Congo Hold-up: 4. Folge Kabilas Geisteruhren «Made in Switzerland»

Der ehemalige Staatschef der Demokratischen Republik Kongo ist ein grosser Liebhaber von Luxusuhren. Einem abenteuerlustigen Schweizer Uhrmacher, bekannt für seine wiederholten Konkurse, gelang es, sein Vertrauen sowie einen Vertrag über den Bau von fünf riesigen Hightech-Uhren zu gewinnen. Zehn Jahre später ist von ihnen noch immer keine Spur zu finden, die kongolesischen Staatskassen jedoch sind um mehrere Millionen US-Dollar leichter. Dies ist die letzte Episode unserer Congo Hold-Up-Serie, dem bislang grössten Leck von Bankdokumenten des afrikanischen Kontinents.

Mit einer Kalaschnikow im Arm und einer Luxusuhr am Handgelenk posiert André Grossmann im März 2010 mit fröhlicher Miene für das Magazin «Le Panafricain». Der Schweizer Luftfahrttechniker, der auf Luxusuhren umgestiegen ist, nimmt am Start des Programms «Waffen gegen 50 Dollar» in Kitchanga in Nord-Kivu teil. Die Provinz befindet sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo und ist zu diesem Zeitpunkt Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Milizen und Massakern an der Zivilbevölkerung. Ein paar Wochen zuvor hat der Uhrmacher eine weitere Berufung für sich entdeckt: Er ist Schweizer «Koordinator» der kongolesischen NGO PAREC (Programme Œcuménique de Paix, Transformation, des Conflits et Réconciliation), die diese sonderbare Aktion leitet.

Screenshots einer Reportage über die Aktion «Waffen für 50 Dollar» aus «Le Panafricain» Nr. 1 (in Lausanne herausgegeben). André Grossmann, zusammen mit Pastor Daniel Ngoy Mulunda (oben recht in der Mitte). Der Kirchenmann posiert auch vor einem Haufen gesammelter Gewehre und Kalaschnikows.

Die NGO unter der Schirmherrschaft des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila organisiert seit 2005 regelmässig Sammelaktionen, bei denen man im Tausch gegen Waffen und militärisches Material einen 50-Dollar-Schein, ein Fahrrad oder ein Stück Blech erhält. Ihr Gründer, der methodistische Pastor Daniel Ngoy Mulunda, der damals als Kabilas spiritueller Berater gilt, hat stets erklärt, es gehe ihm darum, diesen Teil des Landes zu «befrieden». Bei der kongolesischen Opposition werfen diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen jedoch zahlreiche Fragen über die Herkunft des Geldes für den Rückkauf der Waffen sowie über illegale Geschäfte auf, die daraus entstehen könnten.

Doch André Grossmann hat an diesem Tag anderes im Kopf. Der Schweizer steht kurz davor, für seine damals in Monaco ansässige Uhren- und Schmuckfirma Horus einen Vertrag mit dem kongolesischen Staat an Land zu ziehen. Einen ebenso lukrativen wie extravaganten Vertrag: Er soll fünf riesengrosse Hightech-Uhren liefern und diese in fünf über das ganze Land verteilten kongolesischen Provinzhauptstädten – Lubumbashi, Kisangani, Goma, Bukavu und Mbuji-Mayi – aufstellen. Präsident Joseph Kabila, ein grosser Luxusuhrenliebhaber, hat das Projekt «Made in Switzerland» selbst abgesegnet. Vollständig finanziert werden soll es von der kongolesischen Regierung anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes im Juni 2010.

Die Exponate, eine Mischung aus Kunstwerk und Stadtmobiliar, sind beeindruckend – zumindest auf dem Papier. Sie sind sechs Meter hoch und sieben Meter breit, sollen aus Material und Glas der jüngsten Generation hergestellt und mit einer Solarbatterie betrieben werden.

Die riesige Uhr, die in Lubumbashi hätte errichtet werden sollen (Modellbild).

