Das BAG gewährt immer mehr Geheimrabatte – ohne eigentliche Rechtsgrundlage

Mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes versuchte Public Eye herauszufinden, ob die Medikamentenrabatte bei Preismodellen bereits geheim sind, obwohl es dafür noch keine Gesetzesgrundlage gibt. Die geforderten offiziellen Dokumente zu zehn Krebsmedikamenten hat uns das Bundesamt für Gesundheit zwar ausgehändigt; doch zahlreiche Stellen sind geschwärzt, darunter die Rabatte. Die Schwärzungen sind unbegründet, wie der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte bestätigt, bei dem Public Eye eine Schlichtung beantragt hat. Für Public Eye ist deshalb klar: Mit der Verweigerung der Einsicht in Höhe, Berechnung und Modalitäten der Rabatte handelt das BAG gesetzeswidrig.
Ausschnitte aus den geschwärzten Dokumenten. Mehr Details unten in der Bildergallerie.

Auf Grundlage des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) hat Public Eye im Januar 2022 beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein formelles Gesuch eingereicht, um Zugang zu den Entscheiden (Verfügungen) über die Aufnahme in die Spezialitätenliste (SL) sowie mögliche Limitierungen von zehn der teuersten Krebsmedikamente der Schweiz zu erhalten (siehe Liste am Ende dieses Artikels). Die SL listet alle Medikamente auf, die von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen werden.

Für alle zehn Krebsmedikamente gibt es sogenannte «Preismodelle»: Vereinbarungen zwischen dem BAG und den Pharmaunternehmen, die die Modalitäten der Aufnahme von Medikamenten in die Spezialitätenliste (Preis, Rabatt, Menge, Erfordernis zusätzlicher Studien) festlegen, damit die Behandlung von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen wird. Die laufende Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG), die der Bundesrat im September 2022 veranlasst hat, zielt vor allem darauf ab, diese Preismodelle zu legalisieren (neuer Artikel 52b), ausserdem sollen einige davon vom Geltungsbereich des BGÖ ausgeschlossen werden (neuer Artikel 52c), sodass man auch mit einer Anfrage über das Öffentlichkeitsgesetz keine Chance mehr hätte, die wirklichen Medikamentenpreise zu kennen.

Es dauerte über ein Jahr, von Januar 2022 bis Februar 2023, bis wir die angeforderten Dokumente (in mehreren Lieferungen lang) erhalten haben. Ausstehend ist Mekinist, ein Medikament zur Melanombehandlung, da Novartis den jüngsten Entscheid des BAG dazu angefochten hat.

Willkürliche und unbegründete Schwärzungen

Alle Informationen zur Höhe, der Berechnung und den Modalitäten von Rückerstattungen (oder Rabatte) für Arzneimittel mit Preismodellen wurden systematisch geschwärzt. Im Gegensatz zu früheren, ähnlichen Gesuchen wurden teilweise auch andere Informationen abgedeckt, die nichts mit den Rabatten zu tun haben, z.B. das Datum der Übermittlung des Dossiers an die Eidgenössische Arzneimittelkommission, die Patentnummer(n) oder von ausländischen Institutionen durchgeführte Bewertungen der Produktewirksamkeit.

Hier sind einige der geschwärzten Stellen (die Links zum Herunterladen der vollständigen offiziellen Dokumente sind in der Tabelle weiter unten aufgeführt):

Aufgrund der massiven Schwärzungen kann unmöglich eruiert werden, wie viel die Krankenversicherungen für diese Krebsmedikamente in der Schweiz tatsächlich bezahlen (nach Abzug der Rabatte). Deshalb hat Public Eye beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) eine Schlichtung beantragt, wie es das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) vorsieht. Im Dezember 2022 fand in Bern eine Sitzung mit allen Parteien statt, gefolgt von einer schriftlichen Fortführung.

Zur Stellungnahme von Public Eye

Das BAG widerspricht dem Bundesrat

Der Bundesrat hatte sich in seiner Botschaft vom 7. September 2022 zur Änderung des KVG (2. Massnahmenpaket zur Kostendämpfung), die unter anderem die Legalisierung von Geheimrabatten durch deren Ausschluss aus dem BGÖ zum Ziel hat, unmissverständlich geäussert: «Eine gesetzliche Regelung ist unabdingbar, weil die Anwendung von vertraulichen Preismodellen ansonsten nicht möglich ist (…)». Mit seinem Vorschlag einer KVG-Änderung räumt der Bundesrat ausdrücklich ein, dass Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rabatten derzeit nicht unter die in Artikel 7 BGÖ aufgeführten Ausnahmen fallen.

Unser Gesuch zeigt jedoch, dass das BAG diese geheimen Rabatte bereits anwendet. Mehr noch: Es verwehrt jeglichen Zugang zu Informationen über Höhe, Berechnung und Modalitäten von Rückerstattungen (bzw. Rabatte) – und zwar unter Berufung auf ebendiese Ausnahmen.

Laut der Argumentation des Bundesrates handelt das BAG also illegal.

Boomende Praxis

In der Schweiz boomen solche Preismodelle seit einigen Jahren: Von knapp 20 im Januar 2019 stieg die Zahl bis Januar 2022 auf über 100 Preismodelle für 79 Produkte auf der Spezialitätenliste (SL) – also fünfmal so viele. 2019 war die Höhe aller Rabatte in der öffentlichen SL-Datenbank aufgeführt. Drei Jahre später waren 42 Medikamente mit Preismodellen (also mehr als die Hälfte) Gegenstand von geheimen Rabatten.

Seit dem Gesuch von Public Eye wurde diese Praxis weiter ausgedehnt, wie die untenstehende Grafik zeigt. Im April 2023 findet man auf der SL fast 160 Preismodelle für 111 Produkte, davon 64 (58%) mit Geheimrabatt.

Immer mehr Medikamente unter Preismodell mit Geheimrabatten

Das BAG handelt also immer mehr vertrauliche Preismodelle aus, obwohl das KVG noch nicht revidiert wurde. Es agiert, als hätte das Parlament die – für die Anwendung von Preismodellen laut Bundesrat «unabdingbare» – neue Gesetzesgrundlage bereits angenommen. Damit hat die Bevölkerung keinerlei demokratische Kontrolle, zahlt aber sehr wohl die Schlussrechnung. Das Öffentlichkeitsprinzip fällt Wirtschaftsinteressen zum Opfer, was einen gefährlichen Präzedenzfall im Sozialversicherungswesen schafft.

Empfehlung des Datenschutzbeauftragten gibt uns Recht

Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) bestätigt, dass es keine gesetzliche Grundlage gibt für Preismodelle mit Geheimrabatten, und dass die vom BAG gemachten Schwärzungen unbegründet sind - es müsste Public Eye Zugang zu allen beantragten Dokumenten gewähren. Anstatt als «Massnahme» zur Kostendämpfung die Legalisierung solcher Geheimdeals vorzuschlagen, muss das Parlament im öffentlichen Interesse der Pharmaindustrie und ihrer Lobby die Stirn bieten und die Geheimhaltung von Medikamentenpreisen verhindern.