Freiburg: Offshore auf dem Land

Als Folge einer aggressiven Steuerpolitik beherbergt der landwirtschaftlich geprägte Kanton Freiburg eine grosse Zahl von Unternehmen ohne Substanz. Unseren Schätzungen zufolge gibt es rund 3000 solcher Firmen, die 13,24% der lokalen Wirtschaftsstruktur ausmachen und hauptsächlich bei Anwält*innen, Notar*innen und Treuhänder*innen entlang dem Boulevard de Pérolles ansässig sind.
Die zehn Adressen mit den meisten Unternehmen im Kanton Freiburg

«Briefkastenfirmen: Freiburg gibt sich bedeckt» titelte 1988 die Korrespondentin der Presseagentur SDA («Sociétés boîtes aux lettres: Fribourg se voile la face»). Der süffig geschriebene Beitrag bot den Lesenden einen historischen Überblick über die wichtigsten Daten, die den Kanton dazu gebracht haben, Holdings, Domizilgesellschaften und Zweigniederlassungen internationaler Unternehmen von Steuern zu befreien, sowie einen lobenswerten Versuch in Transparenz und Rechtfertigung der lokalen Behörden.

Die kantonale Steuerverwaltung schätzte die Zahl der Briefkastenfirmen damals auf 1500 bis 1600, konnte ihr «Steueraufkommen» aber nicht beziffern. Ebenso wenig die geschaffenen Stellen. Der kantonale Finanzdirektor rechtfertigte die Tatenlosigkeit bereits damals mit der mangelnden Steuerharmonisierung und der Gefahr von Standortverlagerungen:

«Freiburg kann nicht allein Harakiri begehen, allein brav bleiben.»

Ruhende Unternehmen

Auf Druck der OECD hat die Schweiz am 1. Januar 2020 den Status der «Domizilgesellschaft» endlich abgeschafft. Doch nach wie vor beherbergen die Villen und Briefkästen am Boulevard de Pérolles so manche substanzlose Unternehmen und Holdings. Beispielsweise bei einer Anwältin, einem Notar oder einem Treuhandbüro.

So hatte beispielsweise die Vicpart Holding 1999 beschlossen, sich an der Rue Saint-Pierre 18 bei einem Treuhänder niederzulassen, der auch die Revision des Unternehmens erledigte. Keine Spur von Büro oder Angestellten; das Unternehmen machte sich nicht einmal die Mühe, bei den zahllosen Briefkästen ein eigenes Namensschild anzubringen. Die Vicpart Holding schien nur im Handelsregister zu existieren, wurde aber trotzdem im Oktober 2008 Eigentümerin von 96,82% der Anteile der weissrussischen Bank JSC Credexbank. Also nach zehn Jahren ohne Tätigkeit.

Die Justiz der Vereinigten Staaten verdächtigte das Freiburger Unternehmen, russisches Geld zugunsten der Credex weisszuwaschen. Letztere hatte Anfang 2010 eine Milliarde US-Dollar an Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Ländern überwiesen, während ihr Aktienkapital damals laut einem Bericht der FinCen, der US-amerikanischen Ermittlungsbehörde gegen Wirtschaftskriminalität, rund 10 Millionen US-Dollar betrug. Das Unternehmen wechselte mehrmals die Wirtschaftsprüfer und die Presse griff das Thema auf. Im Zuge dieser Affäre wurde die Holdinggesellschaft liquidiert und im März 2014 schliesslich gelöscht. Das Treuhandbüro, bei dem die Vicpart Holding ihren Sitz hatte, änderte mehrfach den Firmennamen und die Adresse, ist heute aber noch immer in Freiburg tätig.

