Seitenwechsel im Pharmabereich Unter welchem Einfluss der Industrie stehen Schweizer Behörden?

Eine Recherche von Public Eye zeigt erstmals das Ausmass der Seitenwechsel von Mitarbeitenden zwischen der Pharmaindustrie und den beiden Regulierungsbehörden Swissmedic und Bundesamt für Gesundheit (BAG). Dieses auch als «Revolving Door» bekannte Phänomen erhöht das Risiko, dass Unternehmen direkten Einfluss auf die Arzneimittelpolitik nehmen. Will die Schweiz solche Interessenkonflikte wirksam bekämpfen und das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Behörden aufrechterhalten, muss sie ambitioniertere Massnahmen ergreifen und darüber Rechenschaft ablegen.

Ein Bundesrat wechselt unmittelbar nach Ablauf seiner Amtszeit zu einem führenden Konzern der Baubranche, für die er als Minister zuvor zuständig gewesen war. Eine Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) tritt weniger als ein Jahr nach ihrem Rücktritt aus dem Amt in den Verwaltungsrat von Nestlé ein, einem Multi, dessen kommerzielle Interessen sie als Botschafterin und Chefunterhändlerin der Schweiz in internationalen Gremien vertreten hat. Ein Vize-Direktor des BAG, der für den Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung zuständig ist, wird ohne Karenzfrist zum neuen Geschäftsführer einer privaten Krankenkasse. Der Wechsel von hochrangigen Führungskräften der öffentlichen Verwaltung oder von Regierungsmitgliedern in die Privatwirtschaft sorgt gelegentlich für Schlagzeilen und weckt berechtigte Befürchtungen in Bezug auf Interessenkonflikte und die Unabhängigkeit der Behörden.

Sind «Revolving Doors», also der Wechsel von staatlichen Stellen in die Privatwirtschaft, eine seltene Ausnahme oder vielmehr gängige Praxis? Betrifft es nur Topkader oder alle Hierarchieebenen? Und wie sieht es mit den «Reverse Revolving Door» aus, dem weniger beachteten Wechsel vom privaten zum öffentlichen Sektor, der jedoch ebenso dazu beitragen kann, den Einfluss der Privatwirtschaft auf politische Prozesse und Strukturen, auch bekannt als «Corporate Capture», zu verstärken?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mit Unterstützung des Recherchekollektivs WAV eine in der Schweiz bisher einzigartige Recherche durchgeführt. Ziel war es, Fälle des Revolving-Door-Phänomens in der Pharma zu erfassen, d. h. Seitenwechsel zwischen der Pharmaindustrie – einem Sektor, dessen Lobbying im Parlament und in der Verwaltung ausführlich dokumentiert ist – und jenen zwei Bundesämtern, welche die Schweizer Arzneimittelpolitik prägen: Swissmedic und das BAG (siehe unsere Methodik am Textende der Seite).

Häufige Seitenwechsel zwischen Pharma und Regulierung

Unsere Recherche erfasst 239 Personen, die in mindestens einen Seitenwechsel im Pharmasektor involviert sind. Davon entfallen 173 Personen auf Swissmedic und 66 Personen auf das BAG (siehe Grafik unten).

Allgemeiner betrachtet haben von den 741 Personen, von denen wir feststellen konnten, dass sie bei Swissmedic tätig waren, 294 in mindestens einem Pharmaunternehmen gearbeitet – das sind fast 40 %, unabhängig von ihrem Aufgabenbereich. Beim BAG, dessen Auftrag im Bereich der öffentlichen Gesundheit weit über die reine Arzneimittelpolitik hinausgeht, liegt dieser Wert bei 13 % (201 von 1591 erfassten Personen).

Von den 239 Personen, die insgesamt einen Seitenwechsel im Pharmabereich vollzogen haben, wiederholten 43 (d.h. 18%) diese Praxis im Laufe ihrer Karriere. So arbeitete beispielsweise eine Person, die 5 Jahre lang für Regulierungsfragen in der Pharmaindustrie zuständig war, anschliessend 18 Monate lang bei Swissmedic, wo sie Zulassungsdossiers prüfte, dann 17 Jahre in verschiedenen Pharmakonzernen (darunter Novartis) sowie in einer Beratungsfirma derselben Branche. Danach kehrte sie für anderthalb Jahre in eine ähnliche Position zu Swissmedic zurück und wechselte schliesslich wieder in dieselbe Beratungsfirma.

