Mick Jagger streckt Shein die Zunge raus

Ein Merchandising-Vertrag zwischen Shein und den Rolling Stones ist geplatzt, nachdem die legendäre Band von den üblen Arbeitsbedingungen beim Wegwerfmode-Konzern in China erfahren hat. Aufgedeckt wurden diese vor einem Jahr von Public Eye. Anschlussrecherchen britischer Leitmedien haben die Steine schliesslich ins Rollen gebracht. Die ethischen Standards von Jagger & Co sollten dem in solchen Fragen bislang ignoranten Roger Federer zu denken geben. 

«Ooops! Wir haben leider kein passendes Produkt gefunden, bitte versuchen Sie es erneut»: Diese Auskunft bekommt, wer auf der Shein-Website «The Rolling Stones» sucht. Bis Ende November fand man so noch eine Kollektion mit Kleidungsstücken und Accessoires, die alle das ikonische Zungen-Motiv der britischen Ur-Rocker trugen. Ein T-Shirt damit kostete laut dem US-Wirtschaftsmagazin Fortune 5,39 Dollar, eine Handytasche 1,80 Dollar und eine Mütze 6 Dollar. Lanciert wurden diese drei und 57 weitere Billig-Produkte anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Gruppe – und quasi über Nacht wieder entfernt aus dem globalen Online-Laden. 

«Ooops! Kein passendes Produkt gefunden»: Wer bei Shein eines der 60 Rolling-Stones-Produkte kaufen will, klickt seit kurzem ins Leere.

Der Grund: Das Londoner «i» hatte das Stones-Management mit einer Dokumentation konfrontiert, die das Web-Magazin gemeinsam mit Channel 4, dem RTL von Grossbritannien, recherchiert hatte. Darin berichteten sie über 18-Stunden-Tage und miese Löhne bei chinesischen Shein-Zulieferern. Diese Missstände hatte Public Eye bereits vor einem Jahr publik gemacht. Und dafür ein weltweites Medienecho geerntet, inklusive prominentem Auftritt bei Channel 4. 

Vermeldet wurde die spektakuläre Kündigung des Lizenzvertrags zwischen Universal, dem Musiklabel und Exklusiv-Vermarkter der Stones-Produkte, und Shein natürlich auch von «i». Und dann in Windeseile weltweit kolportiert (von der Washington Times bis zu 20 Minuten). «The Rolling Stones show no sympathy for Shein» titelte etwa ein wichtiger Modebranchendienst, natürlich in Anspielung auf einen der grössten Hits der britischen Kultband. 

Kritisiert wurde aber nicht nur (einmal mehr) Shein für seine skandalösen Produktionsbedingungen, sondern auch das Management und die Merchandising-Agentur der Stones. Und zwar, weil sie erst auf journalistische Aufforderung hin handelten, aber gemäss dem Londoner Online-Magazin «bereits Monate vor Vertragsabschluss von den schwerwiegenden Vorwürfen einer Schweizer NGO bezüglich der Zustände in Sheins Lieferkette» hätten wissen können, ja müssen.

Die berühmten Steine ins Rollen brachte also Public Eye, auch ganz offiziell. 

Doch nicht alle Weltstars haben eine so lernfähige und reaktive Entourage. Als etwa Roger Federer vor über vier Jahren von Public Eye gebeten wurde, sich bei seinem Kleidersponsor Uniqlo für die Begleichung der umgerechnet sechs Millionen Franken einzusetzen, die der japanische Konzern 2000 seiner indonesischen Arbeiter*innen an Lohnzahlungen schuldet, stellte sich sein Management taub.

«Roger Federer würde weinen, wenn er wüsste, wie sein neuer Sponsor Uniqlo geschäftet», hiess es in unserem Kampagnenvideo von 2018 (Klick aufs Bild). Ob er weinte, wissen wir nicht - gehandelt hat er jedenfalls nicht.

Weder die über 10‘000 Protest-Mails besorgter Fans noch Schlagzeilen wie «Näherinnen bluten für King Roger» veranlassten den Tennisgott oder seine Imagewächter und Geldverwalter damals zur geringsten Reaktion. So viel Gleichgültigkeit hätte dem sonst für seine Integrität weltweit geschätzten Basler niemand zugetraut. 

Wieso handeln die Bad Boys des Rock’n’Roll also ethischer als der Saubermann des Spitzensports? Hegt Federer wirklich mehr «Sympathy for the fashion devil» als Jagger? Oder müsste der Frühpensionär einfach mal sein Management auswechseln? Der jährlich mit 30 Millionen Dollar dotierte Werbevertrag mit Uniqlo läuft jedenfalls auch nach dem Abschied vom Tenniscourt bis 2028 weiter. Und die indonesischen Näher*innen warten immer noch auf die ihnen zustehende Entschädigung.

Also Roger, just do it (wie dein Ex-Sponsor zu sagen pflegte)! 

«Als Sprachrohr, Spin Doktor und Schreiberling weiss ich: Die Wahrheit ist ein Näherungswert, keine An­sichts­sache. Guter Journalismus weiss und zeigt das.»

Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tagesanzeiger.

Kontakt: oliver.classen@publiceye.ch
Twitter: @Oliver_Classen

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