Offshore bis nach Marly

In den Panama Papers kam Freiburg ebenfalls zu Ehren. Die vom Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) veröffentlichten Metadaten führten ein Treuhandbüro auf, das 176 Mal in Zusammenhang mit Offshore-Strukturen erwähnt wurde, die in Steuerparadiesen in der Karibik und im Indischen Ozean errichtet worden waren. Wie eine partizipative Studie zeigt, die im Juni mit Unterstützung von freiwilligen Mitarbeiter*innen von Public Eye erstellt wurde, sind die meisten der 1277 Schweizer Finanzintermediäre fünf Jahre nach dem Skandal rund um die Panama Papers nach wie vor im Corporate Engineering tätig. Unter den Treuhänder*innen liegt die «Überlebensrate» bei 73%, bei den Anwält*innen sogar bei 78%. Nichts scheint die Besessenheit mit Domizilunternehmen aufzuhalten oder irgendeine*n Intermediär*in ins Gefängnis zu bringen.

Manchmal stehen Holdings sogar auf eigenen Beinen. Nachdem sich sie SBM Offshore in Zug niedergelassen hatte, um der damals aggressiven Besteuerung in den Niederlanden zu entkommen, packte sie 1969 ihre Koffer – und liess sich in Marly rund vier Kilometer von Freiburg nieder.

Die auf Infrastrukturen zur Gas- und Erdölförderung spezialisierte niederländische Gruppe gönnt sich zwar eine echte Finanzabteilung, die bis zu 50 Personen beschäftigte. Daneben verfügt sie aber über eine ausserordentlich komplexe Organisationsstruktur: Bis zu 24 unterschiedliche Unternehmen sind an der  Avenue de Fribourg 5 registriert und die SBM Offshore Holding SA besteht seit gerade einmal drei Jahren. Von Marly aus leitete die SBM Offshore zwischen 2007 und 2011 auch einen Teil der Schmiergelder weiter, die an Beamte in Brasilien, Angola, Äquatorialguinea, Kasachstan und Irak gezahlt wurden, um vorteilhafte Verträge zu bekommen. Der Konzern wurde von einem niederländischen (2014) und einem US-amerikanischen (2017) Gericht zu einer Geldstrafe von 192 Millionen Euro bzw. 238 Millionen Dollar verurteilt und musste 148 Millionen Dollar Entschädigung an das brasilianische Unternehmen Petrobras zahlen (2018). Der Direktor der Schweizer Niederlassung wurde zudem zu einer 24-monatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er direkt von der Bestechung profitiert hatte, sowie zu einer Schadenersatzforderung von 480'200 Franken (2020). Auf diese negative Publicity hätte Marly gut verzichten können.

Multi der Leggings und der Optimierung

Nicht alle Holdinggesellschaften und substanzlosen Unternehmen machen illegale Geschäfte. Ein weiterer Vorteil der Gründung solcher juristischen Personen ist die Steueroptimierung. So hat sich beispielsweise die Inditex-Holding, jene Gruppe, die die Modeketten Zara, Massimo Dutti und Bershka besitzt, an der Adresse Rue Louis-d'Affry 6 in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Freiburg niedergelassen. Das Unternehmen ist zweifellos mehr als eine Briefkastenfirma, aber Inditex hatte dort drei miteinander verflochtene Unternehmen gegründet: ITX Trading SA, ITX Holding SA – die im Januar 2020 mit dem Ende der Statusgesellschaften gelöscht wurde – und ITX Merken BV (Freiburger Niederlassung).

Unter diesem Firmennamen sind zumindest bis vor Kurzem buchhalterisch erhebliche Teile der Gewinne «repatriiert» worden, die zuvor in Ländern mit weniger vorteilhaften Gesetzgebungen realisiert wurden. Die Wirtschaftsagentur Bloomberg geht davon aus, dass Inditex damit zwischen 2009 und 2012 rund 325 Millionen Franken an Steuern gespart hat.

Zum Vergleich: Der Freiburger Finanzdirektor schätzte 2008 die Steuereinnahmen aller im Kanton niedergelassenen Holdings auf 2 oder 3 Millionen Franken (2018: 3,5 Millionen). Ein geringer öffentlicher Nutzen angesichts der von Grossunternehmen gemachten Einsparungen. Genau diese Praktiken will die internationale Steuerreform abschaffen, um die Besteuerung von Multis zu harmonisieren.

