Die Welt ernähren mit der Pestizidindustrie

Die Welternährungsorganisation FAO will den Welthunger bekämpfen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern. So weit so gut. Doch jetzt will sie dazu ausgerechnet mit denjenigen Konzernen zusammenspannen, denen wir wesentliche Probleme der heutigen Produktionssysteme überhaupt erst zu verdanken haben.

Im Oktober hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eine umfassende strategische Allianz mit Croplife International angekündigt, dem Interessensverband der «Big 5» der Agrochemie: den deutschen Konzernen Bayer und BASF, den US-amerikanischen Corteva Agrisciences und FMC sowie Syngenta aus der Schweiz. Gemeinsam beherrschen sie 70% des Weltmarkts.  

Neue Wege mit alter Chemie

Zusammen mit Croplife wolle man «neue Wege zur Transformation der Agrar- und Lebensmittelsysteme» finden, schreibt die FAO. Dabei scheint sie nicht zu stören, dass sich ihre Partner durch antiquierte Geschäftsmodelle geradezu auszeichnen. Denn die Croplife-Konzerne erzielen zig Milliarden Dollar – rund einen Drittel ihrer Umsätze – mit hochgefährlichen Pestiziden. Viele wurden in der Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts entwickelt und funktionieren nach dem Hau-drauf-Prinzip: was blüht, fliegt oder kriecht wird wahllos abgemurkst. Einige sind auch für Menschen so gefährlich, dass sich damit jedes Jahr Tausende vergiften, die meisten in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Hochgefährliche Pestizide verbieten oder so

Die FAO hat dieses Problem erkannt und will weltweit «hochgefährliche Pestizide schrittweise verbieten». Einen Widerspruch zur Allianz mit Croplife sieht sie offenbar nicht. Viel mehr will sie die Industrie zu einer «Reduktion des Pestizidrisikos» bewegen. Was das konkret bedeutet, bleibt abzuwarten, doch ein Blick in die Vergangenheit stimmt wenig optimistisch.

Die FAO arbeitet laut eigenen Aussagen nämlich schon seit 2010 mit Croplife, um «hochgefährliche Pestizide zu eliminieren». Offensichtlich ohne merklichen Effekt: Durch eine freiwillige Selbstevaluation kamen die Croplife-Konzerne vor zwei Jahren zum Ergebnis, dass hochgefährliche Pestizide in ihren Portfolios ein marginales Problem seien, und dass nur bei einem Bruchteil der Produkte Handlungsbedarf bestehe - wie praktisch!

«Verantwortungsvoller Umgang» mit giftiger Chemie

Dass Sumesh Kanande diese Schutzausrüstung bei über 40 Grad Celsius tragen sollte, wirkt wie ein schlechter Witz. © Atul Loke / Panos Pictures

Ansonsten setzt Croplife bei hochgefährlichen Pestiziden vor allem auf «sichere Handhabung» – etwa durch Schutzbekleidung und Schulungen der Nutzer und Nutzerinnen. Dabei ignoriert der Verband die Tatsache, dass unzählige Menschen schlicht keinen Zugang zu solcher Ausrüstung haben, die ohnehin wenig nützt. Die FAO selbst verlangt, dass Pestizide, die eine Schutzausrüstung erfordern, insbesondere in Entwicklungsländern mit heissem Klima erst gar nicht verwendet werden sollen, weil die Risiken zu gross sind. Doch ausgerechnet auf diese Länder fokussieren die Croplife-Konzerne beim Verkauf hochgefährlicher Pestizide (schlicht, weil zu viele andere Länder die meisten dieser Gifte bereits verboten haben). Der von Croplife propagierte «verantwortungsvolle Umgang» mit hochgefährlichen Pestiziden bedeutet in der Praxis vor allem, dass an deren Verkauf festgehalten wird – wäre ja sonst auch schade ums Geschäft.

Allheilmittel Digitalisierung?

Die FAO schwärmt im Hinblick auf die Allianz insbesondere von Croplifes KnowHow in Sachen Digitalisierung, die ein «echter Motor für die Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme» sei. Gemeint sind daten- und energieintensive Ansätze wie «Präzisionslandwirtschaft» oder «Climate smart Agriculture». Einmal ganz abgesehen davon, dass deren Nutzen fürs Klima umstritten ist, geht (insbesondere Croplifes Version von) «Landwirtschaft 4.0» schon aufgrund der astronomischen Kosten meilenweit an der Realität tausender Kleinbäuerinnen und -bauern vorbei. Im besten Fall nützt sie den Ärmsten wenig bis nichts, im schlimmeren werden sie weiter marginalisiert.  

«Landwirtschaft 4.0» geht meilenweit an der Realität tausender Kleinbäuerinnen vorbei.

Trotzdem gelingt es Bayer, Syngenta & Co. zunehmend, ihre Ansätze als Lösung für die Klimakrise (und eigentlich fast alle anderen Probleme der heutigen Landwirtschaft) zu verkaufen. Sträubten sie sich früher noch gegen jede Kritik, unterstützen jetzt auch sie eine tiefgreifende «Umgestaltung der Landwirtschaft». Es fällt jedoch auf, dass ihre Version letztlich ohne allzu viel der lästigen Transformation auskommt: Noch immer wird fleissig synthetisch gedüngt und gespritzt, das System hängt weiterhin am Tropf fossiler Energien.

Another Greenwash going blue

Die geplante Allianz ist das jüngste (aber nicht erste) Kind der neuen Herangehensweise der UNO an den Privatsektor. Als UNO-Tochter will auch die FAO die «Zusammenarbeit mit dem Privatsektor verstärken» und ihre «inhärent konservativen Haltungen» überwinden, wie sie in einer soeben verabschiedeten Strategie schreibt. Oder, wie es FAO-Generaldirektor Qu Dongyu ausdrückt: «Wir müssen unsere Denkweise ändern und den gesamten privaten Sektor einbeziehen».

Welcher «Denkweise» es bedarf, um sich eine Allianz ausgerechnet mit Croplife grün zu färben, bleibt uns jedoch ein Rätsel. Und damit sind wir nicht allein: weitere 351 zivilgesellschaftliche Organisationen, 286 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, 44 Stiftungen und Philanthropen sowie Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus aller Welt protestieren gegen diese toxische Allianz. Sie appellieren an die FAO, von dieser Partnerschaft abzusehen, die ihre eigenen Ziele für eine nachhaltige Landwirtschaft, darunter die Förderung agrarökologischer Produktionssysteme sowie die Minimierung der Risiken durch Pestizide, direkt untergräbt.

«Augen auf und durch!» (Autor*in unbekannt)

Carla Hoinkes beschäftigt sich bei Public Eye mit Landwirtschaftsfragen und nimmt die globalen Geschäfte der Agrarindustrie unter die Lupe. Sie lernt immerzu gern Neues über Mensch, Kraut und Rüben (und hofft, dass ihr auch selbst mal noch ein grüner Daumen wächst).

Kontakt: carla.hoinkes@publiceye.ch
Twitter: @carlahoinkes

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