Insgesamt konnten wir im Rahmen unserer Recherche 208 Fälle des Revolving-Door-Phänomens in der Pharma bei Swissmedic und 76 beim BAG nachweisen. Die untenstehende Grafik zeigt insbesondere beim weniger gut dokumentierten Phänomen der Reverse Revolving Doors in den letzten 25 Jahren einen starken Anstieg. Diese Seitenwechsel vom privaten in den öffentlichen Bereich machen mit 189 von 284 zwei Drittel aller Fälle aus. 

Dieser Anstieg lässt sich teilweise durch den Boom des beruflichen Netzwerks Linkedin erklären, wodurch die Seitenwechsel besser identifiziert werden können. Allerdings erklärt dies nicht den Rückgang der Fälle von Reverse Revolving Door vom privaten in den öffentlichen Sektor zwischen 2015 und 2019, gefolgt von ihrem drastischen Anstieg in den letzten fünf Jahren. 

Der Drehtüreffekt in der Pharma betrifft alle Hierarchieebenen. Von den 239 Personen in einen oder mehrere Seitenwechsel im Bereich der Arzneimittel involvierten Personen,

  • waren oder sind 26 (11%) Führungskräfte oder höhere Kader.
  • hatten oder haben 204 (85%) Positionen inne, die nicht in den offiziellen Organigrammen aufgeführt sind (Sektionsleiter*innen, wissenschaftliche Expert*innen, Inspektor*innen, Rechtsberatung usw.)
  • waren oder sind 9 (4%) von den zuständigen Bundesämtern beauftragte Expert*innen. Diese Personen, für welche die Massnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten ebenfalls gelten und die deshalb ebenfalls Teil unserer Recherche sind, nehmen zu anstehenden Entscheiden Stellung (z.B. zur Zulassung oder Preisgestaltung von Arzneimitteln) oder sie gehören ausserparlamentarischen Kommissionen an, deren Zuständigkeitsbereich in direktem Zusammenhang mit den Aufgaben von Swissmedic oder des BAG steht.

Von Seitenwechseln betroffene Kernbereiche

Bestimmte Tätigkeitsbereiche sind stärker durch das Revolving-Door-Phänomen in der Pharma betroffen als andere. Aus Sicht der Befürworter*innen eines Wechsels vom privaten zum öffentlichen Sektor ist diese Praxis dadurch gerechtfertigt, dass für die Prüfung von Zulassungsdossiers und die Marktüberwachung hochspezialisiertes Fachwissen erforderlich ist, das nur im Pharmasektor erworben werden könne. Diese Argumentation bagatellisiert das Risiko von Interessenkonflikten und ignoriert das Fachwissen von Wissenschaft und Medizin. 

Die kommerziellen Aspekte im Zusammenhang mit der Arzneimittelregulierung unterstützen eher eine andere Sicht der Dinge,  und die intensive Lobbyarbeit der Pharmaindustrie zur Beseitigung regulatorischer Hindernisse verstärkt diesen Eindruck. Unsere Recherche identifiziert mehrere zentrale Bereiche der Arzneimittelregulierung, die vom Revolving-Door-Phänomen besonders betroffen sind:

  • Der Bereich Marktzulassung von Swissmedic mit 90 Personen (52% der Personen bei Swissmedic, die einen Seitenwechsel vollzogen haben).

Ein Beispiel hierfür ist eine Person, die nach mehr als neun Jahren bei einem grossen Pharmakonzern (in einer Beratungsfunktion und in der medizinischen Leitung) die Leitung eines Bereichs bei Swissmedic übernommen hatte. Oder der Manager, der nach 18 Jahren in verschiedenen Pharmaunternehmen (darunter Sandoz und Roche) Bereichsleiter bei Swissmedic wurde, bevor er als Compliance-Beauftragter zu Novartis wechselte.

Die Erteilung einer Marktzulassung ist für die Industrie von grosser Bedeutung, da davon die Vermarktung eines Medikaments abhängt; erst danach beginnen die Einnahmen zu fliessen.. Eine Verzögerung bei der Marktzulassung kann einen Gewinnausfall in Millionenhöhe bedeuten. Aus diesem Grund drängt die Pharmaindustrie hier auf beschleunigte Verfahren, die auch immer häufiger zum Einsatz kommen.

