Das Sprachrohr des achten Bundesrats

Eine Studie von Public Eye zu den obszönen Profitmargen der Pharmakonzerne hat die NZZ zu einem vom Branchenverband soufflierten Kommentar provoziert. Diese konzertierte Aktion, mit der Interpharma davon abzulenken versucht, dass die ungerechtfertigten Gewinne ihrer Mitgliedsfirmen massgeblich zum Prämienschock beitragen, ist ebenso dreist wie durchsichtig. Und für die redaktionellen Standards an der Falkenstrasse eine Bankrotterklärung.

Bis zu 90%: Diese Zahl steht am Ende einer sorgfältigen und alle wichtigen Kostenfaktoren einpreisenden Kalkulation der Gewinnspannen von sechs Firmen, die hochpreisige Krebsmedikamente verkaufen. Mit dieser (noch eher konservativen) Schätzung für einzelne Behandlungen wollen wir einerseits Politik und Bevölkerung über einen zentralen Treiber unserer explodierenden Gesundheitskosten aufklären. Andererseits stellen wir damit die Legitimität des Geschäftsmodells der Industrie in Frage. Denn Monopole und die damit einhergehende Preissetzungsmacht gehen von der Prämisse aus, dass die Forschung und Entwicklung (F&E) von Medikamenten enorm teuer sind. Statt jedoch endlich eigene überprüfbare Zahlen zu den F&E-Kosten einzelner Produkte ihrer Mitgliedsfirmen zu liefern, machte die mächtige Interpharma einfach ihrem mächtigen Unmut über unsere Pionier-Studie Luft. Und zwar in einem Zweihänder, den der Verband nicht über die eigenen Kanäle, sondern via die NZZ publizieren liess.

Der mit heisser Nadel (und dem heissen Atem von Interpharma im Nacken) gestrickte Kommentar ging keine zehn Stunden nach unserer Medienmitteilung online, ist randvoll mit den branchenüblichen Nebelkerzen und zudem völlig kontextfrei. Dazu hätte der zuständige Redaktor ja auch auf die Konkurrenz verweisen müssen, welche gleichentags ausführlich und ausgewogen über unsere Studie berichtet hat. Stattdessen wurde direkt auf die Public Eye-Website verlinkt, was die alte Tante sonst scheut wie der Teufel das Weihwasser. Schliesslich publiziert dort eine «antikapitalistisch eingestellte Nichtregierungsorganisation», wie der Kommentar einleitend konstatiert.

Dummerweise konnte (oder wollte) man an der Falkenstrasse die immerhin 32 Seiten mit 152 Fussnoten umfassende «Pauschalkritik» des Klassenfeinds nicht selber lesen.

Doch zum Glück liess sich auf die dem Medienhaus nahestehenden «Experten von Interpharma» zurückgreifen, welche «die Untersuchung von Public Eye gründlich unter die Lupe genommen haben».

Neu an diesem so kühnen wie kostensparenden Verfahren ist nicht nur das Outsourcing redaktioneller Kompetenz und Kritik an die aktuell einflussreichste Schweizer Lobbyvereinigung. Neu ist auch die Chuzpe, mit der die NZZ diesen journalistischen Offenbarungseid in ihrer Kommentarspalte leistet – frei nach dem paradoxen Motto «je gröber der Verstoss gegen redaktionelle Sorgfaltspflichten, desto offener wird er kommuniziert». «Hiding in broad daylight«, heisst das bei den Angelsachsen. Klar: Das es zwischen den grossen Schweizer Wirtschaftsverbänden und der NZZ-Wirtschaftsredaktion eine Standleitung gibt, weiss man schon länger. Economiesuisse musste für ihr NGO-Bashing aber jeweils noch mit der Meinungsseite vorliebnehmen. Ihr Nachfolger als «achter Bundesrat«, die Basler Interpharma, bringt ihre Botschaften nun schon direkt und ungefiltert im redaktionellen Teil unter.

«Als Spin Doktor und Schreiberling weiss ich: Die Wahrheit ist ein Näherungswert, keine An­sichts­sache. Guter Journalismus weiss und zeigt das.»

Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tagesanzeiger.

Kontakt: oliver.classen@publiceye.ch
Twitter: @Oliver_Classen

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Unsere Fachleute kommentieren und analysieren, was ihnen unter den Nägeln brennt: Erstaunliches, Empörendes und manchmal auch Erfreuliches aus der Welt der globalen Grosskonzerne und der Wirtschaftspolitik. Aus dem Innern einer journalistisch arbeitenden NGO und stets mit der Rolle der Schweiz im Blick.  

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