Menschen­rechts­analysen gefordert

© Carine Pionetti
Viele Industrieländer fordern von den Ländern des Südens, ein strengeres Reglement zum Schutz der Pflanzenzüchtung einzuführen. Um aufzuzeigen, welche Auswirkungen dies auf das Recht auf Nahrung hat, führte Public Eye gemeinsam mit Partnerorganisationen eine Menschenrechtsanalyse durch.

Seit Jahren kritisiert Public Eye die Schweiz und andere Industrieländer für den Druck, den sie auf Entwicklungsländer ausüben, damit diese dem Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) beitreten. Mit dem Beitritt zu dieser zwischenstaatlichen Organisation verpflichten sich Länder, in ihren nationalen Gesetzen ein höheres Schutzniveau für kommerzielles Saatgut und Pflanzmaterial zu verankern. Seit Jahren weist Public Eye schon darauf hin, dass bei der Entwicklung des UPOV-Systems die Länder des Südens nicht am Verhandlungstisch sassen. Daher entspricht das System weder den Bedürfnissen noch den Interessen dieser Länder.

«Owning Seeds, Accessing Food»

Mit der Veröffentlichung einer umfassenden Pionierstudie zeigte Public Eye, wie von traditioneller Saatgut-Vermehrung abhängige Kleinbauernfamilien im Süden durch einen UPOV-Beitritt der jeweiligen Länder existenziell gefährdet würden. Die Studie «Owning Seeds, Accessing Food – A human rights impact assessment of UPOV 1991 based on case studies in Kenya, Peru and the Philippines» (2014) beschreibt und belegt erstmals die konkreten Einschränkungen durch strenge Sortenschutz-Gesetze für Kleinbauern und –bäuerinnen bei der Verwendung von geschütztem Saatgut aus der vorjährigen Ernte. Denn UPOV verbietet grundsätzlich den Tausch und Verkauf von derart produziertem Saatgut und schränkt die freie Verwendung, selbst auf dem eigenen Feld, erheblich ein.

Die strengen Sortenschutz-Gesetze schränken Kleinbauern und –bäuerinnen bei der Verwendung von geschütztem Saatgut aus der vorjährigen Ernte stark ein.

Bilaterale Freihandelsabkommen (FHA) sind ein beliebtes Instrument, um Entwicklungsländer zu einem UPOV-Beitritt zu drängen. Auch die Schweiz hat in früheren FHA-Verhandlungen immer wieder entsprechende Forderungen formuliert. Gleichzeitig hat sie sich aber auch geweigert, die von Public Eye seit Jahren geforderten Menschenrechtsanalysen (sog. Human Rights Impact Assessments, HRIA) durchzuführen. Mit diesen Analysen können mögliche negative Auswirkungen auf die Menschenrechte im Partnerland vorgängig identifiziert und damit verhindert werden. Mit seiner Antwort auf eine im März 2015 von Nationalrätin Claudia Friedl eingereichten Interpellation zum Verzicht auf Forderungen nach strengen Sortenschutzgesetzen in Freihandelsabkommen wird die hartnäckige Weigerung des Bundesrates deutlich, vorgängige Menschenrechtsanalysen durchzuführen.

Beunruhigende Resultate

Wegen der Untätigkeit der Schweizer Regierung und dem zunehmenden Druck auf die Länder des Südens, ihre Sortenschutz-Gesetze zu ändern, ergriff Public Eye selbst die Initiative und führte in einem gross angelegten Projekt gemeinsam mit anderen NGOs eine Menschenrechtsanalyse durch. In Zusammenarbeit mit lokalen Fachleuten untersuchte sie in Kenia, Peru und den Philippinen, wie sich ein UPOV-Beitritt und die daraus resultierenden Saatgutschutz-Gesetze auf das Recht auf Nahrung marginalisierter Bevölkerungsgruppen auswirken würde. Die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung sind beunruhigend: Die meisten Produzentinnen im Süden sind für den Zugang zu Saatgut und Pflanzmaterial vom informellen Saatgutsystem abhängig, d.h. auch der Zugang zu kommerziellem Saatgut geschieht über eigenen Nachbau, Tausch zwischen Bauernfamilien oder den Kauf von anderen Bäuerinnen und Bauern auf lokalen Märkten. Wenn dieses informelle Saatgutsystem durch die Einführung strenger Sortenschutz-Gesetze à la UPOV eingeschränkt wird, erschwert dies den Zugang zu Saatgut und kann somit das Recht auf Nahrung von Kleinbauern und –bäuerinnen gefährden. Durch diese Sortenschutzrechte werden traditionelle Praktiken für den Erhalt, die nachhaltige Nutzung und Weiterentwicklung von Saatgut illegalisiert. Der Verlust dieses traditionellen Wissens kann mittelfristig das Recht auf Nahrung ebenfalls gefährden. 

© Carina Pionetti
Nicht nur Früchte und Gemüse, auch das Saatgut wird in den untersuchten Ländern grossteils auf lokalen Märkten gehandelt.

Die Schweiz muss handeln

Aufgrund dieser Erkenntnisse richten Public Eye und ihre Partnerorganisationen konkrete Forderungen an die Regierungen, insbesondere an die Schweiz:

  • Vor der Einführung oder Änderung von Sortenschutzrechten müssen betroffene Regierungen zwingend eigene Menschenrechtsanalysen durchführen.
  • Zum Schutz ihrer kleinbäuerlichen Bevölkerung sollten Regierungen die vorhandenen Spielräume ausnutzen, welche ihnen das TRIPS-Abkommen und andere internationale Vereinbarungen bieten. Es gibt Alternativen zum UPOV-System.
  • Die Schweiz soll in Freihandelsverträgen auf jegliche Forderungen betreffend Sortenschutzrechten verzichten.
  • Die Schweizer Regierung muss endlich Menschenrechtsanalysen durchführen, bevor sie neue Freihandelsabkommen abschliesst. Nur damit kann sie sicherstellen, dass sie ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nachkommt.

Gemeinsam mit ihren PartnerInnen hat Public Eye diese Forderungen bei den entsprechenden Stellen deponiert. Mit Veranstaltungen bei UNO-Menschenrechtsgremien, der FAO und auf nationaler Ebene informieren wir wichtige Akteurinnen über die Studienergebnisse. Die Studie und das zugehörige Factsheet stehen in mehreren Sprachen zur Verfügung.