Milliarden-Umsätze mit Pestiziden, die krebs­erregend sind oder Bienen vergiften

© Nadieh Bremer (Visual Cinnamon) / Unearthed / Public Eye
Eine Recherche von Public Eye und Unearthed deckt auf, dass die fünf führenden Agrochemiekonzerne 2018 einen Drittel ihrer Pestizidumsätze mit dem Verkauf von für Mensch oder Umwelt hochgiftigen Substanzen erzielt haben. Die wichtigsten Absatzmärkte dafür waren Entwicklungs- und Schwellenländer mit schwächeren Regulierungen und höheren Risiken für die Bevölkerung.

BASF, Bayer, Corteva Agriscience, FMC und Syngenta – diese Agrochemiekonzerne aus Deutschland, den USA und der Schweiz kontrollieren zusammen über 65% des globalen Pestizidmarktes, dessen Wert für 2018 auf 57,6 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Mithilfe ihrer mächtigen Lobbyorganisation CropLife üben diese Konzerne starken Druck auf die internationalen Debatten zur Regulierung von Pestiziden aus. Sie wollen uns weismachen, dass ihre «Pflanzenschutzmittel» einen Beitrag zur nachhaltigen Ernährung der Menschheit leisten, und dass sie die Sicherheit der Bäuerinnen und Landarbeiter, der lokalen Bevölkerung und der Umwelt gewährleisten können.

Aber sind die Chemikalien, mit denen die Konzerne ihr grosses Geschäft machen, wirklich «sicher»? Welche Folgen für die Menschen und die Umwelt haben sie dort, wo sie am meisten verkauft werden?

Im April 2019 hatte Public Eye die zentrale Rolle des Basler Konzerns Syngenta beim Verkauf von hochgefährlichen Pestiziden in Entwicklungs- und Schwellenländern aufgedeckt.

Nun haben wir zusammen mit Unearthed, der Rechercheabteilung von Greenpeace UK, die globalen Geschäfte der fünf Agrochemiegiganten in diesem ebenso lukrativen wie umstrittenen Markt durchleuchtet.

Wir durchleuchten einen umstrittenen Markt

Während mehrerer Monate haben wir umfassende Daten der auf Marktanalysen spezialisierten Firma Phillips McDougall ausgewertet. Darin sind für 2018 Pestizidverkäufe in der Höhe von insgesamt 23 Milliarden US-Dollar enthalten. Diese Zahlen decken etwa 40% der weltweiten Pestizidverkäufe für die Landwirtschaft ab und fokussieren auf die meistverkauften Produkte sowie die grössten Märkte. Für unsere Analyse haben wir diese Daten mit der Liste der hochgefährlichen Pestizide des internationalen Pestizid Aktions-Netzwerks (PAN) abgeglichen, die auf Einstufungen durch Regierungen und internationale Behörden beruht.

Die Ergebnisse unserer Analyse sind erschreckend: Entgegen den Behauptungen der Lobbyorganisation CropLife, welche die Rolle ihrer Mitglieder im Verkauf hochgefährlicher Pestizide herunterspielt, sind die fünf grössten Agrochemiekonzerne Spitzenreiter im globalen Geschäft mit hochgiftigen Pestiziden. Im Datensatz von Phillips McDougall sind von diesen fünf Konzernen Pestizidumsätze in der Höhe von 13,4 Milliarden US-Dollar erfasst. Davon entfallen 4,8 Milliarden US-Dollar, also 35%, auf Pestizide, die als «hochgefährlich» eingestuft werden (bei den umsatzstärksten Produkten sind es sogar fast die Hälfte). An der Spitze der unrühmlichen Liste stehen Bayer und Syngenta.

Wohlbemerkt: Das sind äusserst konservative Schätzungen, da die verfügbaren Daten nur 40% des Weltmarktes abdecken.

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Die wichtigsten Ergebnisse unserer Analyse:

Weitere Informationen

  • Chronisch toxische Pestizide

    2018 realisierten BASF, Bayer, Corteva Agriscience, FMC und Syngenta knapp ein Viertel ihrer Verkäufe (22%) resp. drei Milliarden US-Dollar Umsatz mit Pestiziden, die sich langfristig auf die menschliche Gesundheit auswirken können. An der Spitze der Liste stehen Stoffe, die als «für Menschen wahrscheinlich krebserregend» eingestuft sind sowie Substanzen, die das Fortpflanzungssystem und die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können.

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  • Akut giftige Pestizide

    4% ihrer Verkäufe – im Wert von etwa 600 Millionen US-Dollar – tätigten diese Konzerne mit Pestiziden, die für Menschen akut hoch toxisch sind. Pestizide dieser Art verursachen jedes Jahr rund 25 Millionen Fälle akuter Vergiftungen. Davon enden 220’000 tödlich – und die überwiegende Mehrzahl der Vergiftungen ereignet sich in Entwicklungsländern.

