H&M: Nachhaltig, nachhaltiger, am nachhaltigsten!

H&M setzt sich als Nachhaltigkeitspionierin in Szene. Doch ihr Geschäftsmodell mit schnellen Modezyklen und Überkonsum ist Hauptursache des Problems. Wie schafft es H&M dennoch, den Nachhaltigkeits-Diskurs in der Textilbranche zu dominieren? Eine Analyse.

Billiganbieterin und dennoch nachhaltig? Der Traum schlechthin! Und er funktioniert: H&M gehört zur Liste der Top20-Bekleidungskonzerne, die seit der Finanzkrise 2008 konstant den Markt der profitabelsten Kleiderfirmen anführen. Mit einem Gewinn von 1‘281 Mia. USD war H&M im Jahr 2017 die Nummer 6 weltweit. Ab 2007 investierte der Konzern in Zukäufe und den Aufbau weiterer Marken (Monki, Cheap Monday, Weekday, COS, &Other Stories, H&M Home, ARKET) sowie in die Eröffnung von Shops, u.a. in neuen Märkten in Asien, Russland oder Osteuropa. Heute besitzt H&M knapp 5000 Läden weltweit. Allein mit seinen 100 Läden in der Schweiz machte der Konzern 2018 einen Umsatz von 565 Mio. CHF (Jahresbericht S. 17).

Brennende Kleider

Die liberale Marktordnung gaukelt uns vor, dass wir weitermachen können wie bisher, nur eben mit höherer Effizienz. Wenn H&M also „Circular Fashion“ (Kreislaufwirtschaft) einführt oder weniger schädliche Chemikalien nutzt, kommt scheinbar alles gut. Doch dabei geht das Wichtigste vergessen: H&M ist einer derjenigen Konzerne, die das Fast-Fashion-Modell global vorantreiben und den schnellen und übermässigen Konsum fördern. Die weltweite Kleiderproduktion hat sich laut Mc Kinsey von 2000 bis 2014 verdoppelt.

Der Markt ist heute so übersättigt, dass H&M sogar ungetragene Kleider verbrennt.

Gemäss Medienrecherchen sollen es zwischen 2013 und 2017 insgesamt 60 Tonnen gewesen sein. H&M sagt es handle sich dabei um (60 Tonnen?!) beschädigte Ware. Die Kleider bieten brennbare Biomasse und ersetzen im schwedischen Kohlekraftwerk fossile Brennstoffe, so die positive Umdeutung des Skandals. Kleider - hergestellt mit vielen natürlichen Ressourcen, unter widrigen Arbeitsbedingungen und zu einem Armutslohn - ungetragen zu verbrennen: Da gibt es eigentlich nichts mehr schönzureden.

H&M stellt sich gerne als Leader im Bereich nachhaltige Mode dar.

Der 10-Punkte-Plan

Doch H&M ist gewappnet. Der Konzern dominiert den Nachhaltigkeits-Diskurs so erfolgreich, weil er sich eines ganzen Sets an Strategien bedient. Eine Kostprobe gefällig? Wir haben den Konzern unter die Lupe genommen und folgende Tipps zusammengetragen:

  1. Professionalisiere deine Kommunikation: Baue einen Kommunikationsapparat auf, der rasch, offensiv und gezielt eingreift.
  2. Demonstriere Kritikfähigkeit: Zeig dich bei öffentlichen Auftritten mit kritischen, aber systemkonformen Personen und Organisationen, die das Geschäftsmodell im Kern nicht in Frage stellen.
  3. Manage die Kritik: Tritt in den Dialog mit Kritikerinnen und Kritikern, aber natürlich nur hinter verschlossener Bürotür. Isoliere und grenze unkooperative kritische Stimmen rasch aus.
  4. Zeig dich betont unpolitisch: Baue ein unpolitisches Image auf - eine philanthropische Stiftung oder Sponsoring von Community Projekten können dabei helfen.
  5. Aber maximiere gleichzeitig deinen politischen Einfluss: Denn die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Sei daher überall präsent, wo effektiv politische Entscheide gefällt werden.
  6. Gehe strategische Allianzen ein: Binde wichtige und wohlgesinnte Akteure in deine Systeme ein, sie verhelfen dir zu mehr Ansehen und schirmen dich gegen Kritik von aussen ab.
  7. Spanne mit deinen Konkurrenten zusammen: Gestalte die öffentliche Meinung und Politikdiskurse, indem du mit andern Branchen-Leadern aufzeigst, dass es keine Regulierung braucht und Freiwilligkeit reicht.
  8. Lenk ab – und das nicht zu knapp: Setze Ton und Takt im Nachhaltigkeits-Wording, deute negative Ereignisse konsequent und positiv um.
  9. Verzögere ohne schlechtes Gewissen: Veröffentliche Abkommen und Absichtserklärungen, die zu nichts verpflichten, betreibe Nachhaltigkeitskommunikation, aber ohne verbindliche Ziele.
  10. Stifte Verwirrung: Produziere komplexe Kommunikationsprodukte, die imposant aussehen und denen Nicht-Profis nicht mehr folgen können.

Es ist nicht so wie es scheint...

Wenn Sie also den Spuren von H&M kritisch folgen möchten, dann merken Sie sich diese 10 Punkte, Sie werden sie in der Konzernkommunikation immer wieder finden. Zum Beispiel beim Thema «Existenzlohn»: 2013 kündetet H&M medienwirksam an, dass der Konzern bis 2018 bei seinen strategischen Zulieferern einen fairen Existenzlohn zahlen wolle. Was H&M nicht sagte: Die „strategischen Zulieferer“ sind nur ein Teil seiner Lieferantenstruktur, der „fairer Existenzlohn“ kommt als reine Absichtserklärung ohne Zielgrösse und ohne Verbindlichkeit daher, und der Konzern stellt sich nicht die Aufgabe, dass die Näherinnen einen real höheren Lohn erhalten, sondern lediglich, dass die H&M-Zulieferer besser Zahlungssysteme in Fabriken schaffen; so dass – theoretisch – die Zahlung höherer Löhne einfacher zu realisieren wäre.

Na, wer sagts denn: Strategie 1, 8, 9 und 10 erfolgreich umgesetzt!

«Die Information zwischen den Zeilen ist oft aufschlussreicher als im eigentlichen Text – dies gilt besonders für CSR-Berichte»

Christa Luginbühl arbeitet seit über 10 Jahren bei Public Eye und ist Mitglied der Geschäftsleitung. Ihr thematischer Schwerpunkt sind Menschen-, Frauen- und Arbeitsrechte in internationalen Lieferketten, insbesondere in der Pharmaindustrie, Landwirtschaft, im Konsum und Agrarrohstoffhandel.

Kontakt: christa.luginbuehl@publiceye.ch

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