Pestizide, die Bäuerinnen und Bauern vergiften

© Atul Loke/Panos
Einige Pestizide sind so giftig, dass sie bereits nach einmaligem oder kurzfristigem Kontakt zu schweren Vergiftungen oder sogar zum Tod führen können: Solch hochgiftige Pestizide verursachen jedes Jahr etwa 25 Millionen akute Vergiftungen, darunter 220’000 Todesfälle – hauptsächlich in Entwicklungsländern.

Unsere Analyse der Daten von Phillips McDougall zeigt, dass die fünf Mitglieder von CropLife (BASF, Bayer, Corteva Agriscience, FMC und Syngenta) 2018 4% ihrer Verkäufe, also etwa 600 Millionen US-Dollar, mit Pestiziden umsetzten, die für Menschen akut hochgiftig sind. Wohlbemerkt: Das sind äusserst konservative Schätzungen, da die verfügbaren Daten nur 40% des Weltmarktes abdecken.

Syngenta (die betont, die Sicherheit der Anwender ihrer Produkte sehr ernst zu nehmen) ist für zwei Drittel dieser Verkäufe verantwortlich. Ihre wichtigsten Absatzmärkte dafür sind Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen Bäuerinnen und Bauern sowie Landarbeitende nicht die nötigen Mittel und Möglichkeiten haben, sich angemessen zu schützen.

Laut Schätzungen der WHO verursachen solch hochgiftige Pestizide jedes Jahr etwa 25 Millionen akute Vergiftungen, darunter 220’000 Todesfälle. Aber diese Zahlen aus dem Jahr 1990 werden dem heutigen Ausmass der Problematik nicht ansatzweise gerecht. «Unsere Forschung zeigt, dass die Probleme heute viel grösser sind, denn der Pestizideinsatz in Entwicklungsländern hat in den letzten 30 Jahren explosionsartig zugenommen», sagt Meriel Watts. Die Wissenschaftlerin schliesst derzeit eine Analyse von weltweit erhobenen Daten ab, um die aktuelle Zahl der Vergiftungen genauer schätzen zu können.

  • Dass Sumesh Kanande diese Schutzausrüstung bei über 40 Grad Celsius tragen sollte, wirkt wie ein schlechter Witz. © Atul Loke / Panos Pictures
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«Made by Syngenta»

Zu den Bestsellern der CropLife-Konzerne gehören insgesamt 21 akut hoch giftige Pestizide. Zehn davon wurden durch die WHO den höchstmöglichen Gefahrenstufen («hochgefährlich» oder «extrem gefährlich») zugeordnet. Die meistverkaufte Substanz ist ein Insektizid aus dem Hause Syngenta: Lambda-Cyhalothrin. Obwohl es von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) als «tödlich bei Einatmung» eingestuft wird, ist es in der EU noch immer zugelassen. Zudem schreibt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vor, dass bei der Anwendung eine komplette Schutzausrüstung getragen werden muss, um eine Gefährdung der Gesundheit zu vermeiden. 2017 gab es Bestrebungen, Lambda-Cyhalothrin in die Stoffliste des Rotterdamer Übereinkommens aufzunehmen, welches den grenzüberschreitenden Handel mit gefährlichen Chemikalien regelt. Das Insektizid hatte in diversen Ländern, darunter Georgien, Tansania und Chile, eine hohe Anzahl akuter Vergiftungen verursacht. Der Antrag wurde jedoch nach starkem Widerstand von Indien, und gemäss unseren Quellen auch von Syngenta, verworfen.

