Nestlé In Afrika verkauft Nestlé weiterhin Babynahrung mit viel zugesetztem Zucker
Laurent Gaberell, 18. November 2025
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Letztes Jahr haben wir die Doppelmoral von Nestlé in Bezug auf zugesetzten Zucker in Babynahrung aufgedeckt. Unser Bericht löste weltweit Empörung aus. In Indien, dem wichtigsten Markt für Babygetreidebrei des Lebensmittelkonzerns, führte der Skandal zu einem Kurseinbruch der Nestlé-Aktie. Dort kündigte der Konzern in der Folge die Einführung von 14 neuen Cerelac-Produkten ohne Zuckerzusatz an. Eine gute Nachricht für Millionen von Kleinkindern.
Aber ist Nestlé auch in anderen Regionen der Welt bereit, auf die Kritik einzugehen? Die neue Recherche von Public Eye konzentriert sich auf Afrika, einen Schlüsselmarkt für den Schweizer Konzern und eine Region, in der Fettleibigkeit für das Gesundheitswesen ein grosses Problem darstellt.
Nestlé bewirbt die Cerelac-Getreidebreie dort als «speziell entwickelt, um die Ernährungsbedürfnisse von Babys zu erfüllen». Die Marke ist in Afrika äusserst beliebt: Laut der Datenanalysefirma Euromonitor, die auf die Lebensmittelindustrie spezialisiert ist, erzielt Nestlé damit auf dem Kontinent einen Jahresumsatz von über 200 Millionen Schweizer Franken und kontrolliert mehr als 50% des Marktes.
Auf der Spur des Zuckers
Mit der Unterstützung mehrerer afrikanischer Partnerorganisationen aus der Zivilgesellschaft haben wir rund 100 Cerelac-Produkte aus 20 afrikanischen Ländern eingekauft, um sie von einem auf Lebensmittel spezialisierten Referenzlabor analysieren zu lassen. Das Ergebnis: Mehr als 90% davon enthalten hohe Mengen an zugesetztem Zucker.
Anders in der Schweiz: Hier verkauft Nestlé die vergleichbaren Produkte ohne Zuckerzusatz. Auf den wichtigsten europäischen Märkten wie Deutschland und Grossbritannien, wo Nestlé Getreidebrei der Marke Cerelac vertreibt, enthalten alle Produkte für Babys ab sechs Monaten ebenfalls keinen zugesetzten Zucker.
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Laurent Gaberell
Gegen diese inakzeptable Doppelmoral wehren sich verschiedene afrikanische zivilgesellschaftliche Organisationen. Sie fordern, dass Nestlé die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einhält und weltweit auf den Zusatz von Zucker in Babynahrung verzichtet.
In einem offenen Brief fordern 20 Organisationen aus Benin, Burundi , Elfenbeinküste, Kamerun, Marokko, Mosambik, Namibia, Nigeria, Senegal, Simbabwe, Südafrika, Togo und Tunesien den Schweizer Lebensmittelkonzern auf, jeglichen Zusatz von Zucker in Säuglingsnahrung unverzüglich einzustellen.
„Alle Babys haben das gleiche Recht auf gesunde Ernährung – unabhängig von ihrer Herkunft oder Hautfarbe. Tun Sie das Richtige. Nicht nächstes Jahr, nicht morgen, sondern jetzt. Die Welt schaut zu», warnen sie.
2024 hatten mehr als 105'000 Personen unsere Petition gegen Nestlés Doppelmoral unterschrieben. Doch bis heute ignoriert der Konzern diese Forderungen.
Bis zu knapp zwei Zuckerwürfel
Im Durchschnitt enthält jede untersuchte Portion Cerelac beinahe sechs Gramm zugesetzten Zucker, was etwa anderthalb Würfeln entspricht. Das sind 50% mehr als der Durchschnitt der Produkte, die wir in unserer ersten Recherche von April 2024 analysiert haben. Die damalige Analyse fokussierte primär auf Produkte aus Asien und Lateinamerika. Der aktuell in Afrika erhobene Durchschnittswert von 5,5 Gramm ist doppelt so hoch wie jener in Indien, der dort im Frühling 2024 für Empörung gesorgt hatte.
