Ein Gesetz gegen die Wild-West-Handelspolitik
12. Dezember 2025
Ein Palmenhain vor einem historischen Palast im brasilianischen Rio de Janeiro. Nach getaner Arbeit posiert Guy Parmelin Seite an Seite mit anderen Handelsministern Mitte September 2025 für den neuesten Handelscoup: Soeben hat er für die Schweiz das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay unterschrieben. In der allgemeinen Zufriedenheit geht vergessen, wer die Leidtragenden dieses Handelsvertrags sind: der Amazonas-Regenwald und die indigene Bevölkerung.
Das müsste nicht so sein: Vor zwei Jahren hat Public Eye in einem umfassenden Bericht dargelegt, wie eine Aussenwirtschaftspolitik im Einklang mit den Zielen der Nachhaltigen Entwicklung aussehen könnte. Dazu braucht es ein Umdenken – und eine umfassende, gesetzliche Grundlage. Mit Blick auf die zuletzt abgeschlossenen Verträge und die aktuell laufenden Verhandlungen mit den USA und China erklären wir in fünf Beispielen, wo ein umfassendes Aussenwirtschaftsgesetz (AWG) korrigierend ansetzen müsste.
Hinschauen bei Menschenrechten
Dauerüberwachung, kulturelle Unterdrückung, Zwangsarbeit. Trotz des Wissens um die miserable Situation in China steht im vor zwölf Jahren abgeschlossenen Freihandelsabkommen mit der Schweiz kein einziges Mal das Wort «Menschenrechte». Auch die Arbeitsrechte fehlen, sie wurden in einem Nebenvertrag versteckt. Dieser enthält keinerlei Verpflichtungen und ist daher völlig unzureichend, um der prekären Menschenrechtssituation in China zu begegnen. Aktuell verhandelt der Bundesrat an einer Erneuerung des Abkommens, wobei sich die Geschichte zu wiederholen droht. Entgegen allen Warnungen spielen Menschenrechte als Ganzes wieder keine Rolle und China wehrt sich in den Verhandlungen vehement, internationale Arbeitsnormen ins Abkommen aufzunehmen.
Die Schweiz muss hier eine rote Linie ziehen. Der Bundesrat soll Grundsätze bei Menschen- und Arbeitsrechten sowie Umweltstandards in Handelsabkommen voraussetzen. Verstösse der Vertragspartner müssen rechtsverbindlich sanktioniert werden können.
Schluss mit Hinterzimmer-Deals
Konzernbosse überreichten im November 2025 dem Präsidenten der Vereinigten Staaten eine Tischuhr und einen Goldbarren im Wert von über 100’000 Franken. Damit dürften sie nicht nur in den Verhandlungen, sondern vor allem auch ihren Geschäften mit den USA neuen Schwung verliehen haben. Wie alle anderen lesen auch Parlamentarier*innen davon erst in der Zeitung. Darum bleiben vorerst viele Fragen ungeklärt, beispielsweise welche vertraulichen Details die Verwaltungsräte und CEOs von der Verwaltung erhalten haben oder ob das Vorgehen gar strafrechtlich relevant ist. In der «verhandelten» Absichtserklärung macht die Schweiz den USA grosse Zugeständnisse. Es ist höchst fraglich, ob die Bevölkerung bereit ist, einen solch undemokratischen Konzern-Deal durchzuwinken.
Es muss Licht ins Hinterzimmer. Das Parlament soll laufend und unmittelbar über den Inhalt der Verhandlungen und das Vorgehen der Verwaltung informiert werden. Nur so kann dieses seine wichtige Kontrollfunktion über den Bundesrat wahrnehmen.
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Doug Mills/The New York Times/Redux/laif
Wer bezahlt die Rechnung?
