Haftung für Kindersklaverei? Nestlé und Cargill sagen: «Kei Luscht»

Für Nestlé oder Cargill gehört es heutzutage zur Kommunikationsstrategie, öffentlich über Menschenrechtsverletzungen zu berichten. Für die Verstösse geradestehen, scheint aber zu viel verlangt. Mit welch absurden Argumenten sie sich aus der Verantwortung stehlen wollen, zeigt die Anhörung vor dem Obersten Gericht der USA, wo ihnen eine Klage wegen Kindersklaverei droht.

Es gab mal eine Zeit, da stritten Konzerne noch ab, dass es in ihren Lieferketten zu Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung kam. Die Strategie lautete leugnen, kleinreden oder behaupten, man habe alles im Griff. Als dies nicht mehr glaubhaft war, gingen die Firmen dazu über, solche Verstösse als bedauerliche Einzelfälle abzutun. Stolz wiesen sie auf ihre Codes of Conduct hin, die alle Zulieferer zu befolgen hätten.

Die sich häufenden Fälle von Kinderarbeit und Ausbeutung im Anbau von Agrarrohstoffen waren irgendwann jedoch weder zu bagatellisieren, noch konnten sie durch einen Verhaltenskodex beseitigt werden. Also musste wieder eine neue Strategie her: Nachhaltigkeitsberichte! Diese bescherten der Öffentlichkeit zwar ein wenig mehr Transparenz, aber auch nur in homöopathischen Dosen. Und sie fokussierten vor allem darauf, darzulegen, wieso man als Einzelkonzern – selbst der weltweit grösste Nahrungsmittelhersteller Nestlé – «Probleme» halt leider nicht lösen könne.

Von «Shared Value» und anderen Luftschlössern

Damit trat ein neues Konzept auf den Plan: die geteilte Verantwortung! In Dialogplattformen und Multi-Stakeholder-Initiativen teilten Nestlé, Cargill (weltgrösster Agrarhändler) und Co. ihre «Best Practices», predigten «Shared Value» und suchten solange nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, bis sich auch dieser als praktisch unwirksam erwies. Ganz gemäss dem Prinzip von «Shared Responsibility» sollte natürlich auch kein einzelnes Unternehmen für angerichtete Schäden geradestehen. Das wär’s ja noch, haften für Menschenrechtsverletzungen!

© Mighty Earth
Mighty Earth Protestaktion vor dem Supreme Court der USA

Dass viele Konzerne das (eigentlich selbstverständliche) Haftungsprinzip als absurd abtun, zeigte sich jüngst wieder im Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungsinitiative. Und ein weiteres, schönes Beispiel bot am 1. Dezember die Anhörung von Nestlé und Cargill vor dem US Supreme Court. Seit 2005 ist in den USA eine Klage gegen die beiden Firmen wegen Beihilfe zu Kindersklaverei hängig. Die Kläger, sechs ehemalige Kindersklaven aus Mali, sind mittlerweile alle über 30 Jahre alt. Sie waren noch Kinder, als sie aus Mali versklavt und in der Côte d’Ivoire gezwungen wurden, ohne Bezahlung und unter Körperstrafen auf Kakaoplantagen zu arbeiten.

Nach 15-jährigem juristischem Hick-Hack wird im Sommer 2021 endlich ein Urteil gefällt. Aber nicht etwa darüber, ob die Konzerne schuldig sind, sondern darüber, ob die Klage überhaupt zulässig ist!

Berichten ja, haften nein

Während Nestlé und Cargill zwar anerkennen, dass es in der Branche zu Kindersklaverei kommt, weisen sie nämlich jegliche rechtliche Verantwortung dafür von sich. Der Höhepunkt der unternehmerischen Krisenkommunikation ist wohl erreicht: Probleme zugeben und darüber berichten: Ja gerne! Dafür geradestehen? «Kei Luscht»!

