Mercosur-Deal: Käse- statt Klimaschutz
Manuel Abebe, 4. Juli 2025
Eine knappe Woche war Wirtschaftsminister Guy Parmelin durch Argentinien und Brasilien gepilgert, bevor er vorgestern Mittwoch die frohe Botschaft verkünden durfte: Das Abkommen der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA mit den Mercosur-Staaten ist in trockenen Tüchern!
In Parmelins Schlepptau befand sich eine Wirtschaftsdelegation, deren Freude über die neuerschlossenen «rund 300 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten» offenbar riesig war. So riesig, dass der X-Post vom Industrieverband Swissmem noch vor der offiziellen Mitteilung des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco rausrutschte. Das kann nach acht Jahren geheimniskrämerischer Verhandlungen schon mal passieren.
Die Maschinenbauindustrie spricht von einem «Lichtblick […] in einer schwierigen Zeit», Economiesuisse spricht von «vitalen Interessen», denen Rechnung getragen wurde und für die Pharmakonzerne ist klar, dass Mercosur ein Wachstumsmarkt ist. Einzig die Landwirtschaft muss Konzessionen bei Fleisch und Wein eingehen, darf dafür aber künftig 900 Tonnen Gruyère-Markenkäse zollfrei exportieren.
In der bisherigen Berichterstattung um abgekartete Kontingente, geopolitische Abwägungen und diplomatische Coups ging eine mindestens ebenso wichtige Frage unter: Wie wirkt sich dieses Abkommen eigentlich auf die Rechte der betroffenen Menschen und deren Lebensraum aus?
Weil der Abkommenstext weiter unter Verschluss ist, kann es darauf noch keine abschliessende Antwort geben. Sicher aber ist: Die Risiken sind immens. Deshalb warnen neben Public Eye und anderen Schweizer NGOs auch zahlreiche kleinbäuerliche und Menschenrechts-Organisationen in den vier Mercosur-Staaten seit Jahren eindringlich vor diesem Deal. Aus diesen Hauptgründen:
Anheizen der Klimakrise
Die schnell fortschreitende Abholzung des Amazonas-Regenwalds befeuert und beschleunigt die Klimakrise massiv. Wie der kürzlich abgeschlossene EU-Mercosur-Deal erhöht auch das EFTA-Abkommen den Druck auf dieses und andere wertvolle Ökosysteme. Die Förderung der Mercosur-Exporte von Billigfleisch nach Europa treibt den globalen Treibhausgasausstoss weiter an.
Menschenrechte ungenügend abgesichert
In Brasilien wurden die Rechte indigener Gemeinschaften in den letzten Jahren empfindlich geschwächt. Noch bevor die EFTA die sozialen Auswirkungen des Abkommens untersucht hat, ist der fertige Deal auf dem Tisch. Deshalb ist die Befürchtung mehr als begründet, dass die Bestimmungen – und besonders deren Durchsetzungsmechanismen – zum Schutz der Indigenen- und Menschenrechte völlig unzureichend bleiben.
Statt Kleinbauern profitieren Grossgrundbesitzer
Von der Ausweitung des Handels profitiert primär die industrielle Landwirtschaft. Neben der industriellen Landwirtschaft in Südamerika freut dies auch Schweizer Agrarhändler oder Agrochemiemultis wie Syngenta: Der intensive Anbau von Futtermitteln wie Soja und von Exportgütern wie Orangen oder Kaffee verschlingt nämlich Unmengen ihrer hochgiftigen Pestizide. Das Nachsehen haben einmal mehr die Kleinbauern. Deren Vertreter warnten bereits, dass der wachsende Einfluss einer Handvoll Agrarkonzerne zu einer weiteren Verarmung der ländlichen Bevölkerung führe.
Public Eye und andere Organisationen haben das Seco wiederholt an seinen Verfassungsauftrag erinnert, solche schädlichen Auswirkungen zu verhindern. Und zwar durch verbindliche Nachhaltigkeitskriterien, die mit griffigen Sanktionsmechanismen hinterlegt sind. Bislang gibt es keinerlei Anzeichen, dass der dieser Deal solch durchsetzbare Bestimmungen enthält.
Darüber hinaus braucht die Schweiz endlich eine gesetzliche Grundlage, die eine gerechte, menschenrechtskonforme und nachhaltige Aussenwirtschaftspolitik sicherstellt.
Heute hat Guy Gruyère, äh pardon: Parmelin seine frohe Botschaft des lange geköchelten Mercosur-Deals nun auch in der Schweiz verkündet. Standesgemäss wurde er am Flughafen Zürich wie ein Held empfangen, denn Freihandel ist hierzulande ein auf höchstem Niveau betriebener Nationalsport. Zur Feier wurden anschliessend vermutlich Gruyère-Plättli serviert. Konsequenterweise mit brasilianischem Rindfleisch-Carpaccio, abgerundet mit argentinischem Rotwein. Beim faden Beigeschmack eines solchen Menus würde Polit-Gourmets klar: Enthält das Mercosur-Abkommen keine verbindlichen Bestimmungen zu Nachhaltigkeit, muss das Parlament unbedingt nachbessern und das Rezept ändern!

«That’s it! Cheese! We’ll go somewhere where there’s cheeeeeese!» – Wallace
Manuel Abebe koordiniert bei Public Eye die Handelspolitik und recherchiert zum Rohstoffhandel.
Kontakt: manuel.abebe@publiceye.ch
Twitter: @manuelabebe
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