Politische Einflussnahme von Unternehmen: Neuer UNO-Bericht nimmt Staaten in die Pflicht

Am 25. Oktober 2022 stellte das UNO Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) an der UNO Generalversammlung in New York einen Bericht zum Thema «Einflussnahme von Unternehmen auf Politik und Regierungen» vor. Aus Schweizer Perspektive ist dieser hochrelevant, denn sowohl die geforderte Transparenz als auch wirksame Regulierung und eine unabhängige Kontrolle der politischen Finanzierung sind hierzulande vor allem eines: abwesend.

26. Oktober 2022

Es ist ein globales Phänomen, dass mächtige Wirtschaftsakteur*innen am politischen Verhandlungstisch sitzen und auf vielfältige Weise Regulierungen mitbestimmen. Dass diese politische Einflussnahme direkte Auswirkungen auf Menschenrechte hat, zeigt die UNO mit dem neuen Bericht «Einflussnahme von Unternehmen auf Politik und Regulierung: Gewährleistung von Geschäftspraktiken im Einklang mit den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte». Daraus folgt, dass Staaten, die gemäss der «UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte» für den Schutz der Menschenrechte zuständig sind, auch politische Aktivitäten der Wirtschaft regulieren müssen.

Denn Zusammenhänge zwischen der politischen Einflussnahme von Konzernen und Menschenrechtsverletzungen sind vielfach dokumentiert: Negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, mangelnder Zugang zu Rechtsmitteln für Opfer von Menschenrechtsverletzungen, schwacher Schutz der Umwelt und der Rechte von Arbeitnehmenden sowie die allgemeine Schwächung demokratischer Institutionen und Prozesse.

Auch Public Eye hat für den UNO-Bericht Inputs geliefert und zahlreiche Beispiele aufgedeckt, wie Konzerne die Schweizer Politik und Bundesverwaltung beeinflussen und/oder mit derselben verbandelt sind, etwa bezüglich Verbindungen vom Parlament in die Pharmabranche und den Krankenkassensektor, bezüglich dem SECO, das sich von Nestlé einspannen liess, um Warnhinweise gegen Junkfood zu verhindern, oder bezüglich der 2020 eingeführten Kooperationsstrategie der DEZA mit Konzernen.

Intransparenz fördert Menschenrechtsverletzungen und Korruption

In vielen Ländern, auch in der Schweiz, ist die Informations-, Mitsprache- und Macht-Asymmetrie gross: Direktbetroffene von Menschenrechtsverletzungen sowie ihre Interessensvertretungen haben oft kein oder nur marginales Mitspracherecht bei Regulierungsvorschlägen – ganz im Gegensatz zu mächtigen Konzernen, die durch den direkten Einbezug ihr Netzwerk und ihren Einfluss stetig ausbauen können.

Der UNO-Bericht fordert nicht, jegliche Mitsprache von Konzernen zu verhindern - Wirtschaftsakteur*innen haben ein legitimes Recht, sich als Stakeholder zu Fragen zu äussern, die sie in ihrer Wirtschaftstätigkeit direkt betreffen. Doch wenn es Konzernen erlaubt ist, sich hinter verschlossener Tür an politischen Prozessen zu beteiligen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen- und Umweltrechte missachtet werden. Der Bericht unterstreicht, dass politisches Engagement von Unternehmen per se «ein erheblicher Risikobereich für Bestechung und Korruption» sei – insbesondere wenn Transparenz fehlt – und dass Korruption die Wahrnehmung der Menschenrechte untergrabe.

© transparenz-ja.ch
Am 18.6.2021 wurde der indirekte Gegenvorschlag zur Initiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung» angenommen. Die Transparenzregeln, die erstmals für die Nationalratswahlen 2023 gelten werden, bleiben aber sehr moderat.

Top 10 Strategien zur politischen Einflussnahme

Es gibt vielfältige Formen der politischen Einflussnahme, die zu Menschen- und Umweltrechtsverletzungen durch Unternehmen führen können. Viele davon sind auch in der Schweiz gang und gäbe:

Weitere Informationen

  • 1. Direktes Lobbying

    Konzerne versuchen offen oder verdeckt mittels direkter Kontakte zu politischen Entscheidungsträger*innen ihre Forderungen durchzusetzen.

