kaum minimieren können und nicht in der Lage sind, bessere Bedingungen auszuhandeln, liegt an der ungleichen Machverteilung entlang globaler Wertschöpfungsketten, die es ihnen schwer macht, ihre Interessen zu vertreten. Der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, bestätigt dies betreffend des Vertragsanbaus: «Die Art und Weise, wie die Preise festgelegt werden, die Abzüge für die Bereitstellung von Vorleistungen, die Bedingungen, unter denen der Vertrag gekündigt werden kann, und die Art und Weise, wie die Qualitätseinstufung der Produkte vorgenommen wird, sind alles Bereiche, in denen Vertragsklauseln stark zugunsten des Käufers verzerrt sein können.»

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Eine effektive Organisation der Kleinproduzenten und Arbeiterinnen wäre ein Weg, um dieses Ungleichgewicht der Machtverhältnisse zu bekämpfen. Im Vergleich zu anderen Branchen ist der Organisationsgrad in Bezug auf Arbeitnehmerverbände oder Gewerkschaften im Agrarsektor jedoch gemäss ILO am niedrigsten: «Geschätzt weniger als 10 Prozent der weltweit beschäftigten Landarbeiterinnen sind organisiert und in Gewerkschaften oder ländlichen Arbeitnehmerorganisationen vertreten.»

Mangelnde Unterstützung durch die Politik, eine weit verbreitete gewerkschaftsfeindliche Einstellung, die Saisonalität vieler landwirtschaftlicher Arbeiten und die manchmal abgelegenen und weit verstreuten Produktionsstandorte erschweren die Organisierung zusätzlich.

Ohne einen zuverlässigen und transparenten Marktzugang, ausreichende Ressourcen und Flexibilität und somit eine gestärkte Verhandlungsposition sind weder Kleinbauern noch Arbeiterinnen in der Lage, für ihre Rechte einzutreten, sich ausbeuterischen Bedingungen zu entziehen oder einen grösseren Anteil am Einzelhandelspreis der Endprodukte einzufordern.

Agrarhändler hingegen können ihre Machtpositionen ausnutzen und missbrauchen. Auch wenn dies oft legal ist, ist es illegitim und unfair, da dies oft gegen grundlegende Menschenrechte verstösst. Beispielsweise, wenn die an die Produzierenden gezahlten Preise so niedrig sind, dass ein existenzsicherndes Einkommen und/oder ein Existenzlohn nicht mehr möglich ist.

Nach den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business and Human Rights - UNGP) ist es in erster Linie die Pflicht der Staaten, die Menschenrechte ihrer Bevölkerungen zu schützen und zu gewährleisten. Allerdings tragen Unternehmen eine eigenständige Verantwortung. Die Leitprinzipien besagen: «Die Verantwortung, die Menschenrechte zu achten, ist ein globaler Standard für das von allen Wirtschaftsunternehmen erwartete Verhalten, wo immer sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben. Sie besteht unabhängig von der Fähigkeit und/oder Bereitschaft der Staaten, ihre eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, und schmälert diese Verpflichtungen nicht. Sie geht über die Einhaltung nationaler Gesetze und Vorschriften zum Schutz der Menschenrechte hinaus.»

Anders ausgedrückt, Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie die Menschenrechte respektieren, wo immer sie tätig sind, unabhängig von der Fähigkeit oder Bereitschaft des Staates, dies selbst zu tun.

Daher dürfen Rohstoffhändler oder andere Unternehmen schwache oder fehlende Regelungen nicht ausnutzen, wenn dies die Einhaltung der Menschenrechte beinträchtigt. Leider tun sie das aber allzu oft.