Auf der Grundlage der 3,5 Millionen Bankdokumente der kongolesischen BGFIBank, die Public Eye von der NGO PPLAAF, einer Plattform zum Schutz von Whistleblower*innen in Afrika, erhalten und eingehend studiert hat, konnten wir die Geschichte dieses Projekts zwischen Uhrenvernarrten rekonstruieren, das nie umgesetzt wurde. Der kongolesische Staat jedoch, der wurde bis 2018 nachweislich um mehrere Millionen Dollar erleichtert. Ein Teil dieses Geldes landete in der Schweiz – auf Konten bei der Freiburger Kantonalbank und der Raiffeisen.  

Es ist die abenteuerliche Geschichte eines kleinen Juweliers und Uhrmachers, der in der Schweiz und in Monaco bis über beide Ohren verschuldet ist, aber einen starken Rückhalt im Umfeld von Präsident Kabila geniesst. Er hat ein Auge auf eines der ärmsten und korruptesten Länder der Welt geworfen, um dort – mit der passiven Beihilfe der Schweiz, ihrer Banken und Treuhänder*innen –ziemlich undurchsichtige Geschäfte zu betreiben.

© Public Eye/opak.cc
Die Karte zeigt die fünf Städte, in denen die Schweizer Uhren hätten aufgestellt werden sollen. Rechts sind einige Kennzahlen der DR Kongo zu sehen, einem Land, das sinnbildlich für den Ressourcenfluch steht.

Eine Million Dollar Vorschuss

Wir fanden einen Vertrag über mehr als 4,5 Millionen Dollar, unterzeichnet am 18. Januar 2011 von André Grossmann (für Horus Monaco) und dem kongolesischen Ministerium für Infrastruktur, öffentliche Arbeiten und Wiederaufbau, das über das Amt für Raumplanung und Städtebau (BEAU) agierte. Darin vereinbart ist, dass die «Lieferung und Errichtung von fünf monumentalen Uhren» innert 20 Monaten zu erfolgen hat und nach Unterzeichnung 30% des Gesamtbetrages angezahlt werden. Das Geschäft verläuft nach Plan: Am 1. März 2011 erhält der Schweizer Uhrmacher über 1,3 Millionen US-Dollar auf einem Konto, das in seinem Namen bei der grössten kongolesischen Privatbank, der Rawbank, eröffnet wurde.  

Das Geld stammt aus dem nationalen Fonds für Strasseninstandhaltung (FONER), einer öffentlichen Stelle, die damals ein Vertrauter von Joseph Kabila leitet. Die Logik dieser Transaktion ist auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Bei der Pariser Tochter der BGFI, der Korrespondenzbank, über die die BGFIBank RDC Zahlungen in internationaler Währung im Regelfall abwickelt, erregt die Zahlung Verdacht. «Angesichts der Identität des Empfängers der Überweisung und der Produkte, die er vertreibt, besteht ein sehr grosses Risiko, dass die Gelder von einem anderen Institut endgültig blockiert werden, wenn wir die Transaktion durchführen», warnt ein Verantwortlicher der Pariser Compliance-Abteilung per E-Mail. Er ist aufgrund eines Zeitungsartikels über den «Jetsetter» André Grossmann und sein Uhrengeschäft an der Côte d’Azur besorgt. In Kinshasa setzen sich die Banker*innen für den «Uhrengestalter» ein, der mit seinen riesigen Uhren «die Strassen verschönern» will. Die Überweisung erfolgt schliesslich über eine andere Korrespondenzbank.

Ein Meteorit am Uhrenhimmel

André Grossmann hat es stets geschafft, sich aus der Affäre zu ziehen. Als er in Kinshasa die erste Vertragsversion unterzeichnet (denn es wird noch weitere geben), steht er kurz vor dem Bankrott. Am 28. Januar 2011 wird seine Firma Horus Monaco vom erstinstanzlichen Gericht von Monaco für zahlungsunfähig erklärt. Gestärkt durch die Finanzhilfe in Form kongolesischer Staatsgelder beschliesst der Schweizer Uhrmacher, das Fürstentum zu verlassen. Im Herbst 2011 trägt er die Horus Luxury (Switzerland) SA ins Schweizer Handelsregister ein. Sie hat ihren Sitz in Vessy GE, wird im kongolesischen Vertrag an die Stelle von Horus Monaco treten und ein Jahr später mehrere Bankkonten bei der BGFIBank RDC eröffnen.  

