Mode, Handel und verstecktes Bargeld bei Treuhandbüros im Tessin

Wie die «Pandora-Papiere» gezeigt haben, ist die Tessiner Offshore-Industrie nach wie vor sehr aktiv. Einer exklusiven Untersuchung von Public Eye zufolge zählt der italienischsprachige Kanton rund 9800 Unternehmen ohne Substanz. Wenig überraschend finden sich unter den beliebtesten Adressen südlich der Alpen Unternehmen aus dem «Fashion Valley» und dem Rohstoffhandel, die historisch mit dem Tessiner Finanzplatz verbunden sind. Und ein italienischer Nachbar, der seine Wirtschaftskriminalität exportiert.
Die zehn Adressen mit den meisten Unternehmen im Kanton Tessin

Einige Schritte vom Stadtzentrum von Lugano entfernt, auf der anderen Seite des Flusses Cassarate, ragt ein von Stararchitekt Mario Botta entworfener Backsteinbau in die Höhe. An der Via Maggio 1 hat u.a. Regus seinen Sitz, ein weltweit tätiges multinationales Unternehmen, das flexible Arbeitsräume anbietet. An der dem Fluss zugewandten Seite des Gebäudes ist auch das einflussreichste Treuhandbüro des Kantons Tessin untergebracht: die 1960 von Tito Tettamanti in Lugano gegründete Fidinam. 1959 wurde er als Mitglied der CVP im Alter von 29 Jahren Regierungsrat des Kantons Tessin. Ein Jahr später trat er in der Folge eines Skandals rund um die Verurteilung eines Freundes wegen Steuerhinterziehung zurück. In seinem Buch The Swiss Connection (1996) bezeichnet ihn der Journalist Gian Trepp als «Offshore-König», der über ein Netz an Unternehmen in der Schweiz, Monaco, Luxemburg, Lichtenstein und anderen Steuerparadiesen herrscht. 

Seit den 1960er-Jahren dient Fidinam hauptsächlich als Anlagevehikel für Fonds italienischer Herkunft. Die Achse Italien-Lugano-Vaduz ist zum Rückgrat ihres Geschäfts geworden. Wiederholt wurden der Name der Firma und jener von Tettamanti, der heute keine führende Rolle mehr in der Gruppe hat, mit Skandalen im Nachbarland in Verbindung gebracht: von Tangentopoli (illegale Finanzierung italienischer Parteien in den 1990er-Jahren) über Schmiergelder für Enimont (ein kurzlebiges Joint Venture zwischen dem Chemiekonzern Montedison und des Erdölkonzerns ENI, das 1988 noch an der Börse notiert war) bis zur Insolvenz des italienischen Nahrungsmittelkonzerns Parmalat (der 2003 ein Loch von 14 Milliarden Euro in seiner Kasse entdeckt hatte). Gegen Tito Tettamanti wurde selbst jedoch nie direkt ermittelt und er wurde nie verurteilt.

Kürzlich berichteten die Medien über die Verstrickung des Unternehmens in eine Affäre mit verstecktem Bargeld in Zusammenhang mit der Lega Nord, der rechtsextremen Partei von Matteo Salvini. Die Rede ist von Schwarzgeld aus dem umstrittenen Verkauf eines öffentlichen Gebäudes in der Lombardei, der durch ein italienisches Unternehmen von Fidinam durchgeführt wurde. Die Gruppe erklärt, mit der Untersuchung nichts zu tun zu haben, und erinnert daran, dass sie in der Vergangenheit mehrere Prozesse gegen Journalist*innen gewonnen hat. Der jüngste italienische Fall im Zusammenhang mit der Treuhandfirma betrifft einen Financier, der mehrere berühmte Personen, darunter den ehemaligen Trainer der Squadra Azzura, Antonio Conte, durch ein Offshore-Unternehmen, das mithilfe des luganesischen Unternehmens verwaltet wird, betrogen hat.

Schon 2003 warb Fidinam bei ihren europäischen Kund*innen damit, dass sie ihre Sparkonten bei einer Gesellschaft anlegen können, die für 650 Dollar auf den Britischen Jungferninseln oder in Panama gegründet wird, um so der bevorstehenden Erhebung von Quellensteuern zu entgehen. Diese Initiative bewog einen damaligen Nationalrat dazu, den Bundesrat um Klärung zu bitten.

