Nachgefragt: Wie fair sind Schweizer Modefirmen in der Covid-19-Krise?

Die Antworten der Firmen auf unsere Umfrage zeigen erhebliche Lücken beim Schutz der Beschäftigten in der Lieferkette, und dass – abgesehen von einer Ausnahme – diese ihre Verantwortung in der Krise nicht genügend wahrnehmen.

In der Pandemie ist die Nachfrage nach Kleidung zurückgegangen. Einige Modefirmen und Detailhändler haben deshalb Bestellungen storniert - selbst für Ware, bei der die Produktion bereits angelaufen oder die gar schon fertig versandbereit war. Solche Stornierungen haben schwerwiegende finanzielle Auswirkungen und führen in vielen Fällen dazu, dass Lieferanten Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen und Löhne kürzen.

Wir haben bei 20 Schweizer Unternehmen nachgefragt, ob auch sie Bestellungen storniert haben; 13 davon haben uns geantwortet. Im Folgenden dokumentieren wir ihre Antworten, wobei wir nicht überprüfen können, ob diese in der Praxis auch wirklich umgesetzt werden.

Weitere Informationen

  • Das haben wir gefragt

    Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen im Netzwerk der Clean Clothes Campaign beobachten und dokumentieren wir, welche Firmen sich öffentlich verpflichten, keine Aufträge zu stornieren und ihre Lieferanten für alle bisherigen Bestellungen zu bezahlen, und welche weiteren Massnahmen zum Schutz von Beschäftigten in der Lieferkette sie ankündigen und umsetzen. Deswegen möchten wir Sie bitten, öffentlich zu kommunizieren oder uns mitzuteilen,

    1. ob Ihr Unternehmen in der Covid-19 Krise Bestellungen storniert hat, oder ob Sie vollständig und in den ursprünglich vereinbarten Zahlungstranchen und Fristen für alle Aufträge zahlen, bei denen die Lieferanten bereits mit der Produktion begonnen oder die Produktion abgeschlossen haben (d.h. für jeden Auftrag, für den Material bestellt oder Stoff zugeschnitten wurde);
    2. falls ja, ob dieses Vorgehen bei all Ihren Lieferanten in allen Ländern gilt, und ob Ihr Unternehmen sich verpflichtet, diesen Ansatz auch künftig beizubehalten, auf Stornierungen zu verzichten und ohne Abstriche und Verzögerungen auch für zukünftige Bestellungen zu zahlen;
    3. welche weiteren Massnahmen Ihr Unternehmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter in Ihrer Lieferkette und zur Verhinderung von Entlassungen und Lohnaussetzungen ergriffen hat.

Stornierungen und Auftragszahlungen der Produktion

  • Albiro, Chicorée, Coop, Intersport, Migros, Nile, Remei AG und Workfashion haben uns gegenüber und teils auch öffentlich erklärt, sie würden keine Aufträge stornieren und ihre bereits getätigten Aufträge bezahlen.
  • Mammut hat uns geschrieben, dass sie zwar einen Teil (4,4% des Jahreseinkaufsvolumens) storniert hätten, jedoch für alle - auch die stornierten - Aufträge die vereinbarten Zahlungen durchführen.
  • Manor teilte mit: «Effektiv storniert haben wir nur 3% der Bestellungen, vor allem bei der Bademode, und immer in Absprache mit den Lieferanten, mit denen wir teilweise schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Teilweise kam der Impuls dazu auch von den Lieferanten selbst. Wir sind auf individueller Basis mit allen Lieferanten im Gespräch und finden gemeinsame Lösungen.» Was das genau für die Zahlungsvereinbarungen sowie für die Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort bedeutet, hat uns Manor nicht mitgeteilt. Die Antwort scheint nicht ganz zur Aussage des Manor Chefs Jérôme Gilg zu passen, der gegenüber SRF ECO erklärte «Wir haben gerade nach dem Lockdown relativ schnell reagiert, versucht, ein Maximum an Wareneingängen zu blockieren, auch Bestellungen, die wir bereits platziert hatten».
  • Holy Fashion (u.a. Strellson, Joop) schreibt: «Ein kleiner Teil unserer Kundenaufträge wurde storniert.» In welchem Umfang die Stornierungen erfolgten, und welche Auswirkungen diese für die Auftragszahlung haben, blieb unbeantwortet.
  • PKZ erklärt, dass das Unternehmen «auch im Umfeld der COVID-19 Krise allen Verpflichtungen gegenüber sämtlichen Lieferanten und Partnern gemäss den bestehenden Verträgen und Abmachungen nachkomme.» Da wir jedoch die Vertragsbedingungen nicht kennen, wissen wir nicht, ob und welche Stornierungsbedingungen darin vorgesehen waren.
  • Odlo hat zwar auf unsere Umfrage geantwortet, sich dabei jedoch nicht spezifisch zu Stornierungen geäussert, sondern erklärt, das Unternehmen würde den Leitlinien der Fair Wear Foundation folgen. Die Leitlinien (hier in Englisch) beinhalten u.a. eine Empfehlung an Firmen, keine Bestellungen zu stornieren, welche «(fast) fertig zum Versand sind, die sich bereits in Produktion befinden oder für die bereits Stoff gekauft und/oder geschnitten wurde.» Bezüglich möglicher Stornierungen anderer und künftiger Bestellungen machen die Leitlinien keine klare Vorgabe. Hilfreich wäre hier eine klare Kommunikation durch Odlo selbst.
  • Keine Antworten - und damit keine Informationen, ob und ggf. in welchem Umfang Bestellungen storniert wurden und werden - haben wir bislang von Calida, Maus Frères (u.a. Lacoste, GANT, Aigle), On, Sherpa Outdoor, Tally Weijl, Triumph und Zebra erhalten.