In der kleinen Welt der Luxusuhrenindustrie bleibt der gebürtige Neuenburger in schillernder Erinnerung. Eine Quelle beschreibt ihn als einen «sehr sympathischen Burschen, einen Spieler von faszinierender Unverschämtheit, der sich geheimnisvoll gab und ständig seine Telefonnummer änderte». Grossmann taucht 2008 mitten in der Finanzkrise mit seiner Marke Horus in der Landschaft auf. Der Jetsetter reist damals zwischen Monaco, Saint-Tropez, Montreux und Abu Dhabi hin und her. Er verkauft sündhaft teuren Schmuck und Uhren an Liebhaber*innen seltener Stücke. «Ihre Produktion kostete ein Vermögen, und Horus stellte manchmal nur 25 bis 30 Exemplare her, was aus wirtschaftlicher Sicht völliger Unsinn ist», fährt der Gesprächspartner fort und fügt an: «Die Schweiz ist voller seltsamer Leute, die sich im Umfeld der Uhrenbranche tummeln».

2012 ist auf der Website Business Montres & Joaillerie eine Liste «verschwundener (oder fast verschwundener) Marken» zu finden. Auch Horus gehört dazu. «Innerhalb weniger Monate voller flammender Initiativen war das verfügbare Bargeld alle, die Lieferanten beunruhigt, die Sammler betrogen und der Schöpfer [Anm. d. Red.: André Grossmann] vom europäischen Horizont verschwunden», schreibt die Online-Zeitschrift ironisch.

Grossmann und seine kongolesischen Freund*innen

André Grossmann hat zu diesem Zeitpunkt bereits Kurs auf die Demokratische Republik Kongo genommen und sich in Kabilas Kreisen Freund*innen gemacht. Der ehemalige Verwalter einer seiner Schweizer Firmen sagt, er habe ihn oft über seine Kontakte «rund um die Präsidentschaft» sprechen hören. Und wie anfangs erwähnt hat er beim einflussreichen Pastor Daniel Ngoy Mulanda einen Stein im Brett.

Letzterer reist zu dieser Zeit durch den Osten des Kongos, um zu predigen, dass «mit Gottes Hilfe aus Kriminellen gute Bürger werden können». Er scheut sich nicht, vor Bergen von alten Gewehren und verrosteten Kalaschnikows zu posieren, die er im Tausch gegen einen Geldschein eingesammelt hat. Seine Karriere ist im Aufwind: Für die Wahlen 2011 wird er zum Vorsitzenden der unabhängigen nationalen Wahlkommission (CENI) ernannt. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, massiven Wahlbetrug organisiert zu haben, der Mulundas Mentor Joseph Kabila die Wiederwahl ermöglichte. Im Januar 2021 wird der Kirchenmann wegen «Anstiftung zum Stammeshass» verurteilt und sitzt heute im Gefängnis.

Im Oktober 2010 ist Daniel Ngoy Mulunda im Gefolge von Präsident Joseph Kabila, der am XIII. Frankophoniegipfel teilnimmt, in Montreux zu Besuch. In einem Luxushotel der Stadt hält der stets schwungvolle Prediger eine Pressekonferenz über seine «Befriedungsmission» im Ostkongo ab. Ein auf YouTube gepostetes Video zeigt ihn zusammen mit den beiden Schweizer «Koordinatoren» seiner NGO PAREC: mit André Grossmann und einem Kongolesen, der die Pro-Kabila-Partei PDDR (Parti du peuple pour la reconstruction et la démocratie) vertritt.

Grossmann erklärt, er habe «sein letztes Geld zusammengekratzt», um die «Aktion Waffen gegen 50 Dollar» zu unterstützen. Über die lukrativen Verträge, die er parallel zu seinem «humanitären» Engagement aushandelt, verliert er kein Wort.

© Keystone/Dominic Favre
Die damalige Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard mit Joseph Kabila, Ex-Präsident der Demokratischen Republik Kongo, während der Eröffnungszeremonie des XIII. Frankophoniegipfels in Montreux am 23. Oktober 2010.