  • Der Bereich Bewilligungen und Überwachung – bestehend aus den Abteilungen «Klinische Versuche», «Inspektionen» und «Arzneimittel für neuartige Therapien» – mit 52 Personen (30%).

Nehmen wir den Fall eines Analytikers, der 15 Jahre lang in verschiedenen Pharmakonzernen (darunter Novartis) für klinische Versuche verantwortlich war und dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu Swissmedic wechselt, wo er über zwei Jahre bleibt, bevor er als geschäftsführender Gesellschafter eines grossen Pharmaunternehmens in die Privatwirtschaft zurückkehrt. Ein weiteres Beispiel ist eine Person, die nach 15 Jahren in verschiedenen Pharmakonzernen die Regulierung von Arzneimitteln neuartiger Therapien bei Swissmedic leitet.

Klinische Versuche sind ein obligatorischer Schritt, um die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Medikaments für dessen Zulassung nachzuweisen. Ein bei einer Inspektion festgestellter Mangel oder Daten, die als zu wenig fundiert eingestuft werden, können teuer zu stehen kommen. Zu den Arzneimitteln für neuartige Therapien zählen sowohl Zell- (wie das Krebsmedikament Kymriah von Novartis) als auch Gentherapien, ein boomender Bereich, dessen Regulierung noch ausgearbeitet wird.

  • Der Direktionsbereich Kranken- und Unfallversicherung – einschliesslich der Abteilung «Arzneimittel» – mit 30 Personen (45%).

So zum Beispiel ein Apotheker, der in einem grossen Pharmakonzern zehn Jahre als Experte für Regulierungsfragen arbeitet, danach für anderthalb Jahre in die Abteilung «Arzneimittel» des BAG wechselt, bevor er zu einem der weltweit führenden Biotechnologieunternehmen geht. Oder der ehemalige Bereichsleiter und Vizedirektor des BAG, der nach Ablauf seiner Amtszeit eine eigene Anwaltskanzlei gründet und mehrere Pharmaunternehmen in regulatorischen Angelegenheiten berät.

Die Festsetzung der Arzneimittelpreise ist für die Pharmaindustrie ein entscheidender Schritt, da die vom BAG festgelegten Tarife direkte Auswirkungen auf die Gewinnmarge haben.

Unsere Recherche deckt auch Fälle des Revolving-Door-Phänomens in anderen für die Pharmaindustrie relevanten Bereichen auf, wie beispielsweise in der Gesetzgebung zu Heilmitteln und Forschung am Menschen (BAG), übertragbaren Krankheiten (insbesondere während der Covid-Pandemie, BAG), beim Zugang zu Patientendaten (BAG) oder der Harmonisierung der Arzneimittelregulierung (Swissmedic).

Swissmedic und das BAG antworteten auf Anfrage, dass sie sich der Risiken von Interessenkonflikten im Zusammenhang mit Seitenwechseln bewusst seien, äusserten sich jedoch nicht zu den Ergebnissen unserer Umfrage und gaben an, keine Statistiken zu diesem Thema zu führen.

Swissmedic betont, dass Entscheidungen über Zulassungen oder Inspektionen im Team getroffen werden, an dem verschiedene Hierarchieebenen beteiligt sind. Zudem müssen Führungskräfte ihre Einhaltung des Verhaltenskodexes jährlich, die übrigen Angestellten alle zwei Jahre bekräftigen. Zu unseren Fragen nach der Anwendung von Massnahmen im Falle von Seitenwechseln macht Swissmedic keine Angaben und verweist auf die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen (siehe unten), die für das gesamte Personal gelten sollen. Die Behörde erklärt, dass sie ihre Regelungen nach einem Audit der Eidgenössischen Finanzkontrolle im Jahr 2020 verbessert habe. Swissmedic erinnert schliesslich daran, dass sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf das umfassende Wissen von Personen aus der Pharmaindustrie angewiesen ist. Umgekehrt sei es aus Sicht der Pharmaindustrie eine Erleichterung, wenn bei Regulierungsbehörden Menschen arbeiten, die ihre Sichtweise verstehen. 