Gesundheitsschutz, Lohnzahlungen, Entlassungen

Neben einem verantwortungsvollen Einkaufsverhalten gegenüber ihren Zulieferern sollten Firmen auch sicherstellen, dass die notwendigen Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter und zur Vermeidung von Entlassungen und Lohnaussetzungen in ihrer Lieferkette umgesetzt werden.

  • Nile erklärt: «Es kam zu keinen Entlassungen und die Löhne wurden vollständig weiterbezahlt.»
  • Workfashion gibt an, dass sie sich bei ihren Zulieferbetrieben mittels eines Fragebogens direkt über die Situation vor Ort bezüglich des Gesundheitsschutzes, der Lohnzahlungen sowie allfälligen Entlassungen informiert hätten. Das Ergebnis dieser Umfrage bei ihren Zulieferbetrieben geben sie hingegen nicht bekannt - und auch nicht, ob und welche Massnahmen sie ergreifen werden.
  • Migros, Manor und Intersport verweisen lediglich auf auf die freiwilligen Sozialaudits von amfori BSCI. Jedoch reichen diese im aktuellen Kontext der Covid-19 Krise schlicht nicht aus, um sicherzustellen, dass in der Lieferkette alle Löhne gezahlt werden, keine Entlassungen stattfinden und die notwendigen Sicherheitsmassnahmen eingehalten werden.
  • Die Remei AG berichtet auf ihrer Webseite ausführlich zur Lage bei ihren Zulieferern und über Gesundheitsschutz-Massnahmen. Allerdings konnten wir keine Informationen dazu finden, ob Löhne weiterhin vollumfänglich gezahlt werden und ob es zu Entlassungen kommt.
  • Albiro, Coop, Mammut erwähnen in ihrer Antwort zwar die nationalen Sicherheitsmassnahmen zum Schutz vor Covid-19, äussern sich jedoch nicht zur Sicherstellung von Lohnzahlungen oder Schutz vor Entlassungen.
  • Odlo verweist auf die Leitlinien der Fair Wear Foundation, macht aber keine Angaben zur Situation in der eigenen Lieferkette.
  • In ihren Antworten machten Chicorée, Holy Fashion und PKZ keinerlei Angaben zum Gesundheitsschutz, zu Lohnzahlungen oder Entlassungen.
  • Einige Firmen haben bisher überhaupt nicht auf unsere Umfrage reagiert, und damit keine Informationen bezüglich Massnahmen zu Sicherstellung von Gesundheitsschutz und Lohnzahlungen sowie zur Vermeidung von Entlassungen in der Lieferkette gegeben: Calida, Maus Frères (u.a. Lacoste, GANT, Aigle), On, Sherpa Outdoor, Tally Weijl, Triumph und Zebra.

Zusicherung zu Lohnzahlungen in der Lieferkette

Wir haben die 20 Modeunternehmen auch gefragt, ob sie sicherstellen, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in der Lieferkette ihre Löhne auch während und nach der Krise erhalten. Die Covid-19 Pandemie hat die Textilindustrie in den meisten Produktionsländern in die Krise gestürzt. Um die Existenzgrundlagen der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Textilfabriken zu schützen, braucht es jetzt klare Signale.

Viele Modeunternehmen versprechen in Verhaltenskodizes und mit Audits, dass sie die ordentliche Zahlung von Löhnen sicherstellen wollen. Leider kam es im Zuge der Covid19-Krise in mehreren Fällen trotzdem zu Verletzungen bezüglich Lohnzahlungen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Modemarken auch über bestehende Verpflichtungen wie ihren Verhaltenskodex oder die Mitgliedschaft bei Unternehmensinitiativen hinaus ein klares Zeichen in Form einer Zusicherung bezüglich Lohnzahlungen in ihrer Lieferkette setzen.

Zusammen mit der Clean Clothes Campaign rufen wir Bekleidungsfirmen und -händler zu einer öffentlichen Zusicherung diesbezüglich auf. Um soziale Sicherungssysteme zu stärken und so dafür zu sorgen, dass Beschäftigte bei künftigen Krisen besser geschützt sind, sollen sie zusätzlich einen Beitrag zu einem Fonds für ausstehende Löhne und Abfindungszahlungen leisten. Mehr Informationen zu der «Wage Assurance Demand» an Firmen finden Sie auf der Webseite der Clean Clothes Campaign.

Als erstes und bisher einziges Schweizer Modeunternehmen hat Nile die öffentliche Zusicherung zur «Wage Assurance Demand» kommuniziert. Wir hoffen, dass weitere Firmen dem Beispiel folgen werden.

Was wir von den Modefirmen erwarten

Um Kosten zu drücken und Profite zu steigern haben die meisten Markenfirmen und Detailhändler bewusst ihre Produktion an Standorten konzentriert, wo Armutslöhne, Gewerkschaftsunterdrückung und schlechte Sozialversicherungssysteme vorherrschen. Dies hat ihnen über Jahrzehnte hinweg riesige Gewinne ermöglicht, während Textilarbeiterinnen und -arbeiter ausgebeutet wurden.

Darum fordern wir Markenfirmen und Detailhändler auf, sich in der Krise nicht aus ihrer Verantwortung zu stehlen, sondern jetzt die Beschäftigten in ihren Lieferketten vor Arbeitsplatzverlust, Krankheit und Tod zu schützen.

Die Antworten, die wir von Schweizer Firmen erhalten haben, zeigen aber, wie ungenügend diese zum Teil ihre Verantwortung wahrnehmen, und wie viel noch zu tun bleibt, damit nicht die Schwächsten in den Lieferketten für die Krise bezahlen.

Wir appellieren deshalb weiter an die Modefirmen, Menschen vor Profit zu stellen!