Grosse Geschenke an die Frankophonie

Denn es gibt nicht nur den Vertrag über die Riesenuhren. Es gibt auch noch den über die Armbanduhren. Grossmann hat es geschafft, sich unter den Lieferanten des nationalen Organisationskomitees (CNO) des XIV. Frankophoniegipfels durchzusetzen, der im Oktober 2012 in Kinshasa stattfindet. Ein Beweis für seine hervorragenden Verbindungen zur kongolesischen Elite. Das CNO hat über ein Darlehen der BGFIBank RDC zweistellige Millionenbeträge aus der kongolesischen Staatskasse erhalten und gibt sie verschwenderisch für Autos, Möbel, Kleidung, Ausrüstung und Geschenke aus, die an die Teilnehmenden verteilt werden sollen.

Mediapart, einer unserer Partner in der umfangreichen Recherche «Congo Hold-Up», hat berechnet, dass für die zwei Tage des Gipfels insgesamt 90 Millionen US-Dollar ausgegeben worden sind, wobei das damals der Presse mitgeteilte Budget bei 20 Millionen Dollar lag. Ein verschwenderischer Wahnsinn in einem Land, in dem das Einkommen pro Kopf zu dieser Zeit 32 US-Dollar im Monat betrug. Doch nicht alle gehen leer aus.

Aus den Bankunterlagen, die uns vorliegen, geht hervor, dass das nationale Organisationskomitee zwischen September und Oktober 2012 bei unserem Schweizer Uhrenhersteller 300 Luxusuhren für insgesamt über eine Million Dollar gekauft hat. Das Geld wurde in drei Zahlungen an die Freiburger Kantonalbank, Filiale Châtel-St-Denis, überwiesen. Die Uhren waren als Geschenk bestimmt und kosteten zwischen 2000 und 5000 Dollar pro Stück. Ein ehemaliger Schweizer Verwalter von Horus Luxury versichert, dass die Uhren tatsächlich in die Demokratische Republik Kongo geliefert worden sind.

«Ich bestätige diese Käufe», sagt der Generalkommissar des Organisationskomitees Isidore Ndaywel auf Anfrage von Mediapart. «Sie stehen in keinem Zusammenhang mit der Frankophonie. Der kongolesische Staatschef hatte beschlossen, seinen Gästen Luxusuhren zu schenken». In einer Liste von Geschenken, die der kanadische Premierminister Stephen Harper erhalten hat, findet sich übrigens ein Hinweis auf dieses Geschenk. Interessanterweise werden diese Luxusuhren indirekt über Frankreichs öffentliche Entwicklungshilfe finanziert. Der französische Staat hatte sich nämlich mit 1,6 Millionen Euro an der Organisation des XIV. Frankophoniegipfels beteiligt.

Am 10. Januar 2013 macht das CNO eine letzte Zahlung von 200’000 Dollar, die diesmal bei der BGFIBank RDC eingehen, wo Grossmann ein Konto hat. Dieses war im Oktober 2012 im Namen von Horus RDC SPRL eröffnet worden, einem Unternehmen, das damals nicht im kongolesischen Handelsregister eingetragen ist. Der Betrag wird fast vollständig in bar abgehoben – 120’000 Dollar am selben Tag, 77’000 Dollar am nächsten – wobei nicht klar ist, für wen die Gelder bestimmt sind. Zwar erfolgen in der Demokratischen Republik Kongo die meisten Zahlungen in bar, doch das Gesetz verbietet grundsätzlich jede Abhebung von Bargeld von mehr als 10’000 US-Dollar ohne entsprechenden Nachweis. Eine Regel, die von der BGFIBank weitgehend missachtet wurde. Horus brauchte jedenfalls keine Lieferant*innen vor Ort zu bezahlen, um die Schweizer Uhren herzustellen.

Das Konto von Horus RDC war offenbar nur eröffnet worden, um vom nationalen Organisationskomitee für den XIV. Frankophoniegipfel die 200’000 Dollar in Empfang nehmen zu können, die sofort wieder in bar ausbezahlt werden. Danach bleibt das Konto inaktiv und bezahlt lediglich die Bankgebühren– bis 2018, dem Jahr, in dem das andere Projekt, das der Riesenuhren, wiederbelebt wird.