Das BAG betont, dass Personen mit hohen fachlichen Kompetenzen und fundierten Kenntnissen des schweizerischen Gesundheitssystems «besonders gefragt» und für seine Aufgabe notwendig seien. Es gebe Regeln, wie einen verbindlichen Verhaltenskodex und die geltenden gesetzlichen Bestimmungen, um Interessenkonflikte zu minimieren. Die Behörde nennt jedoch keine Einzelheiten über deren praktische Umsetzung in seinem Bereich. Das Bundesamt erinnert auch daran, dass die bestehenden Regeln für alle Arten von Seitenwechseln gelten, auch für den Wechsel von der Privatwirtschaft zum öffentlichen Dienst, erklärt aber, dass Karenzfristen nur für Führungspositionen vorgesehen werden können. 

Unzureichende und intransparente Massnahmen

Das Revolving-Door-Phänomen ist nicht neu. Die damit verbundenen Risiken in Bezug auf Interessenkonflikte, Corporate Capture, Korruption und Vertrauensverlust in die Behörden sowie Wettbewerbsverzerrungen sind seit langem bekannt.

«In der Schweiz sind Stellenwechsel zwischen der Verwaltung und der Privatwirtschaft relativ häufig», sagt Urs Thalmann, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz. «Auch wenn diese Seitenwechsel im öffentlichen Interesse sein können, sind die Gefahren der Befangenheit, des illegitimen Zugangs zu behördlichen Informationen und der Einflussnahme real.» Aus seiner Sicht sollte diesen Gefahren durch verhältnismässige, klare und konsequent angewendete Regeln, wie etwa Karenzfristen, begegnet werden, und dies insbesondere für die Wechsel zwischen Regulierungsbehörden und den Unternehmen, die von ihnen beaufsichtigt werden.

Die Schweiz hat jedoch lange gebraucht, um allgemeingültige Massnahmen zur Minimierung der Risiken im Zusammenhang mit Seitenwechseln zu ergreifen. Erst nach einer Evaluation durch die Staatengruppe gegen die Korruption des Europarats (Greco, Groupe d´États contre la Corruption) im Jahr 2007, die unter anderem eine Regulierung des generellen Phänomens empfahl, beantragte der Bundesrat Ende 2008 die Gründung einer Interdepartementalen Arbeitsgruppe zur Korruptionsbekämpfung (Idag Korruptionsbekämpfung). 2020 hat er eine Strategie gegen Korruption 2021–2024 erlassen, deren Erneuerung in Kürze erwartet wird.

Mit Massnahmen wie der Pflicht zur Wahrung des Geschäftsgeheimnisses, dem Ausstand im Falle von Befangenheit, der Möglichkeit einer Karenzfrist für bestimmte Personalkategorien – d. h. einer Mindestzeit zwischen dem Ende des öffentlichen Mandats und der Aufnahme einer Tätigkeit in der Privatwirtschaft – und der Zuweisung einer anderen, weniger exponierten Stelle bei Interessenkonflikten hat die Schweiz erste gesetzliche Bestimmungen erlassen, um das Revolving-Door-Phänomen einzudämmen. Aufgrund ihres Status als dezentrale Bundesbehörde verfügt Swissmedic über ihre eigenen Anwendungsregeln in diesem Bereich, wobei keine ausdrückliche Karenzfrist erwähnt wird.

Weitere Informationen

  • Die Revolving-Door-Regulierung in der Schweiz

    In den 2000er-Jahren trat die Schweiz mehreren internationalen Abkommen zur Korruptionsbekämpfung bei – ein Bereich, in den auch die illegale Einflussnahme durch Seitenwechsel fällt –, darunter die Antikorruptionskonvention der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, 2000), das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats (2006) mit dem die Staatengruppe gegen die Korruption des Europarats (Greco) gegründet wurde, sowie die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption (Uncac, 2009).

    Die Schweiz hat dennoch lange keine konkreten Massnahmen zur Minimierung der Risiken von Interessenkonflikten und Einflussnahme durch das Revolving-Door-Phänomen ergriffen. Erst nachdem die Greco  2007, die Mängel der Schweizer Gesetzgebung aufgezeigt und eine Revolving-Door-Regulierung empfohlen hatte, bildete der Bundesrat eine Interdepartementalen Arbeitsgruppe zur Korruptionsbekämpfung (Idag Korruptionsbekämpfung). Später hat der Bundesrat eine Strategie gegen die Korruption 2021–2024 verabschiedet, deren Erneuerung für 2025–2028 in Kürze erwartet wird.

