Krebs, Fehlbil­dun­gen und Frucht­bar­keits­störungen

© Lunaé Parracho/Reuters
Während mehrerer Monate haben wir umfassende Daten zu Pestizidverkäufen im Jahr 2018 ausgewertet. Unseren Analysen zufolge haben die fünf grössten Agrochemiekonzerne knapp ein Viertel ihrer Verkäufe mit Pestiziden realisiert, die langfristig der Gesundheit schaden können.

Gemäss unserer Analyse der Daten von Phillips McDougall haben BASF, Bayer, Corteva Agriscience, FMC und Syngenta 2018 ein knappes Viertel ihrer Umsätze (22%) – rund 3 Milliarden US-Dollar – mit Pestiziden erzielt, die bei wiederholter und langfristiger Exposition selbst in niedrigen Dosen verheerende gesundheitliche Folgen haben können. Dabei sind die effektiven Umsatzzahlen deutlich höher, da die verfügbaren Daten nicht den gesamten Markt abdecken. Jene Pestizide, die als «bei Menschen wahrscheinlich krebserregend» eingestuft sind, machten 2018 alleine 13% der Verkäufe der CropLife-Mitglieder aus.

Wir wollten wissen, welche der fünf Konzerne am stärksten am Verkauf dieser schädlichen Pestizide beteiligt sind. Es sind die deutschen Chemieriesen Bayer und BASF sowie die schweizerische Syngenta: 85% der Verkäufe aus dieser Kategorie gehen auf ihr Konto. Unter ihren Hauptprodukten sind 54 Stoffe, die von nationalen oder internationalen Behörden als wahrscheinlich krebserregend, fortpflanzungsgefährdend oder hormonaktiv eingestuft werden.

Die Agrochemiekonzerne wälzen ihre Verantwortung ab, indem sie behaupten, die Belastung der Bevölkerung sei so gering, dass die Substanzen keine Gefahr darstellten. Doch für den Toxikologen Christopher Portier, der auf über 30 Jahre Erfahrung als Toxikologe bei den US-Gesundheitsbehörden zurückblickt, ist dieses Argument falsch: «Diese Produkte stellen ein hohes Risiko dar und gehören zu den weltweit am häufigsten verwendeten Pestiziden. Ihre schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit sind unbestreitbar.»

König der Kontroversen

Ein einziges Pestizid ist für ein Drittel dieser Verkäufe – 1 Milliarde US-Dollar – verantwortlich: Glyphosat. Das weltweit am häufigsten verwendete Pestizid wurde 2015 von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO (IARC) als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Diese Nachricht sorgte auch in der Schweiz für Aufsehen, denn in rund 40% der Lebensmittel wurden Glyphosat-Rückstände gefunden.

Im selben Jahr kamen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die US-Umweltschutzbehörde (US EPA) zum Schluss, dass Glyphosat kein Risiko für Krebs mit sich bringe.

«Die Einstufung der IARC ist absolut korrekt», sagt Christopher Portier, der an der Beurteilung von Glyphosat durch die WHO-Organisation mitgearbeitet hat. Er hat in den letzten drei Jahren systematisch vertrauliche Studien der EFSA studiert, die aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs schliesslich veröffentlicht werden mussten. «Es besteht kein Zweifel, dass Glyphosat bei Versuchstieren Krebs auslösen kann. Und es gibt Belege für einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs beim Menschen, vor allem für das Non-Hodgkin-Lymphom».

Die Mitgliedstaaten der EU verlängerten die Zulassung für Glyphosat letztlich bis 2022. Etliche Länder, darunter Frankreich und Deutschland, kündigten bereits an, das Pestizid ab 2023 verbieten zu wollen, selbst wenn die EU die Zulassung dann erneut verlängern sollte.

Die überwiegende Mehrheit der Glyphosatverkäufe sind Bayer zuzuschreiben. Durch die umstrittene Übernahme von Monsanto wurde die Firma zum Weltmarktführer des Herbizids. An zweiter Stelle steht der Basler Konzern Syngenta mit 15% der Verkäufe. In den Vereinigten Staaten, dem grössten Glyphosat-Markt, ist Bayer mit einer Welle von Klagen durch Landwirtinnen und Landwirte konfrontiert. Diese machen das Herbizid für ihre Krebserkrankungen verantwortlich, und mehrere von ihnen haben bereits aufsehenerregende Prozesse gewonnen.