  • 2. Indirektes Lobbying via Business-Verbände

    Unternehmen organisieren sich, um die Wirtschaftsinteressen der Branche oder des Sektor zu vertreten. Dies geschieht oftmals verdeckt, es gibt kaum Vorschriften zur Offenlegung der Mitgliedschaften und Finanzierungsstrukturen.

  • 3. Indirektes Lobbying via Multistakeholder-Initiativen

    Unternehmen haben via solche Initiativen Zugang zu staatlichen Akteur*innen und können quasi durch die Hintertür und teilweise im informellen Rahmen politischen Einfluss nehmen.

  • 4. «Revolving-door» (Drehtür)

    Fliegender Wechsel zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Funktionen. Problematisch daran ist beispielsweise, dass Entscheidungsträger*innen oder Verwaltungsangestellte durch die implizite oder explizite Aussicht auf eine zukünftige lukrative Position in der Privatwirtschaft in ihren Entscheidungen beeinflusst werden können, oder dass sie sich als privatwirtschaftliche Lobbyist*innen betätigen und durch einen privilegierten Zugang zu Informationen und politischen Entscheidungsträger*innen der Wirtschaft einen deutlichen Vorteil gegenüber andern Stakeholdern verschaffen.

  • 5. «Reverse-Revolving-Door»

    Konzerne platzieren ihre eigenen ehemaligen Mitarbeitenden in für die Wirtschaft relevanten Regierungsstellen, multilateralen Institutionen oder Überwachungsbehörden. Die Gefahr ist dann gross, dass bei Entscheidungsfindung der Behörden Unternehmensgewinne Vorrang vor dem öffentlichen Interesse haben.

  • 6. Unternehmensbeiträge an Parteien, Anliegen oder Kampagnen

    Mit gezielten Finanzierungen oder indem Konzerne ihre Arbeitsressourcen zur Verfügung stellen, können Konzerne ihre eigenen – und teilweise nicht menschenrechtskonformen – Prioritäten vorantreiben. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo es unzureichende Transparenzvorschriften bezüglich der Beiträge gibt oder wo keine (oder keine angemessenen) Maximal-Limiten für solche Beiträge vorgegeben sind.

  • 7. Einfluss der Unternehmen auf Hochschulen und Wissenschaft

    Mit der Bezahlung von spezifischen Studien, von Lehrstühlen oder generellen Finanzierungen von Hochschulen können Konzerne versuchen, den öffentlichen und politischen Diskurs zu ihren Gunsten zu beeinflussen und Richtungswechsel in der Politik zu erzielen. In diese Kategorie fällt auch der Versuch, die Validität bestehender Studienergebnisse anzuzweifeln, die einen Zusammenhang zwischen den Produkten oder Dienstleistungen bestimmter Branchen und negativen Auswirkungen auf die Umwelt, Gesundheit und Menschenrechte nahelegen. Besonders deutlich wird dies etwas in der Klimadebatte oder bezüglich Pestiziden.

  • 8. Einfluss von Unternehmen auf die öffentliche Berichterstattung

    Hier werden sowohl klassische Medien benutzt wie auch Social-Media-Kampagnen und Öffentlichkeitskampagnen umgesetzt, um ein bestimmtes öffentlich-politisches Narrativ zugunsten der Wirtschaftsakteur*innen zu stärken. Insbesondere in der Klimadebatte wurde diese Taktik beobachtet, um schädliche Geschäftsmodelle zu verteidigen.

  • 9. «Astroturfing»

    Diese Taktik bedeutet, dass Konzerne vermeintlich gemeinnützige NGOs oder Interessensgruppen gründen oder finanzieren, um ihre Wirtschaftsinteressen zu vertreten (wie das z.B. Glencore in Australien tat). Solche durch die Wirtschaft kreierten Graswurzel-Bewegungen erwecken den falschen Eindruck, dass die politischen Anliegen von einer breiten Bevölkerungsschicht unterstützt werden mit dem Ziel, dadurch die erwünschte politische Veränderung zu erwirken.

  • 10. Einfluss von Unternehmen auf das Rechtssystem

    Eine direkte Einflussnahme kann dann geschehen, wenn das Gerichtssystem zu wenig unabhängig ist und direkte Lobbyversuche möglich sind. Rechtssysteme werden zudem teilweise auch benutzt, um unliebsame Kritiker*innen zum Schweigen zu bringen. Das ist etwa bei «strategic lawsuits against public participation» (SLAPP) der Fall.