    Das Bundespersonalgesetz (BPG, SR 172.220.1) und seine Verordnung enthält verschiedene Massnahmen, die das Revolving-Door-Phänomen beider zentralen Bundesverwaltung (BAG und Seco) regeln. Dazu gehören:

    • eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit über berufliche und geschäftliche Angelegenheiten, auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 22 BPG / Art. 94 BPV) – das Strafgesetzbuch sieht ebenfalls eine Bestimmung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses vor (Art. 320 StGB);
    • Ausstand im Falle von Befangenheit (Art. 20 BPG / Art. 94a BPV);
    • die Möglichkeit, für bestimmte Personalkategorien (im Wesentlichen sehr hochrangige Führungskräfte) nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Karenzfrist von sechs bis zwölf Monaten einzuführen (Art. 94b BPV);
    • Verbot der Verbreitung nicht öffentlich bekannter Informationen, von denen sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Kenntnis erhalten, durch die Angestellten (Art. 20 BPG / Art. 94c BPV).

    Der Bund hat zudem einen Verhaltenskodex erlassen, dessen überarbeitete Fassung von 2024 einige wichtige Punkte daraus konkretisiert. Dieser gilt jedoch nur für das Personal der zentralen Bundesverwaltung (insbesondere BAG).

    Aufgrund seines Status als dezentrale Bundesverwaltung verfügt Swissmedic über eigene Bestimmungen. Diese sind in der Swissmedic-Personalverordnung (SR 812.215.4) sowie im Verhaltenskodex Swissmedic (der als integraler Bestandteil des Arbeitsvertrags verbindlich ist) festgehalten und gelten sowohl für das Personal als auch für die von Swissmedic beauftragten Expert*innen.

    Neben der Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 43), der Pflicht zur Wahrung des Amts-/Berufs- und Geschäftsgeheimnisses (Art. 45), der Bewilligungspflicht für jegliche Nebenerwerbstätigkeiten (Art. 46) und der Ausstandspflicht bei Interessenkonflikten (Art. 48) sieht die Verordnung auch eine Meldepflicht für Mitarbeitende vor, die eine Stelle in einem Pharmakonzern aufnehmen, sowie mögliche Massnahmen (Ausstand, Zuweisung einer anderen Funktion oder Entlassung) zur Vermeidung von Interessenkonflikten (Art. 44). Dieser Punkt wird im Verhaltenskodex (Art. 18) aufgegriffen, wobei klargestellt wird, dass diese Massnahmen insbesondere «die Direktorin oder den Direktor sowie die Mitglieder der Geschäftsleitung und Mitarbeitende mit massgebendem Einfluss auf wichtige Entscheidungen im Rahmen von Bewilligungen und Kontrollen» betreffen. Eine ausdrückliche Karenzfrist wird allerdings nicht erwähnt.

    Die Karenzfrist unterliegt einer besonderen Verordnung, die 2016 in Kraft getreten ist (Verordnung über eine Karenzfrist, SR 172.010.1). Diese legt die Regeln fest, die für Leitungsfunktionen der Bundesverwaltung, für Mitglieder von Leitungsorganen von Anstalten des Bundes sowie für Mitglieder ausserparlamentarischer Kommissionen gelten.

Einige dieser Massnahmen, wie beispielsweise die aktuelle Karenzfrist, sind jedoch nicht ausreichend, um wirksam gegen das Revolving-Door-Phänomen und die daraus resultierenden Interessenkonflikte vorzugehen, wie kürzlich von der Greco (2024) sowie durch eine Prüfung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (2025) bestätigt wurde.