Die Konzerne verlangen tatsächlich vom Obersten Gericht, in der Sache nicht belangt werden zu können. Dabei gibt es in den USA ein Gesetz, den Alien Tort Statute (ATS), welches ermöglicht, gegen amerikanische Firmen wegen Verstössen gegen die Menschenrechte im Ausland zu klagen. Nur wurde dieses Gesetz, welches auf den allerersten US-Kongress im 18. Jahrhundert zurückgeht und seine Ursprünge in der Bekämpfung der Piraterie hat, in den letzten Jahren auch dank tatkräftiger Unterstützung von Konzernen wie Chevron, Shell oder Chiquita ausgehöhlt.

Dass den beiden angeklagten Kakao-Riesen jedes Mittel Recht ist, um sich aus der Verantwortung zu stehlen, zeigte sich an der Anhörung besonders deutlich. Das Hauptargument des Verteidigers lautete dann auch, dass nur Individuen, nicht aber Firmen unter dem ATS verklagt werden könnten. Als eine der Richterinnen ihn daraufhin fragte, welchen Sinn es denn ergebe, dass zwar ein Sklavenhalter, oder auch 10 Sklavenhalter, angeklagt werden könnten, jedoch nicht dieselben 10 Sklavenhalter, wenn sie sich zu einem Unternehmen zusammenschlössen, konnte man das Sich-Herauswinden des Verteidigers sogar durch die schlechte Tonqualität des Audio-Livestreams hören.

Sollte das Oberste Gericht der Argumentation der Konzerne folgen und keine Klagen gegen Unternehmen mehr zulassen, wäre dies ein fatales Signal und würde der Straflosigkeit von Firmen weiter Vorschub leisten. Umso wichtiger, dass die EU mit ihrem geplanten Vorhaben für eine verbindliche Sorgfaltsprüfung und einen Haftungsmechanismus vorwärts macht und die Schweiz dann – wie im Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative mehrfach versprochen – nachzieht.

  • © Cocoabarometer 2020
  • © Kim Naylor
  • © Cocoabarometer 2020

20 Jahre «Freiwilligkeit»: Die Fortsetzung

Nestlé und Cargill werden weiterhin beteuern, dass Kindersklaverei, genauso wie Kinderarbeit in ihren Lieferketten keinen Platz hat und sie ja daran arbeiten, um dies in absehbarer Zeit mittels freiwilliger Massnahmen gemeinsam mit anderen anzugehen. Wenn dieses Geschwurbel vertraut klingt, liegt es vielleicht daran, dass es mittlerweile schon 20 Jahre alt ist. So lange ist es nämlich her, dass Nestlé, zusammen mit anderen Kakaohändlern und Schokoladefirmen, das freiwillige Harkin-Engel-Protokoll zur Bekämpfung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit unterzeichnete. Wie spätestens seit dem 2020 erschienenen, wissenschaftlichen Bericht zu Kinderarbeit im westafrikanischen Kakaoanbau bekannt ist, arbeiten dort immer noch 1,5 Millionen Kinder unter missbräuchlichen Bedingungen.

Gebracht haben die seit 20 Jahren vorgetragenen Beteuerungen und freiwilligen Massnahmen also praktisch nichts.

Und trotz unzähliger Beispiele und jahrzehntelangem Scheitern, sollen wir uns nun erneut auf Versprechen und Hochglanzbroschüren verlassen? Thanks, but no thanks! Auch das erlittene Leid der sechs ehemaligen Kindersklaven aus Mali und das von tausenden anderen wird so nicht wieder gut. Dafür bräuchte es nämlich – genau – Haftung.

«Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann - tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.» (Margaret Mead)

Silvie Lang arbeitet seit 7 Jahren bei Public Eye. Wenn sie sich nicht gerade mit der Rolle des Schweizer Agrarhandelssektors beschäftigt, bäckt und isst sie leidenschaftlich gern Kekse.

Kontakt: silvie.lang@publiceye.ch
Twitter: @silvielang

Blog #PublicEyeStandpunkte

Unsere Fachleute kommentieren und analysieren, was ihnen unter den Nägeln brennt: Erstaunliches, Empörendes und manchmal auch Erfreuliches aus der Welt der globalen Grosskonzerne und der Wirtschaftspolitik. Aus dem Innern einer journalistisch arbeitenden NGO und stets mit der Rolle der Schweiz im Blick.  

Blog per Mail abonnieren