Die grösste Menge – 7,5 Gramm oder fast zwei Zuckerwürfel – fanden wir in einem Cerelac-Produkt für sechs Monate alte Babys, das in Kenia verkauft wird. Insgesamt enthalten Getreidebreie in sieben afrikanischen Ländern mindestens sieben Gramm Zucker pro Portion.
Eine weitere aufschlussreiche Tatsache: Mit Ausnahme von zwei kürzlich in Südafrika eingeführten Varianten hat Nestlé alle von uns gefundenen Produkte ohne Zuckerzusatz nicht für den afrikanischen Markt produziert. Händler hatten sie aus Europa importiert.
«Diese Verkaufspraxis spiegelt eine lange Geschichte von Kolonialismus, Ausbeutung und Rassismus wider», kommentiert Lori Lake, Professorin an der Universität Kapstadt in Südafrika. In diesem Land hat Public Eye Mütter in benachteiligten, ländlichen Gebieten getroffen, die Cerelac verwenden. «Man erhält das Gefühl, Nestlé würde in Afrika wissentlich die Verbreitung von Fettleibigkeit und ernährungsbedingten Krankheiten fördern.»
Gravierende Folgen für die öffentliche Gesundheit
Die WHO warnt seit Jahrzehnten, dass eine frühe Exposition gegenüber Zucker eine dauerhafte Vorliebe dafür schaffen und das Risiko für Fettleibigkeit erhöhen kann. Fettleibigkeit nimmt in Afrika in alarmierendem Tempo zu und führt zu einer exponentiellen Zunahme von Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Auch in Afrika wächst die Sorge um die Fettleibigkeit bei Kindern, denn die Anzahl der übergewichtigen Kinder unter fünf Jahren hat sich seit 1990 beinahe verdoppelt. Die meisten afrikanischen Länder sind heute gleich doppelt von Mangelernährung betroffen: Untergewicht und Fettleibigkeit existieren Seite an Seite.
Die Fettleibigkeit belastet die Gesundheitssysteme bereits heute massiv. Sollten bisherige Trends anhalten, könnte die Prävalenz von Adipositas auf dem afrikanischen Kontinent bis 2050 um mehr als 250% ansteigen. Jede zweite erwachsene Person wäre von Übergewicht oder Fettleibigkeit betroffen.
Auch Nestlé kennt diese Risiken. «Kinder können sich an süsses Essen gewöhnen», schreibt der Konzern auf einer Internetseite für südafrikanische Eltern. «Ein hoher Zuckerkonsum ist bei Kindern mit kurz- und langfristigen Risiken verbunden.» Daher sei es «am besten, den Konsum aller zugesetzten Zucker einzuschränken.»
Trotzdem fügt Nestlé den meisten seiner Baby-Getreidebreie in Afrika Zucker zu.
«Wir täuschen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht»
Bei zwei Dritteln der untersuchten Produkte ist die Menge an zugesetztem Zucker nicht einmal auf der Verpackung angegeben. Diese Intransparenz schadet der Bevölkerung und der öffentlichen Gesundheit, betont Chiso Ndukwe-Okafor, Leiterin der nigerianischen Konsumentenschutzorganisation Cadef: «Eltern müssen über klare und korrekte Informationen verfügen, um sichere Entscheidungen für ihre Kinder treffen zu können.»
Mit einem Jahresumsatz von über 50 Millionen Franken ist Nigeria vor Südafrika der wichtigste Markt für Cerelac auf dem afrikanischen Kontinent. Cadef fordet von Nestlé, sich «an die WHO-Richtlinien zu halten» und zugesetzten Zucker aus allen seinen Babyprodukten zu entfernen.