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  • Bienenkiller-Pestizide

    Die fünf Unternehmen generierten 10% ihrer Umsätze mit Pestiziden, die für Bienen hochgiftig sind. Dies entspricht 1,3 Milliarden US-Dollar. Diese Produkte sind wesentlich mitverantwortlich für das prognostizierte Aussterben etlicher Bestäuberinsekten, das die weltweite Ernährungssicherheit bedroht. Der grösste Anbieter dieser «Bienenkiller» ist Syngenta.

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© Nadieh Bremer (Visual Cinnamon) / Unearthed / Public Eye
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«Das sind schockierende Ergebnisse», sagt Meriel Watts, wissenschaftliche und politische Beraterin bei PAN International. «Sie zeigen die grosse Diskrepanz zwischen dem, was die Konzerne auf der internationalen politischen Bühne sagen, und dem, was sie tatsächlich tun.» Die Agrochemie-Lobby wird nämlich nicht müde zu betonen, dass ihre Mitglieder «Innovationen fördern» würden, um «hochgefährliche Pestizide durch neue, weniger giftige Produkte zu ersetzen».

Baskut Tuncak: «Die Agrochemiekonzerne halten ihre Versprechen nicht.»

Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen, teilt diese Kritik: «Immer wieder haben die Agrochemiekonzerne versprochen, ihre hochgefährlichen Pestizide schrittweise vom Markt zu nehmen. Aber sie halten sich nicht daran. Diese Unternehmen verraten ihre eigenen öffentlichen Versprechen, sich für eine nachhaltige Entwicklung, die Achtung der Menschenrechte und einen verantwortungsvollen Umgang mit Chemikalien bis 2020 einsetzen zu wollen.»

«Molekular-Kolonialismus»

Unsere Recherche zeigt, dass Entwicklungs- und Schwellenländer das bevorzugte Feld der fünf Agrochemiegiganten sind. Gemäss den Daten von Phillips McDougall entfallen fast 60% ihrer Verkäufe hochgefährlicher Pestizide auf diese Länder. Die Datensätze decken die 43 grössten Märkte der Welt ab, darunter 21 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, hauptsächlich in Südamerika und Asien.

Die CropLife-Konzerne nutzen schwache Regulierungen in diesen Ländern aus, um ihre Produkte weiterhin verkaufen zu können - trotz dramatischer Folgen für die lokale Bevölkerung und die Umwelt. Das sei nichts anderes als «Molekular-Kolonialismus», sagt Larissa Bombardi. Sie ist Autorin eines Atlas über den Pestizideinsatz in Brasilien, dem weltweit grössten Abnehmer dieser Chemikalien.

© Fabio Erdos / Panos

Im Land von Jair Bolsonaro entfallen 49% der Verkäufe von Syngenta, Bayer und Co. auf hochgefährliche Pestizide. In Indien liegt dieser Anteil sogar bei 59%. In Frankreich und Deutschland, den beiden wichtigsten europäischen Märkten der CropLife-Firmen, liegt er dagegen nur bei 11 bzw. 12%. In der EU und der Schweiz sind die meisten dieser giftigsten Pestizide nicht mehr zugelassen, da seit den 1990er-Jahren zunehmend strengere Regulierungen durchgesetzt wurden. Der riesige US-Markt bildet in dieser Geografie der hochgefährlichen Pestizide eine Ausnahme: dort machen hochgefährliche Pestizide 35% der Verkäufe von CropLife-Konzernen aus. «Unsere Regulierungssysteme versagen», sagt dazu Jennifer Saas vom Natural Defense Resources Council, einer in New York ansässigen NGO. «Die Umweltschutzbehörde ist viel zu zahm und kooperativ gegenüber den grossen Pestizidherstellern.»

Christopher Portier, ein Toxikologe und Biostatistiker mit internationalem Renommee, ist beunruhigt über unsere Enthüllungen: «Ich finde es irritierend, dass der Westen offenbar so viel Profit aus dem Verkauf von Produkten zieht, die er auf seinen eigenen Feldern nicht haben will.» Was die Situation in seinen Augen noch schlimmer macht: «Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind den Pestiziden stärker ausgesetzt, und tragen damit ein höheres Risiko für chronische Krankheiten und akute Vergiftungen».

«Diese Praxis ist gefährlich und inakzeptabel», meint Moritz Hunsmann, Wissenschaftler am grössten französischen Forschungszentrum (CNRS):

«Ein sicherer Einsatz von hochgefährlichen Pestiziden ist schlicht nicht möglich, insbesondere nicht in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.»