Doch in der Zwischenzeit gibt das grössenwahnsinnige Bauvorhaben in der Öffentlichkeit kaum zu reden. Niemand spricht darüber, weder in den kongolesischen Medien noch anderswo.  

Und täglich grüsst die Riesenuhr

Ende April 2011 kündigt eine anonyme Person in einem Diskussionsforum an, Präsident Kabila wolle in Goma, in der Provinz Nord-Kivu, «ein riesiges Monument mit einer der grössten Uhren der Welt erstellen». Des Weiteren heisst es, eine Delegation sei vor Ort gewesen, um «Machbarkeitsstudien» durchzuführen und ein Modell zu präsentieren. Errichtet werden soll «dieses Werk mit dem Zweck, der Tourismusstadt Goma einen besonderen Glanz zu verleihen» mitten auf einer grossen Kreuzung, dem sogenannten Bankenkreisel. Allerdings folgen diesen Worten keine Taten.

Zwei von Public Eye befragte Journalist*innen, die in dieser Grossstadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo leben, sagen, sie hätten noch nie etwas davon gehört. Bis heute ist der Kreisel unverändert grün. Vor etwas mehr als einem Jahr berichtete ein lokaler Radiosender, dass die für die Pflege des Kreisels zuständigen Gärtner*innen ihre seit zwei Monaten ausstehenden Löhne einforderten. Es scheint, dass nur die Banker*innen der BGFIBank RDC über die wechselhafte Entwicklung des Projekts auf dem Laufenden gehalten werden.

Nachdem er im März 2011 einen Vorschuss von 1,3 Millionen US-Dollar erhalten hat, scheint André Grossmann eine Durststrecke durchzumachen. Sein Konto bei der BGFIBank RDC vegetiert vor sich hin, wie aus den Daten von «Congo Hold-Up» hervorgeht. Ende 2015 verzeichnet es ein Defizit von 12’245,73 Dollar, Horus RDC erscheint auf der Liste der gefährdeten Forderungen der Bank.

Bei einem Treffen mit seinen kongolesischen Banker*innen im Februar 2016 führt der Schweizer «grosse Verzögerungen bei der Zahlungsausführung für die ultramodernen Riesenuhren» an. Er legt ein Schreiben des Ministers für Infrastruktur und öffentliche Arbeiten vom 22. September 2015 vor, in dem drei anstehende Zahlungen bestätigt werden: «Also insgesamt USD 2’389’447, die auf dem Konto des Kunden in unseren Büchern erwartet werden», schreiben seine Gesprächspartner, die offenbar eine grosse Toleranz an den Tag legen. Grossmanns Konto steht zu diesem Zeitpunkt unter der Verantwortung des Vermögensverwalters Moreau Khagoma, einem Vertrauten von Francis Selemani, dem Generaldirektor der BGFIBank RDC, der über die Konten des Kabila-Klans wacht (dazu mehr in unserer ersten Folge von «Congo Hold-Up».

Die kongolesische Zentralbank als rettende Hand

Die versprochenen Millionen kommen nicht, und es dauert weitere drei Jahre, bis sich die Lage entspannt. Am 7. März 2018 richtet der damalige Finanzminister Henri Yav Mulang einen «Antrag auf Liquidation von 958’100 USD mittels Sonderverfahren» «zur Zahlung des Restbetrags für die Arbeiten im Zusammenhang mit dem Projekt zur Lieferung und Errichtung von 5 Uhren in der Provinz» an seinen Amtskollegen im Haushaltsministerium. Ein Dokument, das uns in Kopie vorliegt.

Es ist die kongolesische Zentralbank (BCC), die dem Schweizer Uhrmacher zu Hilfe eilt.

Auszug aus dem Brief, in dem die «Liquidation von 958’100 USD mittels Sonderverfahren» beantragt wird. Klick auf das Bild, um das Dokument herunterzuladen. Quelle: PPLAAF und Mediapart.

Zwischen dem 5. April und dem 5. November 2018 erhält Horus RDC auf das Konto bei der BGFIBank RDC vier Zahlungen von insgesamt 928’085 US-Dollar.