Jeder Handelsvertrag hat seinen Preis. Häufig bezahlen ihn die Bevölkerung und die Natur. Damit die Folgen wichtiger Abkommen abschätzbar werden, fordert das Parlament seit zehn Jahren vom Bundesrat, dass er frühzeitig Nachhaltigkeitsstudien durchführt. So würde klar, welche potenziellen Risiken mit den Abkommen verbunden sind und welche Schutzbestimmungen im Vertrag ergänzt werden sollten, um diesen zu begegnen. Doch bis heute kommen diese Analysen zu spät. Beim umstrittenen Mercosur-Abkommen liegt die versprochene Sozialstudie auch Monate nach Unterzeichnung noch nicht vor. Im fertigen Abkommen fehlt ein starker Schutz der Indigenenrechte und des Regenwaldes.
Alle Fakten müssen auf den Tisch. Der Bundesrat muss nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und ökologische Folgen umfassend darlegen. Nur wenn die wahren Vorteile und Kosten der Handelsabkommen klar werden, können Parlament und Bevölkerung informierter darüber debattieren.
Schluss mit schädlichen Konzernklauseln
Die Schweiz verfügt über ein Köfferchen voll mit handelspolitischen Interventionen zugunsten der Pharmaindustrie. Mittel der Wahl ist meist ein unverhältnismässig starker Schutz von geistigen Eigentumsrechten, die den Zugang zu Medikamenten bedrohen und die Preise verteuern können. Manchmal reicht ein einziges Wort, um internationale Vereinbarungen zum Schutz des Rechts auf Gesundheit zu umgehen. Auch für Saatgutkonzerne haben die Beamten ein Werkzeug im Schuppen. Für deren Interessen will sie andere Länder auf Spielregeln verpflichten, die hierzulande nicht gelten. Mit dieser absurden Forderung untergräbt die Schweiz das Recht auf den freien Tausch mit Saatgut. Nicht nur ins Abkommen mit Indien, sondern auch ins neue Abkommen mit Malaysia haben sich solche Konzernklauseln eingeschlichen. In beiden Ländern kritisieren dies lokale Nichtregierungsorganisationen heftig.
Es braucht ein Ende dieser konzernfreundlichen Doppelstandards. Einheitliche Verhandlungsmandate würden multilaterale Abkommen stärken und Menschenrechte schützen.
Klarheit statt Gewohnheitsrecht
In der Schweizer Handelspolitik gilt eine Art Gewohnheitsrecht, der Bundesrat kann oft nach Gutdünken vorgehen. Nichts veranschaulicht dies besser als die Frage, ob Handelsverträge dem Referendum unterstellt sind. Noch 2014 löste Bundesbern mit dem Entscheid, das Abkommen mit China nicht dem Referendum zu unterstellen, grosse Entrüstung aus. Seitdem war bei wichtigen Verträgen das fakultative Referendum zwar möglich, trotzdem ist das Vorgehen weiterhin nicht gesetzlich geregelt. So blieb auch bei Abschluss der Absichtserklärung mit den USA im November zunächst unklar, ob ein möglicher Vertrag dem Referendum unterstellt wäre. Erst in einem Radiointerview beteuerte Vizebundespräsident Parmelin, dass dies der Fall sei. Diese Rechtsunsicherheit ist der modernen Schweiz unwürdig.
Schluss mit der Willkür: Alle wichtigen Handelsabkommen müssen per Gesetz dem fakultativen Referendum unterstehen. Durch feste Rahmenbedingungen für Verhandlungen, Abschluss und Umsetzung wird die Aussenwirtschaftspolitik transparenter und demokratischer.
Die Schweiz spielt in der Handelspolitik mit den ganz Grossen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Nur eine klare gesetzliche Grundlage stellt dabei sicher, dass demokratische Werte nicht für ein schnelles Geschäft korrumpiert werden. Weltweit kommen Menschenrechte, Klima und Biodiversität immer stärker unter Druck. Dagegen muss die Schweiz mit jedem Mittel kämpfen – auch mit der Aussenwirtschaftspolitik.