Die Behauptung, dass «hochgefährliche Pestizide in Brasilien oder anderen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sicher angewendet werden können», sei «irreführend», sagt auch der UN-Sonderberichterstatter Baskut Tuncak, der gerade von einem offiziellen Besuch in Brasilien zurückgekehrt ist. «Die harte Realität ist, dass Brasilien, wie so viele andere Länder, dafür weder über die nötigen Regulierungen noch über die entsprechenden finanziellen und technischen Mittel verfügt.»

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Chemiekeule im Sojaanbau

Gemäss unserer Analyse entfällt bei den CropLife-Konzernen über 80% der Verkäufe an hochgefährlichen Pestiziden auf nur fünf Kulturpflanzen: Sojabohnen, Mais, Weizen und andere Getreidearten, Reis und Baumwolle. Soja und Mais allein machen fast die Hälfte (49%) dieser hochgiftigen Verkäufe aus.

In Brasilien betrifft der Löwenanteil der Verkäufe (63%) Sojabohnen, die auf riesigen Feldern für den globalen Futtermittelmarkt angebaut werden. Die unkontrollierte Ausdehnung von pestizidintensiven Monokulturen trägt wesentlich zur Abholzung im Amazonas-Regenwald und im Cerrado bei. Beide Regionen gehören zu den wichtigsten Kohlenstoffsenken und Biodiversitäts-Hotspots der Welt.

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Landwirtschaft entgiften

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) haben kürzlich dazu aufgerufen, «die Landwirtschaft zu entgiften», also von hochgefährlichen Pestiziden zu befreien, um die Gesundheit zu schützen. Die UN-Organisationen fordern, dass die schädlichen Produkte durch sicherere Alternativen ersetzt werden. «Im Schatten der existenziellen Bedrohungen durch den Klimawandel und des Verlusts an biologischer Vielfalt zeichnet sich eine weitere, lebensbedrohliche Krise ab: Die Vergiftung unserer Erde und unserer Körper», sagte Baskut Tuncak 2019 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Angesichts der schwachen internationalen Regulierung und der mangelnden Bereitschaft der Industrie, auf freiwilliger Basis zu handeln, fordert der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen von den Sitzländern der Agrochemiekonzerne, verbindliche Massnahmen zu treffen.

Baskut Tuncak, Sonderberichterstatter für Menschenrechte und toxische Substanzen der Vereinten Nationen.

Die Antwort von CropLife

Auf Anfrage schickte uns CropLife eine Stellungnahme. Die Lobbyorganisation könne «Aspekte zu bestimmten Produkten oder kommerziellen Interessen ihrer Mitglieder» nicht kommentieren, schreibt Christoph Neumann, Leiter Internationale Pflanzenschutzbestimmungen. Die PAN-Liste weist er zurück und betont: «Unsere Mitglieder engagieren sich durch Schulungen der Landwirte und das Bereitstellen von Schutzausrüstungen für die Reduktion der Risiken durch Pestizide». Weiter erklärt er, dass die Mitglieder zwischen 2015 und 2016 eine «freiwillige Überprüfung ihres Portfolios» vorgenommen hätten, um Risiken abzuschätzen und Massnahmen zu ergreifen – «mit besonderem Fokus auf Länder mit niedrigem Einkommen». Hätten sich diese Massnahmen im Einzelfall als unwirksam erwiesen, so hätten die Unternehmen die betreffenden Produkte freiwillig zurückgezogen. Der Verband verweigert uns jedoch die Auskunft darüber, um welche Pestizide und Märkte es sich handelt.

Weiter gibt CropLife an, dass die meisten Produkte ihrer Mitglieder in einem oder mehreren Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) registriert seien. Ausserdem sei es normal, dass ein Pestizid in einigen Ländern aus wirtschaftlichen Gründen oder weil es nicht benötigt werde nicht registriert sei. «Als innovationsorientierte Unternehmen liegt es in unserem Interesse, die Sicherheit unserer Produkte für die menschliche Gesundheit und die Umwelt kontinuierlich zu verbessern», fügt der Direktor hinzu.

Bayer schickte uns eine ausführliche Antwort und erklärte insbesondere, dass das Unternehmen «die Risiken durch sein Portfolio weltweit nach hohen Standards und Methoden überprüft, zugeschnitten auf die spezifischen agronomischen Gegebenheiten der Länder, in denen Bayer tätig ist». Alle weiteren betroffenen Konzerne verwiesen auf die Antwort von CropLife.

Ein genauer Blick auf die hochgefährlichen Substanzen in den Produkten, welche die fünf Agrochemiekonzerne verkaufen, zeichnet ein ganz anderes Bild.