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James Oatway / Panos
Gegenüber Public Eye bekräftigt Nestlé, «einen einheitlichen Ansatz in Sachen Ernährung für alle Babys weltweit» zu verfolgen. Der Konzern erklärt, die Einführung von Cerelac-Produkten ohne Zuckerzusatz weltweit und auch in Afrika beschleunigt zu haben. «Bis Ende 2025 wollen wir in allen unseren Märkten Varianten ohne Zuckerzusatz anbieten.»
Nestlé erklärt, nationale Gesetzgebung einzuhalten und dass interne Richtlinien eine Obergrenze für zugesetzten Zucker vorsehen, die weit unter den Standards der UNO-Kommission Codex Alimentarius liegt. Der Konzern ergänzt, dass er den Gehalt an zugesetztem Zucker transparent und im Einklang mit lokalen Vorschriften deklariere. «Wir täuschen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht.»
«Getarnt als Mitgefühl»
Trotzdem bewirbt Nestlé die Marke Cerelac als «speziell entwickelt», um die Ernährungsbedürfnisse von Babys zu erfüllen und ein «optimales Niveau» von Vitaminen und Mineralstoffen für Wachstum und Entwicklung zu bieten. Der Konzern spricht Eltern auf sozialen Medien und im Internet gezielt an, nicht immer wird klar ersichtlich, dass es sich um Werbung handelt.
Nestlé richtet sich auch an Angestellte im Gesundheitswesen, beispielsweise mit seinem «Nestlé Nutrition Institute». Erklärtes Ziel dieser Plattform ist, «neueste wissenschafts-basierte Informationen und Erkenntnisse zu teilen». Der Konzern nutzt das Institut, um sein Image aufzupolieren und seinen Einfluss zu stärken.
«Wir sehen hier unglaublich viel Werbung von Nestlé, oftmals ist sie getarnt als Mitgefühl», erzählt Petronell Kruger von der zivilgesellschaftlichen Allianz für gesundes Leben (Heala) in Südafrika. «Dies führt dazu, dass die meisten Menschen Cerelac als gesundes, beinahe medizinisches Produkt wahrnehmen, das die Entwicklung ihrer Kinder fördert.»
Petronell Kruger ist empört über die «offensichtlich rassistische Entscheidung, einkommensärmere Länder mit minderwertigen Lebensmitteln zu versorgen». Sie rät Nestlé: «Behandeln Sie afrikanische Babys so, wie Sie Kinder in Ihrer eigenen Familie behandeln würden.»
«Bekämpfung von Mangelernährung»
Nestlé zögert nicht zu behaupten, dass seine mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherten Cerelac-Produkte unerlässlich sind, «um die Mangelernährung zu bekämpfen». Insbesondere in Afrika, wo «Millionen von Kindern unter Mikronährstoffmangel leiden».
In Côte d’Ivoire kritisiert der Konsumentenschutzverband das «irreführende» Marketing von Nestlé, das «die Gesundheit von Kleinkindern gefährdet». Er sei «empört» darüber, dass die im Land verkauften Cerelac-Produkte mehr als 6 Gramm Zuckerzusatz pro Portion enthalten, während die gleichen Produkte in der Schweiz und in Europa ohne Zuckerzusatz sind.
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James Oatway / Panos
Auch Sara Jewett, Professorin an der Universität Witwatersrand in Südafrika, überzeugen die Marketingargumente von Nestlé nicht. «Die Anreicherung von Lebensmitteln dient der Bekämpfung von Mangelernährung. Doch wir müssen die Produkte als Ganzes betrachten: Wenn die Anreicherung mit süchtig machendem und schädlichem Zucker einhergeht, scheint das Gleichgewicht nicht zu stimmen.»
Für sie zeigen die von Public Eye aufgedeckten Fakten, dass «Nestlé im Namen des Profits eine lange Tradition der Missachtung der Gesundheit von Babys in Afrika fortsetzt».