Hunger wegen Bio-Anbau: Durchsichtige PR-Aktion des weltgrössten Pestizidherstellers

Mit haltlosen Aussagen in der Sonntagspresse landete der CEO von Syngenta am vergangenen Sonntag einen kleinen PR-Coup. Zahlreiche grosse Schweizer Medien verbreiteten daraufhin weitgehend unkommentiert Erik Fyrwalds Aussagen, wonach etwa der Konsum von Bioprodukten schuld am Hunger in Afrika sei. Das ist schlicht Unsinn – aber durchaus im Sinn von Syngentas Geschäftsinteressen.

In einem ausführlichen Interview, das am 8. Mai 2022 in der NZZ am Sonntag erschienen ist, nimmt Erik Fyrwald die sich durch den Ukrainekrieg dramatisch zuspitzende Ernährungskrise zum Anlass für eine beispiellosen Attacke auf die biologische Landwirtschaft. «Den Menschen in Afrika wird Nahrung weggenommen, weil wir Bioprodukte wollen und unsere Regierungen die Biolandwirtschaft unterstützen», sagt Fyrwald.

Wir haben Wissenschaftler*innen des Internationalen Expertengremiums für nachhaltige Lebensmittelsysteme (IPES-FOOD) aus Afrika, Südamerika und Europa und den ehemaligen Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FIBL) gefragt, was sie von dieser Aussage halten. Und uns überlegt, was den Syngenta-CEO dazu bewogen hat.

Der Artikel in der NZZ am Sonntag wurde von diversen grossen Schweizer Medien unkritisch übernommen.

Unser Konsum von Bio-Produkten hat mit dem Hunger in Afrika nichts zu tun

Hans Rudolf Herren, Agrarexperte und Gründer der Stiftung Biovision, schreibt uns auf Anfrage, dass «der Syngenta-CEO auf einem anderen Planeten zu leben» scheine. Denn es gebe «überhaupt keinen Zusammenhang zwischen dem Hunger in Afrika und dem Schweizer Biokonsum».

Tatsächlich nimmt der Hunger seit 2016 weltweit wieder zu, etwa durch Konflikte und Wetterextreme als Folge der Klimakrise und aufgrund der Corona-Pandemie. 2021 waren 193 Millionen Menschen von Hungersnöten betroffen, und der Ukrainekrieg verschärft die Situation dramatisch. Dabei wären eigentlich genug Lebensmittel verfügbar. Die Menschen haben insbesondere aufgrund der stark gestiegenen Lebensmittelpreise keinen Zugang dazu.

Sofía Monsalve Suárez, die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation FIAN International, macht auch politische Versäumnisse für die Hungerkrise verantwortlich. Nach der letzten Lebensmittelpreiskrise, welche auf die Finanzkrise von 2008 folgte, hätten die Regierungen versprochen, «gegen Spekulanten vorzugehen; die kleinbäuerliche Lebensmittelproduktion in Entwicklungsländern wieder aufzubauen; die Rohstoffabhängigkeit zu verringern; die Verschuldung zu senken und Getreidereserven an- und offenzulegen – aber die Lobbyarbeit der Privatwirtschaft verhinderte dies. Wären diese Versprechen umgesetzt worden, wären wir jetzt nicht mit der aktuellen Lebensmittelpreiskrise konfrontiert», schreibt sie uns.  

Ökologische Landwirtschaft als Teil der Lösung statt des Problems

Die chemieintensive industrielle Landwirtschaft mag kurzfristig hohe Erträge erzielen, ist aber auch ein grosser Teil des Problems, nicht nur wegen den Umwelt- und Gesundheitsproblemen, die sie verursacht, sondern auch für die Ernährungssicherheit, wie der Äthiopier Million Belay, Gründer der Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika (AFSA), zu bedenken gibt:

«Die Landwirt*innen in Afrika stehen vor einer Ernährungskrise, weil sie von Düngemitteln auf der Basis fossiler Brennstoffe abhängig sind, deren Preise um 400% in die Höhe geschnellt sind. Zusammen mit der Klimakrise führt dies zu einer noch nie dagewesenen sozialen Krise» erläutert er.

