Rohstoffhandel: Im toten Winkel der Öffentlichkeit

Die Konzernverantwortungsinitiative hiess im Volksmund und bei manchen Leitmedien nicht zufällig «Lex Glencore». Abgesehen vom Zuger Branchenprimus wird der Rohstoffhandel vom Schweizer Wirtschaftsjournalismus aber weiter ignoriert. In welch erschreckendem Ausmass, zeigt nun eine Studie. Der Mangel an redaktioneller Aufmerksamkeit für den Hochrisikosektor hat auch politische Konsequenzen.

«Ein zentrales Defizit ist die Unterbelichtung ganzer Sektoren. Besonders eklatant ist das Beispiel der Rohstoffhändler. Sie gehören zu den umsatzstärksten Schweizer Konzernen, finden aber weiter keine mediale Beachtung.» So steht es bereits in der Zusammenfassung (und sinngemäss auch in einem Tweet). Was die Bedeutung dieses Befunds, aber wohl auch die Verwunderung der Autor*innen über dessen Deutlichkeit zeigt. Zu finden ist das denkwürdige Zitat in der Vertiefungsstudie zur Unternehmensberichterstattung, die das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich im Rahmen seines Jahrbuchs zur Qualität der Medien kürzlich publiziert hat. Darin geht es um den Zusammenhang zwischen der Medienresonanz und der wirtschaftlichen Bedeutung einzelner Unternehmen und Sektoren. Das Fög möchte aber auch deutlich machen, wie wichtig gute Unternehmensberichterstattung «gerade mit Blick auf den Meinungsbildungsprozess zu wirtschaftspolitischen Vorlagen» ist.

Gemeint ist damit nicht nur, aber wohl primär die Ende 2020 hauchdünn abgelehnte Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Im hitzigen Abstimmungskampf sprach nicht nur der «Tagesanzeiger» von einer «Lex Glencore», schliesslich lieferte das Zuger Unternehmen immer wieder Negativschlagzeilen, die häufig auf NGO-Recherchen zurückgingen. Die nicht minder umsatzstarke und skandalträchtige Konkurrenz blieb allerdings damals schon unter dem Radar der wichtigsten Wirtschaftsredaktionen zwischen Genfer- und Bodensee. Nach der ungewöhnlich intensiven Medienberichterstattung rund um die KVI hat sich diese Diskrepanz laut der Fög-Studie (Untersuchungszeitraum Anfang 2021 bis Ende April 2023) jedoch nicht vermindert, sondern weiter verschärft.

Grafik aus der Studie «Jahrbuch Qualität der Medien, Vertiefungsstudie 2023» (fög, 2023), S. 14, eigene Hervorhebung

Wie krass, veranschaulicht diese Grafik: Glencore erhielt nach dem Showdown zwischen Zivilgesellschaft und Wirtschaftsverbänden zwar schon wieder deutlich weniger mediale Aufmerksamkeit als andere Schweizer Schwergewichte der sogenannten Realwirtschaft – mit Spitzenreitern wie Nestlé, Roche oder Migros.

Doch im Vergleich dazu wirtschaften Rohstoffkonzerne wie Vitol, Gunvor oder Mercuria schlicht unter Ausschluss der Schweizer Öffentlichkeit.

Dabei haben diese Genfer Handelshäuser in den letzten Jahren nicht nur fast ebenso riesige Umsätze und Gewinne wie der Zuger Konkurrent erzielt, sondern auch für mindestens so viele Skandale gesorgt. Das gilt auch für Trafigura, dem die «Handelszeitung» (auf deren Ranking der grössten Schweizer Unternehmen sich das Fög bezieht) aber 2021 unter fadenscheiniger Begründung den Schweizer Pass entzogen hatte.

Unter dem Radar von Medien und Politik

Das himmelweite Auseinanderklaffen von wirtschaftlicher Bedeutung – mittlerweile trägt der Sektor satte 10% zum Schweizer BIP bei – und medialer Aufmerksamkeit versuchen die Studienautor*innen mit der abschreckenden Komplexität des Rohstoffhandels, dem konsumfernen Business-to-Business-Geschäftsmodell und der relativ geringen Bedeutung als hiesiger Arbeitgeber zu erklären. Selbst diese wissenschaftlichen Beobachter*innen, die ja noch nie mit einer Anfrage bei der Pressestelle von Vitol oder Gunvor vorstellig wurden, ahnen aber, dass der eigentliche Hauptgrund in deren «bewusster Vermeidung von öffentlicher Aufmerksamkeit» liegt. Bei Medienschaffenden ist dieser Glaube längst Gewissheit, schliesslich werden sie (genauso wie wir) von den PR-Teams der Rohstoffhändler in unschöner Regelmässigkeit entweder gleich ganz abgewimmelt oder mit leeren Floskeln abgespeist.

In den führenden Redaktionen des Landes führt solch plumpe Informationsverhinderung jedoch offenbar nicht zu mehr Neugier und intensiveren Recherchen, sondern zum genauen Gegenteil. Dieses unjournalistische Verhalten hat natürlich politische Folgen.

Worüber die Bevölkerung weder angemessen (Quantität) noch akkurat (Qualität) informiert wird, darüber kann sie sich auch kein Urteil bilden.

Nur so ist der –  KVI hin, NGOs her – immer noch geringe inländische Druck auf Parlament und Regierung erklärbar, dieser Hochrisikobranche endlich klare rechtliche Leitplanken zu setzen. Ausländische Wirtschaftstitel wie die «Financial Times» oder Bloomberg blicken zwar immer wieder hinter die Fassaden der klandestinen Genfer Handelskonzerne, können die mangelnde Hartnäckigkeit und Branchenkenntnis ihrer Schweizer Kolleg*innen aber nicht kompensieren.

Die Folgen für den Ruf der Schweiz, aber auch für die von den häufig fragwürdigen Geschäftspraktiken der Rohstoffriesen betroffenen Menschen im Globalen Süden, sind bekannt und verheerend. Und ein so trauriger wie triftiger Grund dafür, warum unser globales Rohstoffhandelszentrum die Recherchen und Reportagen von «Corporate Watchdogs» wie Public Eye mehr denn je braucht.

«Als Sprachrohr, Spin Doktor und Schreiberling weiss ich: Die Wahrheit ist ein Näherungswert, keine An­sichts­sache. Guter Journalismus weiss und zeigt das.»

Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tagesanzeiger.

Kontakt: oliver.classen@publiceye.ch
Twitter: @Oliver_Classen

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Unsere Fachleute kommentieren und analysieren, was ihnen unter den Nägeln brennt: Erstaunliches, Empörendes und manchmal auch Erfreuliches aus der Welt der globalen Grosskonzerne und der Wirtschaftspolitik. Aus dem Innern einer journalistisch arbeitenden NGO und stets mit der Rolle der Schweiz im Blick.  

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