Bilaterale Handelspolitik

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Seit die Liberalisierungsbemühungen im Rahmen der multilateralen Handelspolitik der Welthandelsorganisation (WTO) ins Stocken geraten sind, setzen viele Länder – so auch die Schweiz – vermehrt auf bilaterale Freihandelsabkommen (FHA). Heute gibt es weltweit rund 400 FHA. Diese Verträge regeln den Schutz geistigen Eigentums, den Handel von Landwirtschafts- und Industrieprodukten, Dienstleistungen und Investitionen zwischen zwei Ländern.

Im Vergleich zu multilateralen Abkommen gehen die Liberalisierungsbemühungen in FHA weiter. FHA zwischen Industrieländern und Ländern des globalen Südens sind für letztere oft nachteilig, da ein stärkerer Patentschutz und ein liberalisierter Finanzsektor wirtschaftlich schwach entwickelte Länder teuer zu stehen kommen können. Ausserdem entzieht der geforderte Zollabbau bei Industriegütern ihnen dringend notwendige Mittel für die Armutsbekämpfung. Auch wird ihr politischer Handlungsspielraum zusätzlich eingeschränkt und damit die Möglichkeit, ihre Wirtschaftspolitik auf die eigenen Bedürfnisse auszurichten. Entsprechend warnt die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem Bericht von 2007:

Die Gewinne der Entwicklungsländer aus verbessertem Marktzugang durch Freihandelsabkommen sind nicht garantiert und könnten sich als kurzlebig erweisen; der Verlust an politischem Handlungsspielraum ist hingegen sicher.

Schweizer FHA: weder Entwicklungsorientierung noch Menschenrechtssensibilität

Für die Schweiz sind FHA das wichtigste aussenwirtschaftspolitische Instrument. Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) soll damit Schweizer Unternehmen ein möglichst diskriminierungsfreier Zugang zu ausländischen Märkten verschafft und somit die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz gefördert werden. FHA dienen also einseitig der Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen, ohne Rücksicht auf entwicklungspolitische Erfordernisse.

Entsprechend dem aussenwirtschaftspolitischen Ziel eines stetig verbesserten Marktzugangs hat die Schweizer Handelsdiplomatie in den vergangenen zehn Jahren ein dichtes Netz von bilateralen Abkommen ausgehandelt. Rund die Hälfte der gegenwärtig über 30 FHA wurde mit Entwicklungs- und Schwellenländern abgeschlossen.

Mit wenigen Ausnahmen werden die Verhandlungen im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA: Economic Free Trade Association) geführt. Eine dieser Ausnahmen ist das 2013 in Kraft getretene Abkommen mit China.

Bereits seit 2008 laufen EFTA-Verhandlungen mit Indien. Auch mit den wirtschaftlich attraktiven asiatischen Ländern  Malaysia und Thailand werden FHA angestrebt. Das Abkommen zwischen den EFTA-Saaten und Indonesien trat 2021 in Kraft. Mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay konnten die Verhandlungen 2019 abgeschlossen werden. Allerdings ist der Prozess seither blockiert und das Abkommen entsprechend noch nicht in Kraft.

Public Eye beanstandet die fehlende Entwicklungsorientierung und Menschenrechtssensibilität der schweizerischen FHA-Politik. Die Schweiz muss daher auf jegliche Forderungen verzichten, die die nationalen Entwicklungsbemühungen der Verhandlungsstaaten unterlaufen oder die Menschenrechte gefährden könnten. In Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Südländern sowie im EFTA-Partnerland Norwegen kritisiert Public Eye auch den intransparenten und demokratisch defizitären Verhandlungsprozess.

Public Eye fordert von der Schweiz

  • eine schweizerische Handelspolitik, die bei Verhandlungen die Respektierung und Förderung der Menschen- und Arbeitsrechte ins Zentrum stellt;
  • die systematische Durchführung vorgängiger menschenrechtlicher Analysen bei allen künftigen bilateralen Freihandelsabkommen mit Ländern im globalen Süden - und die Bereitschaft der Schweiz, die Resultate solcher Abklärungen als Grundlage für FHA-Verhandlungen zu verwenden;
  • griffige und verbindliche Nachhaltigkeitsbestimmungen in FHA, um den Schutz grundlegender Arbeits- und Menschenrechte sowie der Umwelt einzufordern; 
  • dass sie keine Forderungen im Bereich des geistigen Eigentums stellt, die über das TRIPS-Abkommen der WTO hinausgehen;
  • eine transparente und zeitnahe Information der Öffentlichkeit und des Parlaments über die schweizerischen Positionen und Forderungen (inkl. des Verhandlungsmandats) in den FHA-Verhandlungen,
  • sowie die Ausarbeitung eines Aussenwirtschaftsgesetzes, das die Stossrichtung für die Politikgestaltung vorab festlegt und den Menschenrechts- und Umweltschutz ins Zentrum stellt. Darin sollen auch Mitwirkungsverfahren festgelegt werden.

Public Eye kritisiert den bilateralen Ansatz aber auch grundsätzlich. Entgegen der Behauptung der offiziellen Schweiz sind nämlich FHA nicht eine Ergänzung zum multilateralen Ansatz, sondern konkurrenzieren diesen. Denn bilaterale Verhandlungen absorbieren beträchtliche Ressourcen und politische Aufmerksamkeit, die sonst den multilateralen Verhandlungen zugutekämen. Damit unterminieren sie das globale Handelssystem. FHA werden daher auch Termiten im Handelssystem genannt. Diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung stammt nicht etwa aus der globalisierungskritischen Ecke, sondern von Columbia-Professor Jagdish Bhagwati, einem der profiliertesten Befürworter des Freihandels. Er kritisiert, dass FHA das Meistbegünstigungsprinzip untergraben – den Grundsatz, dass allen Vertragspartnern dieselben Handelsvorteile gewährt werden müssen – und damit einen Grundpfeiler des multilateralen Handelssystems ins Wanken bringen. Auch die WTO ist zunehmend besorgt über die massive Ausbreitung bilateraler Abkommen. Schon 2005 konstatierte ein von ihr in Auftrag gegebener Bericht, dass das Meistbegünstigungsprinzip nicht länger die Regel, sondern vielmehr die Ausnahme darstellt.