An der Via Maggio 1 verzeichnet Public Eye gegenwärtig 116 Unternehmen (335, wenn man auch die gelöschten dazuzählt). Die meisten haben eine Adresse bei Fidinam oder einem der rund ein Dutzend Unternehmen der Gruppe, die dort niedergelassen sind. So hatte beispielsweise das heute in Liquidation befindliche und andernorts domizilierte Unternehmen Defendant Sàrl, das als Aufbewahrungsort der Immobilienaktiva des umstrittenen, mittlerweile verstorbenen italienischen Financiers Salvatore Ligresti galt, seine Adresse bei Fidinam & Partners SA. Laut dem Corriere della Sera ist das Tessiner Treuhandbüro der «Architekt der Offshore-Finanz» des von der italienischen Justiz verurteilten Unternehmers.

Geld von der Lega Nord bis zu Gucci

Via Cantonale 19: ein anonymer Bau an der Ecke einer stark befahrenen Strasse, die ins Zentrum von Lugano führt. Die Adresse beherbergt 163 Unternehmen (362, wenn man die gelöschten hinzunimmt) und führt zur Schwarzgeldaffäre der Lega Nord. Denn ein hier niedergelassenes Treuhandbüro namens Dreieck verwaltete das Unternehmen auf den Bahamas, das die panamesische Gesellschaft kontrollierte, die Fidirev (die Treuhänderin der Fidinamgruppe in Italien) angeblich verstecktes Geld überwiesen hatte. Der vielsagende Name Dreieck für ein Unternehmen, das in Offshore-Domizilen operiert, ist bereits Programm.

Aber es ist nicht die einzige interessante Treuhandgesellschaft an dieser Adresse. Das Gebäude beherbergt auch die Büros von Lardi & Partners SA, einem Adelio Lardi gehörendes Unternehmen. Sein Name ist im Tessin nur allzu bekannt: Er wird als Erfinder des Steuersystems des multinationalen französischen Modekonzerns Kering betrachtet, der über Jahre Gewinne in der Höhe von mehreren Milliarden Euro ins Tessin transferiert hatte, um von dessen Laschheit in Steuerfragen zu profitieren. 2012 wurden dort nahezu 70% der Konzerngewinne verwaltet, wie eine Fallstudie von Public Eye enthüllt hatte. Auf dem Papier war die Produktivität der 600 Angestellten in der Schweiz gewaltig. Ohne eine Nähmaschine zu berühren, verdiente jede*r durchschnittlich 117 Mal mehr als Kolleg*innen in anderen Ländern. Es war Lardi, der im Tessin die Firma Gucci SA gründete, die spätere Luxury Goods International SA (LGI), die bis 2019 von Kering Luxemburg (und heute von Kering Holland NV) kontrolliert wurde. Das Unternehmen LGI steht im Zentrum dieser Steueraffäre, die Kering vor zwei Jahren in Italien eine Rekordstrafe von 1,25 Milliarden Euro bescherte.

Adelio Lardi ist seit jeher Verwaltungsrat der LGI mit Sitz im Dorf Cadempino, dem Wohnort des Finanzintermediärs. Doch das ist nicht alles: Dank der Marke Gucci konnte Lardi mehrere Unternehmen der Kering-Gruppe verwalten, wie Bottega Veneta und andere Modelabels, die sich im Tessin niedergelassen haben, darunter Abercrombie & Fitch, Tom Ford und Loro Piana. Manche dieser Marken waren an der Adresse Via Cantonale 19 gemeldet. Das gilt für Macedonio International (heute an einer anderen Adresse in Liquidation), das die italienisch-japanische Schuhmarke Ishikawa führte. Letztere musste in Italien wegen mutmasslicher Steuerhinterziehung 3,5 Millionen Euro bezahlen.

Adelio Lardi, der im Vorstand von 93 Tessiner Unternehmen sass, ist auch Mitglied des Verwaltungsrats der an einer anderen Adresse domizilierten DXT Commodities, ein Handelsunternehmen (Energie und Gas), das heute als das wichtigste Tessiner Unternehmen gilt und 2020 einem Gewinn von 112 Millionen erzielt hat. Die von Lugano aus operierende DXT Commodities wird von einer Luxemburger Holdinggesellschaft kontrolliert, die über eine Unternehmenskette im Grossherzogtum letztlich einem in Liechtenstein niedergelassenen Trust gehört.