Um an diese staatlichen Gelder zu kommen, muss André Grossmann in aller Eile eine kongolesische Gesellschaft gründen: die Horus RDC SARL. Die kongolesische Regierung hat nämlich angeführt, dass Horus Luxury Switzerland nicht über die erforderlichen Statuten verfüge, «um solche Werke zu realisieren, und sie ist nicht vor Ort, um die Beträge der Regierung einzuziehen und die verschiedenen administrativen Aufgaben zu erfüllen».

Die Gesellschaft wird also am 6. April 2018 ins kongolesische Handelsregister eingetragen und hat zu diesem Zeitpunkt zwei Teilhaber*innen: den Schweizer Uhrmacher selbst und Lydia Zaina Mwange, eine Kongolesin, die als Geschäftsführerin fungiert.

Nach diesem Zufluss an öffentlichen Geldern kommt Bewegung in das Konto von Horus RDC bei der BGFIBank: Am Tag nach der ersten Überweisung von der kongolesischen Zentralbank hebt André Grossmann 122’000 US-Dollar in bar ab, einen Monat später 100’000 Euro. Gab es Lieferanten in der Demokratischen Republik Kongo, die er bezahlen musste? Das Amt für Raumplanung und Städtebau (BEAU), das den Auftrag für die Bauarbeiten hatte, erhält 46’000 US-Dollar.

Operation Rückführung der Gelder in die Schweiz

Ein Teil des Geldes, das von der kongolesischen Zentralbank auf das Konto von Horus RDC überwiesen wird, gelangt in die Schweiz. André Grossmann zieht eine neue Firma aus der Tasche, die AWG HI-TECH CONCEPTS SA, die die Banker*innen der BGFIBank in ihrer Korrespondenz als «grössten Lieferanten» des Uhrenherstellers bezeichnen.

Es handelt sich jedoch um eine Gesellschaft, die Grossmann selbst Ende 2014 an seinem Sitz in Château-d’Œx, einem beschaulichen Ort in den Waadtländer Voralpen, hat registrieren lassen. Das Kapital der Firma wurde damals in Form von Inhaberaktien gehalten, die es ihren Besitzer*innen ermöglichen, gegenüber ihrer Bank und den Behörden anonym zu bleiben. Diese von Wirtschaftskriminellen häufig genutzte Möglichkeit wurde in der Schweiz im Mai 2021 abgeschafft.

Zwischen dem 7. Mai und dem 6. November 2018 erhält das Unternehmen, das 15 Monate zuvor nur knapp dem Konkurs entgangen ist, auf seinem Konto bei der Raiffeisenbank in Château-d’Œx Zahlungen von 400’000 US-Dollar und 95’783’89 Euro. Zahlungsgründe: «Weitere Uhrenlieferungen», «KAUF MATERIAL UND ANDERE UHREN» und «ENGINEERINGKOSTEN».  

Die 400’000 US-Dollar sind für die «Ausführung, den Transport und die Errichtung der ersten beiden Werke in der DR Kongo» vorgesehen, wovon 250’000 Dollar für Materialkauf, 40’000 Dollar für Arbeitskraft, 30’000 Dollar für Engineeringkosten und 80’000 Dollar für die Logistik Schweiz-DR Kongo in den verschiedenen Provinzen aufgewendet werden sollen. Die Preise sind geschrumpft: Der ursprüngliche Vertrag sah Kosten in Höhe von 900’000 Euro für eine einzige Uhr vor. Auf der Rechnung der AWG HI-TECH CONCEPTS SA an Horus RDC – einer Rechnung also, die Grossmann an sich selbst richtet – ist eine Anzahlung von 100’000 Dollar aufgeführt.

Verschlüsselte E-Mails

Das Geld lässt auf sich warten. Das ist die Gelegenheit für den Uhrmacher, sich mit seiner Waadtländer Raiffeisenbankerin auszutauschen. Sie verlangt zusätzliche Unterlagen, darunter den alten Vertrag, der 2011 unterzeichnet wurde, und zeigt ihrem Kunden, wie er verschlüsselt kommunizieren kann.

André Grossmann zahlt sich auch 45’000 Dollar an Tantiemen aus, und zwar auf das Konto von Horus Luxury (Switzerland SA) bei der Freiburger Kantonalbank. Doch dies ist ein fruchtloses Unterfangen, denn die Firma ist am Ende: Zwei Wochen zuvor hat das erstinstanzliche Gericht in Genf ihre Liquidation angeordnet. Die Firma wird im März 2019 aus dem Handelsregister gestrichen.