Public Eye empfiehlt deshalb, folgende Aspekte zu berücksichtigen, um den Vorrang des öffentlichen Interesses gegenüber beruflichen Seitenwechseln zu gewährleisten:

  • Eine Karenzfrist, die derzeit lediglich «möglich» ist, sollte systematisch angewandt werden. Die Idag Korruptionsbekämpfung empfahl bereits 2011 für den Fall eines Wechsels in die Privatwirtschaft die Einführung einer Klausel zur Karenzfrist in den Arbeitsverträgen von Führungskräften. Diese Empfehlung wurde bislang nicht umgesetzt: Eine 2019 an das Generalsekretariat der sieben Departemente gerichtete Umfrage ergab, dass eine solche Klausel seit 2016 nur dreimal in Verträge aufgenommen wurde. Der Bundesrat und die Idag Korruptionsbekämpfung scheuen sich, eine breitere und systematischere Anwendung der Karenzfrist zu fordern, und berufen sich dabei auf die Wirtschaftsfreiheit der betroffenen Personen. Diese Argumentation ist wenig überzeugend.
  • Die Dauer der Karenzfrist sollte mindestens 12 Monate betragen. Dieser Meinung sind auch die UNO und die Greco. Mit einer Dauer von 6 bis maximal 12 Monaten bleibt die Schweiz weit hinter vielen europäischen Ländern zurück, die Karenzfristen von bis zu 36 Monaten vorsehen, zumindest für hochrangige Verwaltungsbeamte. Auch die NGO Transparency International empfiehlt eine Dauer von 12 bis 18 Monaten als «angemessenes Minimum».
  • Die Karenzfrist sollte breiter angewendet werden. Heute gilt sie in erster Linie für Staatssekretär*innen, Amtsdirektor*innen und Generalsekretär*innen der Departemente sowie deren Stellvertreter*innen. Mitglieder der Geschäftsleitung von Swissmedic oder des BAG, die nicht Direktor*innen sind und in die Pharmaindustrie wechseln möchten, sind davon grundsätzlich nicht betroffen, obwohl solche Wechsel ein Interessenskonflikt- und Reputationsrisiko für die Bundesverwaltung darstellen können. Hierarchisch niedrigere Positionen sind überhaupt nicht betroffen, obwohl auch sie die kommerziellen Interessen der Pharmaindustrie über das öffentliche Interesse stellen könnten.
  • Auch der Wechsel vom privaten zum öffentlichen Sektor sollte bei der Regulierung und den Kontrollmassnahmen berücksichtigt werden. Derzeit konzentrieren sich die Massnahmen auf den Wechsel von staatlichen Stellen in die Privatwirtschaft. Bei unserer Recherche haben wir jedoch doppelt so viele Fälle von Reverse Revolving Door entdeckt. Zwar besteht eine Ausstandspflicht, doch basiert diese darauf, wie transparent die Mitarbeitenden ihre Interessenkonflikte offenlegen und hängt damit stark von der persönlichen Einschätzung ab. Eine systematischere Überprüfung würde eine bessere Erkennung der Risiken ermöglichen. Ein formelleres Verbot für die Ausübung bestimmter Funktionen in der öffentlichen Verwaltung – wie es das Gesetz beispielsweise in Frankreich oder Italien vorsieht  – sollte ebenfalls in Betracht gezogen werden.
  • Seitenwechsel sollten offen geregelt werden. Aufgrund der derzeitigen Intransparenz lässt sich nicht feststellen, ob und in welchem Umfang konkrete Massnahmen ergriffen werden. In einem Bericht von 2018, von dem es in Deutsch nur eine Zusammenfassung gibt kam die Eidgenössische Finanzkontrolle beispielsweise zum Schluss, dass die Klausel zum Revolving-Door-Phänomen zwar in das Bundespersonalgesetz aufgenommen worden sei, aber «in der Praxis nicht umgesetzt» werde. Mehr Transparenz beim Revolving-Door-Problem in der Schweiz «als grundlegende demokratische Massnahme» – das war auch die Forderung einer Motion im Nationalrat im Jahr 2023, nach dem Wechsel der ehemaligen Seco-Chefin zu Nestlé.

Behörden müssen handeln

Unsere Recherche zeigt, dass Seitenwechsel zwischen der Pharmaindustrie und staatlichen Stellen, die in der Arzneimittelregulierung tätig sind, in der Schweiz gang und gäbe sind. Diese Nähe weckt berechtigte Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit unserer Regulierungsbehörden, insbesondere wenn solche Personalbewegungen nicht ausreichend reguliert sind. Zudem lässt allein schon die Finanzierungsweise von Swissmedic, deren Budget zu rund 80% aus der Pharmaindustrie stammt, den Verdacht der Befangenheit aufkommen.