DXT Commodities scheint dem Italiener Bruno Bolfo zu gehören, der die Duferco-Gruppe gegründet hat, die weltweit im Stahlhandel führend ist. Dieses Unternehmen wird von einer Holding in Luxemburg kontrolliert (deren Mehrheitsanteile die chinesische Hebsteel hält; Bolfo hält eine Aktienminderheit), operiert aber von Lugano aus. Von 1996 bis 1998 hatte Duferco seinen Firmensitz an der Adresse Via Cantonale 19 und Adelio Lardi war von 1996 bis 2008 Mitglied im Verwaltungsrat. Als Duferco 1982 im Tessin gegründet wurde, war Bruno Bolfo nicht zugegen. Vor dem Notar erschien Elio Borradori, der sich als Finanzverwalter von Saddam Hussein einen Namen machen sollte.

Als ein Jahr später in Luxemburg das erste Unternehmen der Duferco Holding gegründet wurde, war das Vorgehen genau gleich: Die Kontrolle wurde Laconfida in Vaduz, einem Unternehmen von Borradoris Anwaltskanzlei, übertragen, von wo aus viele mehr oder weniger verborgene Finanzgeheimnisse über das treuhänderische Milieu Luganos weitergegeben werden. Wo ist heute der Sitz von Laconfida? Richtig, an der Via Cantonale 19.

Weitere Informationen

  • Methodik: Mehrstufige Analyse

    Gleich vorweg: Unsere Daten bleiben eine Momentaufnahme der aktuellen Unternehmensstruktur. Sie belegen die wirtschaftliche Struktur eines gegebenen Kantons zum Zeitpunkt unserer Datenextraktion von der Website Zefix.ch. Dieses Eintauchen in den Zentralen Firmenindex der Schweiz erlaubte uns eine erste Zuordnung von Adressen mit den meisten Firmensitzen und jenen mit den meisten c/o-Firmennamen.

    Damit konnten wir Zehntausende Unternehmen erfassen, von denen jene in Liquidation abzuziehen sind. In grossen Einkaufszentren gibt es logischerweise über hundert Unternehmen. Ebenso in Spitälern und Kliniken, wo Ärzte ihre Praxen registrieren. Auch die Entwicklung von Coworking Spaces führt zur Konzentration gewisser Firmen an ein und derselben Adresse. Wir haben sie aus unserer Analyse folglich herausgenommen.

    Die verschiedenen Handelsregister haben uns ebenfalls erlaubt, über die Technik des Extrahierens von elektronischen Daten (scraping) eine Auflistung von Personen und Kanzleien vorzunehmen, die am meisten Unternehmen pro Kanton verwalten.

    Danach mussten wir uns mit der Substanz dieser Unternehmen, der Anzahl ihrer Angestellten in Vollzeitäquivalenten (VZÄ), befassen. Anonymisierte Daten (ohne Firmennamen) sind auf der Website des Bundesamts für Statistik (BFS) öffentlich einsehbar. Sie beziehen sich unter Angabe der geografischen Koordinaten auf die Unternehmen und die Anzahl Angestellte. Doch Ergebnisse für Firmen mit weniger als vier Angestellten werden nicht detailliert aufgeführt und die Behörde hat zudem darauf geachtet, die beiden letzten Ziffern der Geolokalisierungsdaten systematisch zu ersetzen, um die Identifizierung der Unternehmen zu erschweren. Die Schweiz scheint die Anzahl der Angestellten als hochsensible Daten zu erachten.

    Um die nicht veröffentlichten Daten des Jahres 2018 (der letzten zum Zeitpunkt der Erhebung zugänglichen Statistik) zu erhalten, mussten wir eine Datenschutzvereinbarung unterzeichnen, die unser Recht auf Verbreitung allzu genauer Ergebnisse auf Unternehmensebene oder die Nennung von Unternehmen mit weniger als fünf Angestellten einschränkt. Auf der Grundlage dieser dritten Datenbank konnten wir also einen Durchschnittswert von Vollzeitäquivalenten pro Adresse errechnen. Diese haben wir verwendet, um über die Geolokalisierungs-API von Google Geocoding die Adressen zu lokalisieren. Das Adressverzeichnis wurde durch Recherchen auf Google Maps und Besuche der verschiedenen Eingangsbereiche und Stockwerke von Gebäuden sowie dem Telefonverzeichnis Search.ch ergänzt. Fehlende Telefonnummern können ein Hinweis auf die fehlende Substanz von Unternehmen sein.

    Auf die Frage nach den Gründen für die Vertraulichkeit ihrer Statistiken begnügte sich das BFS mit dem Hinweis, es wende die «geltende Gesetzgebung zum Datenschutz» an, und verwies auf eine Website.