Gemäss den Schätzungen von Public Eye (Methodik siehe unten) gibt es in Freiburg 3064 Unternehmen ohne Substanz. Angesichts der grossen Offshore-Zentren Zug und Genf wird der Landwirtschaftskanton nicht gerade ermutigt, «allein brav» zu bleiben.

Weitere Informationen

  • Methodik: Mehrstufige Analyse

    Gleich vorweg: Unsere Daten bleiben eine Momentaufnahme der aktuellen Unternehmensstruktur. Sie belegen die wirtschaftliche Struktur eines gegebenen Kantons zum Zeitpunkt unserer Datenextraktion von der Website Zefix.ch. Dieses Eintauchen in den Zentralen Firmenindex der Schweiz erlaubte uns eine erste Zuordnung von Adressen mit den meisten Firmensitzen und jenen mit den meisten c/o-Firmennamen.

    Damit konnten wir Zehntausende Unternehmen erfassen, von denen jene in Liquidation abzuziehen sind. In grossen Einkaufszentren gibt es logischerweise über hundert Unternehmen. Ebenso in Spitälern und Kliniken, wo Ärzte ihre Praxen registrieren. Auch die Entwicklung von Coworking Spaces führt zur Konzentration gewisser Firmen an ein und derselben Adresse. Wir haben sie aus unserer Analyse folglich herausgenommen.

    Die verschiedenen Handelsregister haben uns ebenfalls erlaubt, über die Technik des Extrahierens von elektronischen Daten (scraping) eine Auflistung von Personen und Kanzleien vorzunehmen, die am meisten Unternehmen pro Kanton verwalten.

    Danach mussten wir uns mit der Substanz dieser Unternehmen, der Anzahl ihrer Angestellten in Vollzeitäquivalenten (VZÄ), befassen. Anonymisierte Daten (ohne Firmennamen) sind auf der Website des Bundesamts für Statistik (BFS) öffentlich einsehbar. Sie beziehen sich unter Angabe der geografischen Koordinaten auf die Unternehmen und die Anzahl Angestellte. Doch Ergebnisse für Firmen mit weniger als vier Angestellten werden nicht detailliert aufgeführt und die Behörde hat zudem darauf geachtet, die beiden letzten Ziffern der Geolokalisierungsdaten systematisch zu ersetzen, um die Identifizierung der Unternehmen zu erschweren. Die Schweiz scheint die Anzahl der Angestellten als hochsensible Daten zu erachten.

    Um die nicht veröffentlichten Daten des Jahres 2018 (der letzten zum Zeitpunkt der Erhebung zugänglichen Statistik) zu erhalten, mussten wir eine Datenschutzvereinbarung unterzeichnen, die unser Recht auf Verbreitung allzu genauer Ergebnisse auf Unternehmensebene oder die Nennung von Unternehmen mit weniger als fünf Angestellten einschränkt. Auf der Grundlage dieser dritten Datenbank konnten wir also einen Durchschnittswert von Vollzeitäquivalenten pro Adresse errechnen. Diese haben wir verwendet, um über die Geolokalisierungs-API von Google Geocoding die Adressen zu lokalisieren. Das Adressverzeichnis wurde durch Recherchen auf Google Maps und Besuche der verschiedenen Eingangsbereiche und Stockwerke von Gebäuden sowie dem Telefonverzeichnis Search.ch ergänzt. Fehlende Telefonnummern können ein Hinweis auf die fehlende Substanz von Unternehmen sein.

    Auf die Frage nach den Gründen für die Vertraulichkeit ihrer Statistiken begnügte sich das BFS mit dem Hinweis, es wende die «geltende Gesetzgebung zum Datenschutz» an, und verwies auf eine Website.