Nicht alle Fälle des Revolving-Door-Phänomens bergen dieselben Risiken und es wäre nicht sinnvoll, solche Seitenwechselverbieten zu wollen, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, etwa im Hinblick auf die Wirtschaftsfreiheit von einzelnen Personen. Einige Wechsel aus der Pharmaindustrie in die Verwaltung können nämlich durchaus Vorteile in Sachen Fachwissen aufweisen, sofern mit systematischen Massnahmen das Risiko von Interessenkonflikten und Einflussnahme minimiert wird.

Heute ist jedoch kaum nachvollziehbar, ob und in welchem Umfang die gesetzlich vorgesehene Regulierung tatsächlich umgesetzt wird. Um das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Behörden zu wahren, braucht es mehr Transparenz. Reine Sensibilisierungsmassnahmen, wie sie die Antikorruptions-Strategie vorsieht, werden nicht ausreichen. Die Bundesbehörden müssen über konkrete Umsetzungsschritte informieren. 

Wird das Revolving-Door-Problem nicht besser reguliert und kontrolliert, besteht die Gefahr, dass eine Behörde wie Swissmedic eher als Wirtschaftsförderer denn als Regulierungsbehörde im öffentlichen Interesse fungiert.

Weitere Informationen

  • Methodik

    Public Eye hat das Recherchekollektiv WAV beauftragt, aussagekräftige Daten zu sammeln und zusammenzustellen, die Fälle von Revolving Door oder Reverse Revolving Door zwischen der Pharmaindustrie und diesen drei für die Arzneimittelpolitik zuständigen Bundesämtern dokumentieren: Swissmedic, das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).*

    Über  ein «Premium Business»-Konto auf Linkedin hat das WAV-Kollektiv manuell eine Liste von Personen erstellt, die Swissmedic, das BAG oder das Seco in ihrem Profil als aktuellen oder ehemaligen Arbeitgeber angegeben haben (Stand: 01.08.2024) und deren berufliche Laufbahn erfasst. WAV hat diese Liste anschliessend anhand folgender drei Quellen ergänzt:

    1. Der Staatskalender mitAngaben zum aktuellen Personalbestand der Bundesverwaltung.
    2. Die Organigramme der letzten zehn Jahre (2013–2024), die Public Eye bei den drei betroffenen Behörden angefordert hat.
    3. Eine ergänzende Internet-Recherche, um die beruflichen Stationen von Personen ohne Linkedin-Profil zu vervollständigen.

    Die so gesammelten Informationen wurden manuell in einer Datenbank zusammengetragen, die 3118 Personen umfasst.

    Public Eye hat diese Datenbank ausgewertet, um Seitenwechsel von und in die Pharma anhand folgender Kriterien zu ermitteln:

    • Die Person muss mindestens ein Jahr in einem Pharmaunternehmen sowie mindestens ein Jahr in der betreffenden Bundesbehörde gearbeitet haben.
    • Der Wechsel zwischen den beiden Stellen muss direkt erfolgt sein.
    • Mit «Pharma» sind Unternehmen gemeint, (1) die in der Forschung und Entwicklung (F&E), der Herstellung sowie der Markteinführung von kommerziellen Arzneimitteln tätig sind, (2) die einem Dachverband angehören, der die Brancheninteressenvertritt (z.B. Interpharma oder Intergenerika) und (3) die Beratung und Dienstleistungen auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts, der pharmazeutischen F&E oder von Regulierungsfragen anbieten.

    Nicht als Revolving-Door-Phänomen in der Pharma gelten alle direkten Wechsel von oder zu Krankenkassen, Vertriebsgesellschaften (Apotheken, Grosshändler), Labors für Analyse/Diagnostik sowie Unternehmen, die auf Medizinprodukte, Arzneimittel für Tiere, Komplementär-/Naturmedizin, Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika spezialisiert  sind

    *Aufgrund des branchenübergreifenden Mandats des Seco und der geringen Aussagekraft der Ergebnisse (5 Seitenwechsel in die Pharma) wurde dieses nicht in die Analyse einbezogen.

    Diese Recherche basiert hauptsächlich auf Daten aus Linkedin-Profilen, bei denen es sich um individuelle Angaben handelt, die möglicherweise nicht aktuell sind. Diese einschränkenden Faktoren wurden durch den Abgleich eines Teils der Informationen mit anderen Quellen gemildert.

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