Am zweitbesten verkauft sich ein langjähriger Topseller des Basler Konzerns: Paraquat. Dieses Herbizid ist wegen seiner «hohen akuten Toxizität» in der Schweiz seit 1989 verboten. In der EU wurde es 2007 vom Markt genommen, nachdem ein Gerichtsurteil hohe Gesundheitsrisiken durch die Substanz festgestellt hatte. Paraquat ist so giftig, dass die versehentliche Einnahme eines einzigen Schlucks tödlich sein kann. Das Pestizid wird in Entwicklungsländern immer wieder für Suizidversuche benutzt, die in etwa der Hälfte der Fälle tödlich enden. «Paraquat ist bekannt für die Suizide», berichtet Meriel Watts. «Aber es vergiften sich auch sehr viele Landwirte oder Landarbeiterinnen, die das Herbizid ohne angemessenen Schutz oder mit mangelhafter Ausrüstung ausbringen – teils mit tödlichem Ausgang». Zudem steht Paraquat erwiesenermassen mit der Parkinson-Krankheit in Verbindung.

Eine weitere, höchst problematische Substanz ist Beta-Cyfluthrin von Bayer. Das Insektizid wird von der WHO in der höchsten Kategorie für akute Toxizität eingestuft. Eine Untersuchung der EFSA aus dem Jahr 2018 ergab, dass die Exposition gegenüber Beta-Cyfluthrin für Arbeitnehmende in der EU «selbst bei der Verwendung von Schutzausrüstungen» das akzeptable Ausmass überschritt. Die Substanz wird jedoch in der EU wie in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern weiterhin verwendet.

Landwirte zahlen den höchsten Preis

«In Indien sind Pestizide die zweithäufigste Todesursache nach Verkehrsunfällen», sagt Dr. Ashish Bhalla, Professor für Innere Medizin und Präsident der Asia-Pacific Association of Medical Toxicology (APAMI). Offizielle Daten der Regierung verzeichnen in Indien jährlich 7000 Todesfälle infolge Pestizidvergiftungen. CropLife behauptet, dass Bäuerinnen und Landarbeiter geschult seien und das Tragen von Schutzausrüstungen gefördert würde, um Risiken zu reduzieren. Aber für Narasimha Reddy Donthi, Direktor von PAN India, ist es «absolut verantwortungslos, dass die Agrochemiekonzerne den Einsatz solch hochgiftiger Pestizide in einem Land wie Indien unterstützen. Sie können aufgrund fehlender Bildung, Armut und mangelnder Durchsetzung der Gesetze nicht sicher eingesetzt werden».

«Die tatsächliche Wirksamkeit der Schutzausrüstungen wird heute durch die Wissenschaft grundsätzlich in Frage gestellt. Zudem sind Schutzkleider in den meisten Ländern mit niedrigem Einkommen, etwa in Afrika, oft nicht einmal verfügbar. Sie sind für die meisten Bauern und Bäuerinnen unerschwinglich oder in tropischen und subtropischen Gebieten wegen der Hitze ohnehin unbrauchbar», erklärt Moritz Hunsmann, Forscher am grössten französischen Forschungszentrum (CNRS). Gemäss dem internationalen Verhaltenskodex für Pestizidmanagement, den die Mitglieder von CropLife unterzeichnet haben, sollen Hersteller davon absehen, in tropischen Ländern Pestizide zu verkaufen, deren Verwendung eine Schutzausrüstung erfordert.

In Brasilien generierten die Konzerne von CropLife 2018 über die Hälfte ihrer Umsätze mit akut hoch toxischen Pestiziden. Das brasilianische Gesundheitsministerium verzeichnete in den letzten drei Jahren durchschnittlich 4763 Vergiftungsfälle pro Jahr. Betroffen waren auch mehr als 150 Säuglinge im Alter von 0-12 Monaten. «Für jeden registrierten Fall gibt es etwa 50 Vergiftungen, die nicht gemeldet werden. In nur drei Jahren gab es also wahrscheinlich über 700’000 Vergiftungsfälle», sagt Larissa Bombardi, die Autorin des Pestizid-Atlas über Brasilien.

Wir haben uns im Bundesstaat Mato Grosso in Brasilien auf die giftigen Spuren dieses lukrativen Geschäftsmodells gemacht. Public Eye Reportage, April 2019.