Es könnte den deutschen Konzern bis zu 10 Milliarden US-Dollar kosten, die Angelegenheit beizulegen.

«Diskrete» Giftstoffe

Unsere Analyse zeigt, dass die fünf CropLife-Konzerne nicht nur mit Glyphosat, sondern auch mit 29 Pestiziden, die von der US-EPA als «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft werden, lukrative Geschäfte machen. Diese Stoffe werden weltweit in grossen Mengen eingesetzt, sind aber der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Eines davon ist das von Bayer vertriebene Epoxiconazol, ein gemäss US EPA «wahrscheinlich krebserregendes» Fungizid, das zudem von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) als «fortpflanzungsgefährdend» eingestuft wird, da es die Geschlechtsfunktion, die Fruchtbarkeit und die Entwicklung von ungeborenen Kindern beeinträchtigen kann. Dieser Stoff wurde in Frankreich kürzlich verboten, ist aber in der Schweiz und der EU noch immer zugelassen. Das Verbot in Frankreich beruht auf der Einschätzung der nationalen Gesundheits- und Sicherheitsbehörde, dass Epoxiconazol ein hormonaktiver Stoff sei, der «für Mensch und Umwelt ein besorgniserregendes Risiko darstellt».

Zu den CropLife-Bestsellern gehört auch Atrazin, ein von Syngenta vermarktetes Herbizid. Es kann das Hormonsystem stören und dadurch beim Menschen die Entwicklung und das Fortpflanzungssystem beeinträchtigen. Das äusserst langlebige Atrazin wurde in der Schweiz und in der EU vor einigen Jahren wegen grossflächiger Verunreinigung von Trinkwasserquellen und systematischen Überschreitungen des zulässigen Grenzwertes verboten. In Brasilien und den USA, Syngentas wichtigsten Märkten, gehört Atrazin zu den am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesenen Stoffen.

Eine tickende Zeitbombe

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Exposition gegenüber diesen Pestiziden ein erheblicher Risikofaktor für viele chronische Krankheiten ist, darunter verschiedene Krebsarten, neurodegenerative Erkrankungen, Fehlbildungen und Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung. In Entwicklungs- und Schwellenländern ist der Einsatz dieser Pestizide noch gefährlicher als in Europa, wie uns mehrere Expertinnen und Experten bestätigten, darunter Hans Muilerman, Toxikologe bei PAN Europa: «Die Regulierungen sind in diesen Ländern meist deutlich weniger streng als in der Europäischen Union. Daher sind die Menschen diesen Stoffen viel stärker ausgesetzt.» In Argentinien beispielsweise, einem der grössten Pestizidmärkte, sei «das Versprühen aus der Luft immer noch erlaubt. Die Dorfbevölkerung in der Nähe der Felder ist den Stoffen regelmässig ausgesetzt und wird krank», erklärt er.

Brasilien ist der grösste Abnehmer von Pestiziden, die erwiesenermassen chronische Folgen für die menschliche Gesundheit haben. Dort «zeigt sich in der Forschung eine Zunahme von Fehlbildungen, schweren Hautreizungen und Atemproblemen, verschiedener Formen von Krebs und neurologischen Problemen, die mit der Pestizidbelastung in Verbindung stehen», sagt Baskut Tuncak.

Zahlreiche brasilianische Wissenschaftlerinnen und Ärzte äussern sich öffentlich und warnen vor den verheerenden Folgen hochgefährlicher Pestizide, deren Einsatz durch die verantwortungslose Politik des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro noch zusätzlich gefördert wird.

Die wissenschaftliche Gemeinschaft kommt zu höchst beunruhigenden Schlüssen: Der massive Einsatz von Pestiziden in Brasilien hat schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung. Renommierte Spezialisten liefern uns ihre Analysen zu diesem schwerwiegenden Problem der öffentlichen Gesundheit. Der Schweizer Konzern Syngenta spielt eine wichtige Rolle in diesem toxischen Geschäft.