Die Schweiz: Eine globale Drehscheibe im Agrarrohstoffhandel

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Die Mehrheit der weltweit bedeutenden Agrarhändler hat ihren Sitz in der Schweiz oder betreibt wichtige Handelsabteilungen am Genfer See oder in der Zentralschweiz. Da der Rohstoffhandel in der Schweiz hauptsächlich aus sogenanntem Transithandel besteht, erscheinen die über die Schweiz gehandelten Waren nicht in der Import- und Exportstatistik. Dies erhöht die Intransparenz eines ohnehin schon sehr undurchsichtigen Wirtschaftszweiges. Angesichts der Bedeutung des Sektors und der hohen Risiken für Menschenrechtsverletzungen, ist solch ein Mangel an Transparenz inakzeptabel.

Dank des förderlichen Geschäftsklimas der Schweiz - insbesondere ein massgeschneidertes Steuerregime, mangelnde Regulierung des Rohstoffhandelssektors und ein stabiles politisches Umfeld - ist das Land zu einem der weltweit bedeutendsten Handelsplätze für Rohstoffe geworden. In der Schweiz sind derzeit gemäss Schätzungen des Bundes über 900 Unternehmen im Rohstoffhandel tätig. Diese Rohstoffhändler sind die Spitzenreiter in der Liste der umsatzstärksten Schweizer Unternehmen. Vier der Top 5 handeln mit Öl, Metallen oder Mineralien, eine Firma (Cargill) mit Agrarrohstoffen. Public Eye hat sich einige der bedeutendsten Agrarrohstoffhändler genauer unter die Lupe genommen. Ihre Präsenz im Land belegt die zentrale Rolle der Schweiz als Drehscheibe für den globalen Agrarrohstoffhandel.

Die blosse Präsenz dieser Unternehmen sagt jedoch nichts über den tatsächlichen Marktanteil der Schweiz im Agrarrohstoffhandel aus. Genaue Zahlen zu ermitteln ist schwierig - es liegt in der Natur des Transithandels, dass die Intransparenz des Sektors gefördert wird: Die meisten Waren werden weder physisch in die Schweiz importiert noch aus der Schweiz exportiert, obwohl die Transaktionen von Parteien in der Schweiz organisiert und orchestriert werden. So erscheinen über die Schweiz gehandelte Waren in der Regel nicht in der Handelsstatistik und sind daher schwer zu verfolgen.

Die Swiss Trading and Shipping Association (STSA), der wichtigste Branchenverband für den Rohstoffhandel, liefert einige Zahlen über den Marktanteil der Schweiz, und diese werden in Forschungspapieren und Regierungsberichten häufig verwendet. Die STSA hat jedoch nie offengelegt, welche Methodik sie verwendet, noch ist klar, auf welchen Zeitraum sich ihre Daten beziehen.

Der Bundesrat stützte sich in seinem fünften Bericht über den Rohstoffhandel in der Schweiz für das Jahr 2018 auf Statistiken aus einer vom Bundesamt für Umwelt finanzierten Studie über die Umweltauswirkungen des Schweizer Rohstoffhandels. Diese Marktanteilsschätzungen bewegen sich weitgehend im gleichen Bereich wie die von der STSA veröffentlichten Zahlen. Zur Berechnung des Marktanteils der Schweiz verwendeten die Autoren der Studie eine «Bottom-up» Methodik, die einzelne Unternehmensdaten analysierte und mit Informationen aus der Literatur abglich. Der Rohstoffbericht des Bundes von 2021 lieferte weder genauere Informationen noch neue Zahlen hierzu, was Public Eye erneut kritisierte.

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Anhand einer ähnlichen Methodik, auf der Basis einer ausführlichen Analyse von Medienberichten, jährlichen Unternehmensberichten und Daten internationaler Wirtschaftsverbände ist Public Eye zu eigenen Schätzungen gelangt. Selbst nach den konservativen Schätzungen von Public Eye, die sich ausschliesslich auf Handelsunternehmen konzentrieren (nicht auf Schweizer Hersteller, die auch Agrarrohstoffe einkaufen wie z.B. Nestlé), bestätigen die Ergebnisse die zentrale Rolle der Schweiz im globalen Handel mit Agrarrohstoffen.

Public Eye schätzt, dass mindestens 50% des weltweit gehandelten Getreides und Kaffees sowie 40% des Zuckers über die Schweiz gehandelt wird, ebenso wie mindestens 30% des Kakaos, 25% der Baumwolle und 15% des Orangensaftes.

Mangelnde Transparenz

Das Fehlen relevanter Daten ist zwar ärgerlich, aber nicht überraschend. Die mangelnde Transparenz und die Verschwiegenheit der gesamten Branche verschaffen den einzelnen Akteuren Vorteile auf dem Markt und können daher als Teil ihres Geschäftsmodells angesehen werden. Darüber hinaus ist die Mehrheit der Handelsunternehmen privat und viele von ihnen sind in Familienbesitz. Nur die wenigsten sind börsennotiert und damit verpflichtet, ein Minimum an Transparenz zu gewährleisten.

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Trotz der Veröffentlichung von sieben Berichten über den Rohstoffhandelssektor hat der Bundesrat bisher weder in finanzieller noch in statistischer Hinsicht wesentlich Transparenz geschaffen, auch nicht in Bezug auf grundlegende Daten wie kombinierter Umsatz oder Steuerzahlungen. Dieser Mangel an Daten ist inakzeptabel, da Transparenz eine wichtige Voraussetzung für die Festlegung von Verantwortlichkeiten, die Sicherstellung der Rechenschaftspflicht sowie des Zugangs zu Entschädigungen für Opfer von unternehmerischem Fehlverhalten ist. Der Bundesrat hat 2013 anerkannt, dass «der Rohstoffsektor mit weiteren ernst zu nehmenden Herausforderungen verbunden [ist], darunter die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in rohstoffexportierenden Ländern sowie Mängel in der Regierungsführung dieser Staaten».

Dennoch hat der Bund zahlreiche Empfehlungen zur Regulierung des Rohstoffhandels ignoriert - so zum Beispiel den Vorschlag von Public Eye zur Gründung einer Rohstoffmarktaufsicht (ROHMA) – um die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Schweiz zu erhalten. Auch weil der Rohstoffhandel mittlerweile 8% des Schweizer BIP ausmacht – ähnlich viel wie der durch die FINMA regulierte Finanzsektor – ist die Regulierung des Risikosektors längst überfällig.

Seit dem Erscheinen des Rohstoffbuches von Public Eye 2011, damals noch als Erklärung von Bern wurden knapp 100 parlamentarische Vorstösse eingereicht, die direkt oder indirekt den Rohstoffsektor betreffen. Von den  Postulaten und Motionen, die eine Stellungnahme des Bundesrats verlangten, schlug die Regierung bis anhin nur in den wenigsten Fällen eine Annahme vor. Stattdessen verlässt sie sich darauf, dass der Sektor «sich verantwortungsbewusst und integer verhält». Dies ist ausführlich dokumentiert im Schattenbericht von Public Eye zum Rohstoffbericht 2018 des Bundesrates.