Rund ein Fünftel der Düngemittel-Exporte stammt aus Russland und Belarus. Und auch Europa ist stark von russischen Düngemitteln und Erdgas, das für die Düngerherstellung benötigt wird, abhängig.

Die Förderung von unabhängigeren agrarökologischen Produktionsformen, welche die Böden schonen und Bestäuber schützen, erscheint auch vor diesem Hintergrund weit sinnvoller als eine chemieintensive Intensivierung und die Aussetzung der im Green Deal der EU vorgesehene ökologischen Reformen in der Landwirtschaft. Doch genau das fordert Erik Fyrwald im Interview.

Pestizide und neue Gentechnologie für die Welternährung?

Dass seine Ablehnung des Biolandbaus mit Geschäftsinteressen zu tun haben könnte, weist er dabei weit von sich. «Die Branche» erziele mit Bio sogar «gute Gewinne», sagt er. Es gehe ihm nur um die Lebensmittelproduktion.

Dennoch hat «seine Branche» schon lange vor dem Ukrainekrieg eine gut orchestrierte (und gut finanzierte) Kampagne gegen die Reformpläne in der EU lanciert. Wie in die Öffentlichkeit gelangte Dokumente zeigten, wollen Syngenta & Co. dabei einheitliche und «verbindliche Ziele für die Reduzierung von Pestiziden» verhindern.

Fakt ist auch: Der biologische Pflanzenschutz spielt im Geschäftsmodell Syngentas mit gerade mal 1,8% des Gesamtumsatzes im Jahr 2021 kaum eine Rolle. Eine umso grössere Rolle spielt der Verkauf chemischer Pestizide, mit dem Syngenta 2021 volle 78% (13 Milliarden US-Dollar) des Umsatzes erwirtschaftete.

Wenig überraschend spielen chem. Pestizide in Fyrwalds Vorschlägen für eine «nachhaltige Landwirt-schaft» eine zentrale Rolle.

Diesen «dritten Weg» beschreibt er als «regenerative» Landwirtschaft, welche durch schonende Bodenbearbeitung CO2 im Boden speichert. Damit auf das Pflügen verzichtet werden kann, braucht es laut Syngenta aber zwingend chemische Unkrautvernichter. Vor mehr als 15 Jahren hatte der Konzern bereits genau dieselbe Anbaumethode beworben – damals, um den Weiterverkauf des höchst umstrittenen Herbizids Paraquat zu rechtfertigen.

Ergänzend sieht Fyrwald ein grosses Potenzial in der sogenannten neuen Gentechnologie wie der «Genschere» CRISPR-CAS für die Bekämpfung des Welthungers. Die Zulassung solcher Technologien – deren Risiken zurzeit wenig bekannt und deren Wirksamkeit nicht bewiesen ist – müsse jetzt beschleunigt werden, so Fyrwald. Schliesslich seien auch in der Covid-Pandemie die Impfungen «sehr schnell entwickelt und zugelassen» worden.

Urs Niggli, der ehemalige Direktor des FIBL, ist der Meinung, dass es zusätzlich zum Biolandbau «eine clevere Wissenschaft und top nachhaltige Lösungen der Industrie» brauche, um 10 Milliarden Menschen zu ernähren. «Die hat Syngenta noch nicht. Also arbeiten, nicht andere kritisieren», so Niggli.

«Augen auf und durch!» (Autor*in unbekannt)

Carla Hoinkes beschäftigt sich bei Public Eye mit Landwirtschaftsfragen und nimmt die globalen Geschäfte der Agrarindustrie unter die Lupe. Sie lernt immerzu gern Neues über Mensch, Kraut und Rüben (und hofft, dass ihr auch selbst mal noch ein grüner Daumen wächst).

Kontakt: carla.hoinkes@publiceye.ch
Twitter: @carlahoinkes

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