Ermöglichte dieser Liquiditätsschub dem Geschäftsmann, sein Projekt endlich aufzugleisen?

In einem kuriosen Beitrag eines jurassischen Lokalradios werden im Oktober 2018 die Glanzleistungen einer «sehr jungen Schweizer Marke, Amani, Frieden auf Swahili» gerühmt, die mit der Herstellung von fünf Hightech-Uhren für die Demokratische Republik Kongo beauftragt wurde. Der Radiosender kündigt an, dass eine der Uhren in Kürze geliefert werden soll – sieben Jahre nach dem Start des Projekts. Die Journalistin berichtet weiter, dass die Gestaltung und Herstellung der Uhr der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg anvertraut worden seien und «60 Personen» am Projekt mitgearbeitet hätten.

Auf der Website von Amani Time werden die Riesenuhren als «eine Brücke zwischen der Schweiz und der Demokratischen Republik Kongo» präsentiert.
Auf der Website von Amani Time werden die Riesenuhren als «eine Brücke zwischen der Schweiz und der Demokratischen Republik Kongo» präsentiert.

Das Eigenleben der Uhren

Amani Time Switzerland SA ist ganz einfach die jüngste von Grossmanns zahlreichen Firmen. Er lässt sie im April 2019 eintragen. Diesmal domiziliert er seine Firma bei einer Treuhandgesellschaft in Lutry, einem Weindorf am Genfersee.

Der Sprecher der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg antwortet auf Anfrage wortkarg, dass «dieses alte Projekt nie verwirklicht wurde» und er sich nicht weiter zu diesem Thema äussern wolle.

Könnte dies die Geschichte eines kleinen Schweizer Uhrmachers sein, der sein Traumgeschäft aufgrund der finanziellen Misswirtschaft und der ausbeuterischen Praktiken in der DR Kongo nie verwirklichen konnte? Anhand der Dokumente, die wir eingesehen haben, fällt es schwer, sich für diese Hypothese zu erwärmen, aber wir hätten gerne die Version des Hauptprotagonisten gehört. Doch André Grossmann hat unsere mehrmals per E-Mail geschickten Fragen nicht beantwortet. Über sein Treuhandbüro in Lutry war er für uns ebenfalls nicht erreichbar.

Auch keine seiner Banken in der Schweiz will sich äussern. «Die Informationen über jegliche Geschäftsbeziehung unterliegen dem Bankgeheimnis», antwortet die Raiffeisenbank. Und die Freiburger Kantonalbank verweist auf ihre «Geheimhaltungspflicht (Art. 47 des Bundesgesetzes über die Banken), die es uns nicht erlaubt, Ihrer Anfrage Folge zu leisten». Die kongolesische Zentralbank sowie die kongolesischen Ministerien für Infrastruktur und Finanzen schweigen sich ebenso aus wie der ehemalige Minister Henri Yav Mulang.

Die riesigen Uhren scheinen jedoch entschlossen zu sein, weiterhin ihr eigenes Leben zu führen. Auf der Website von Amani Time werden sie immer noch als «Brücke zwischen der Schweiz und der Demokratischen Republik Kongo» und als «grossartiges Symbol für Modernität und Frieden im Osten der DR Kongo, wo erst vor wenigen Jahrzehnten der grösste Genozid nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat» bezeichnet. Das Narrativ betont auch, der Anstoss für dieses Projekt sei von «Seiner Exzellenz Joseph Kabila» ausgegangen.

«Mit seiner Leidenschaft für die Herstellung von Schweizer Uhren wollte [Joseph Kabila] das Symbol der Zeit nutzen, um inmitten des Wiederaufbaus des Landes eine Botschaft der Hoffnung zu senden».

Als Botschaft der Hoffnung gäbe es für die Kongolesinnen und Kongolesen, die tagtäglich unter der Verschwendung und dem Raub öffentlicher Gelder leiden, sicher Besseres. Die riesigen Geisteruhren «Made in Switzerland» zeigen ja nicht mal einmal am Tag die richtige Zeit an.