Regulierungsansätze

Es liegt auf der Hand, dass es hier korrektive regulatorische Massnahmen braucht. Der UNO-Bericht schlägt vor, dass Staaten

  • menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen verbindlich machen, die alle Formen politischer Aktivitäten von Konzernen miteinschliessen;
  • sicherstellen, dass politische Entscheidungen auf der Basis von soliden und unabhängigen Studien getroffen werden, und dass allfällige verwendete Industrie-Daten transparent ausgewiesen werden;
  • transparente und obligatorische Lobbyregister (Aktivitäten, Kontakte, Finanzierungen) für juristische und natürliche Personen, für bezahlte und unbezahlte Mandate einführen;
  • die Offenlegung der politischen Aktivitäten und politischen Finanzierungen durch Unternehmen (Lobbyarbeit, Beiträge an Parteien, Politiker*innen, Organisationen, Ausgaben für politische Werbung, Offenlegung von Positionen und politische Zielsetzungen) gesetzlich vorschreiben;
  • gesetzliche Grundlagen schaffen zur Vermeidung von Interessens-Konflikten, und diese unabhängige überwachen;
  • Systeme zur Offenlegung von Einkommen und Vermögen von Verwaltungsangestellten und Parlamentarier*innen schaffen;
  • unabhängige gerichtliche und aussergerichtliche Beschwerdemechanismen einführen, die frei von unzulässiger politischer Einflussnahme sind;
  • gesetzliche Grundlagen zum effektiven Schutz vor SLAPPs erarbeiten;
  • gesetzliche Grundlagen zur Begrenzung von «Revolving-Door»- und «Reverse-Revolving-Door» errichten, z. B. verbindliche und ausreichend lange Übergangsfristen zwischen zwei Funktionen;
  • und spezifische und strengere Regeln für staatliche Interaktionen mit Hochrisikosektoren aufstellen, deren Produkte inhärente Menschenrechtsrisiken bergen (u.a. Rohstoffsektor). Diese Regeln müssen auch für die Lobbygruppen dieser Sektoren gelten.

Schweiz: dringender Nachholbedarf

Bei all diesen Regulierungsvorschlägen fällt die Schweiz zurzeit durch. Und die aktuellen Entwicklungen machen wenig Hoffnung auf eine Verbesserung:

  • Zwar werden bei den nationalen Wahlen 2023 erstmals neue Transparenzregeln in der Politikfinanzierung zum Tragen kommen, diese sind aber sehr moderat und weit weg von einem Verbot oder einer Limitierung der direkten Wahl-Finanzierung durch Konzerne.
  • Mit der sogenannten «Regulierungsbremse» ist zudem eine in der Bundesverfassung verankerte Bevorzugung von Wirtschaftsakteur*innen gegenüber allen andern Interessengruppen in Planung – Public Eye hat sich in der Vernehmlassung dagegen gewehrt; die parlamentarische Debatte ist noch ausstehend.
  • Am 18. Oktober 2022 hat die Staatspolitische Kommission des Ständerates (SPK-S) einstimmig eine parlamentarische Initiative beerdigt, die Ratsmitgliedern verbieten wollte, «bezahlte Mandate von Unternehmen oder Organisationen anzunehmen, die von rechtlichen Regelungen betroffen sein könnten, für deren Beratung diejenigen Kommissionen zuständig sind, denen die Ratsmitglieder angehören.» Die SPK-S argumentiert, mit der Umsetzung würde «eine Ungleichbehandlung zwischen den Ratsmitgliedern geschaffen und deren wirtschaftliche Freiheit übermässig eingeschränkt».
  • Am 24. Oktober 2022 hat der Verein Lobbywatch mit einer Datenanalyse aufgezeigt, dass das aktuelle Parlament insgesamt 2363 Verbindungen und Mandate hat, davon sind gut ein Drittel bezahlte Engagements. Spitzenreiter der Interessensbindungen nach Branche sind die Wirtschaft und Gesundheit, die meisten Mandate, nämlich fast 1100, haben die Mitte-Fraktion und die FDP.

Die Schweiz nimmt ihre Verantwortung gemäss «UNO–Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte» heute nicht wahr – schlimmer noch: sie setzt alles daran, dass Intransparenz und Regulierungs-Inseln bestehen bleiben.

Demokratiepolitisch, wie auch aus menschenrechtlicher Sicht und mit Blick auf die Klimakrise ist es dringend nötig, dass die Schweiz regulatorisch aktiv wird, Transparenz herstellt und die Einflussnahme von Konzernen endlich wirksam begrenzt.