Geneva Offshore: Reise in die Stadt der Briefkästen

Kein Büro, keine anderen Angestellten ausser einem Geschäftsführer, der die Konten führt und die Korrespondenz erledigt: Die Existenz von Briefkastenfirmen beschränkt sich praktisch auf die Messingschilder, die die diskreten Hauseingänge der Gebäude zieren. Fünf Jahre nach den «Panama Papers», zeigen die Enthüllungen der «Pandora Papers» auf ein Neues die zentrale Rolle der Schweizer Offshore-Industrie mit ihren Anwält*innen sowie Treuhandbüros und in welchem Ausmass die Schweiz weiterhin Steuerhinterziehung und Geldwäscherei erleichtert. In der Schweiz sind diese substanzlosen Firmen in nahezu die Hälfte der Verdachtsfälle in Korruption und Geldwäscherei verwickelt, die den hiesigen Behörden gemeldet werden. In der Calvin-Stadt machen sie gut ein Drittel der Wirtschaftsstruktur aus.
Die zehn Adressen mit den meisten Unternehmen im Kanton Genf

Genf ist keine Stadt für Pöstler. In diskreter Anarchie tauchen an den Briefkastenfluchten der Gebäude regelmässig neue Firmennamen auf und verschwinden wieder. Unter dem Namen irgendeiner Anwaltskanzlei erscheinen Dutzende Namen obskurer Firmen. An der Adresse irgendeines Treuhandbüros verbergen sich rund hundert mehr oder weniger substanzlose Konstrukte. Die meisten sind in ein paar Monaten wieder verschwunden und hinterlassen nur ein paar durchgestrichene Zeilen in einem Handelsregister.

Ebenso geht es einigen Stars der Offshore-Industrie, die aufgrund des «irreparablen Schadens», die ihr Ruf erlitten hat, verschwunden sind. «Mossack Fonseca, wohnen Sie in diesem Gebäude?», fragte der gewissenhafte Pöstler im April 2016 mittels eines Aufklebers, den er an der Adresse 4 Micheli-du-Crest im Hauseingang angebracht hatte. Aufgescheucht durch die Enthüllungen des Internationalen Konsortiums für Investigative Journalisten (ICIJ), hatten die Gründer der Anwaltskanzlei, die im Zentrum der Panama Papers stand es versäumt, die Post über die Schliessung ihrer Genfer Filiale zu unterrichten.

Wie die Enthüllungen vor fünf Jahren zeigten, hatten rund 1277 Schweizer Vermittler in diesem unscheinbaren Wohnhaus über 38'000 Briefkastenfirmen in der Karibik gegründet. Eine im Juni 2021 mit Unterstützung von ehrenamtlichen Mitgliedern von Public Eye durchgeführte Recherche zeigt klar: Zwei Drittel der 211 privaten Treuhänder*innen haben sich in Luft aufgelöst, mindestens 120 der 153 in den Panama Papers genannten Anwaltskanzleien (78%) sind aber noch aktiv. Und von den 821 anderen involvierten Schweizer Treuhandbüros und Finanzintermediären sind ebenfalls noch drei Viertel im Geschäft (73%). Der Rest bestehet aus nicht identifizierten Unternehmen.

Wie die «Pandora Papers», ein massives Datenleck bei 14 internationalen Treuhandgesellschaften, das vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlicht wurde, zeigen, spielen Schweizer Vermittler*innen weiterhin eine zentrale Rolle bei der Gründung von Briefkastenfirmen, um die Herkunft von Geldern und ihre wahren Eigentümer zu verschleiern. Von den 20’000 Offshore-Strukturen, die allein von der panamaischen Anwaltskanzlei Alcogal geschaffen wurden, sind mehr als ein Drittel mit Schweizer Anwält*innen, Treuhänder*innen und anderen Berater*innen verbunden. Ihre Kunden? Monarch*innen, Despot*innen autoritärer Länder oder Kriminelle.

Die verschiedenen Enthüllungen hatten damit praktisch keine Folgen: Die Briefkastenfirmen haben kaum an Beliebtheit eingebüsst, keiner der Finanzintermediäre wurde eingesperrt und auch zu einer wesentlichen Verschärfung des Geldwäschereigesetzes (GwG) ist es nicht gekommen. Und die hiesige Treuhand- und Finanzbranche begnügt sich nicht damit, Offshore-Aktivitäten «Made in Switzerland» in exotischen Ländern zu entfalten.

Der englische Begriff «offshore» hat einen negativen Beiklang, doch entgegen gewissen Vorurteilen verweist er nicht nur auf «Überseeländer» oder Steuerparadiese wie die britischen Jungferninseln, Guernsey oder Jersey, sondern bezieht sich auf den Grundsatz der Extraterritorialität. Im vorliegenden Fall also auf eine Firma, die in der Schweiz registriert ist, nicht um hier einem Gewerbe nachzugehen, sondern um von örtlichen Steuer- oder Gesetzesvorteilen zu profitieren. Zudem verwalten Schweizer Banken nach wie vor über ein Viertel der weltweiten Auslandsvermögen. Damit ist die Schweiz der weltweit führende «Offshore»-Finanzplatz.

© Denis Bailbouse / Reuters

Der Pöstler und der Briefkasten

In einer akribischen Datenanalyse hat Public Eye von Genf über das Tessin bis Zug die Unternehmensstruktur der wichtigsten Standorte für Briefkastenfirmen in der Schweiz kartographiert. Ebenfalls in die Recherche einbezogen wurde der Kanton Freiburg, der dafür bekannt ist, viele sogenannt «substanzlose» Unternehmen zu beherbergen. In diesen vier Kantonen haben wir nahezu 33'000 Unternehmen ohne Substanz gezählt. Die unmittelbare Folge für die Unternehmenslandschaft an diesen Standorten: eine stattliche Zahl von Gebäuden mit Briefkästen mit den Namen von unzähligen Firmen, die praktisch keine Räumlichkeiten beanspruchen und kein Personal beschäftigen. Und eine unüberschaubare Zahl von Briefkastenfirmen, die mit ihrer oft beschränkten Lebensdauer die Handelsregisterämter auf Trab halten.  

Für den Pöstler ist klar, was bei unbekannten Adressaten zu tun ist. Eine Suchmeldung, ein Vermerk im Taschenscanner, um das Verschwinden des Adressaten zu melden, und das zentrale Verzeichnis der Pöstler ist für die nächste Tour aktualisiert. Wo wird es komplizierter? Wenn in Wohnhäusern lauter Untermieter logieren oder bei Häusern mit Anwaltskanzleien, in denen sich zahllose Domizilgesellschaften verbergen, sagt Michel Guillot, der 25 Jahre Post ausgetragen hat.

Genau das haben die vier für unsere Studie ausgewählten Standorte gemeinsam: eine grosse Zahl von Anwaltskanzleien, Treuhand- und Notariatsbüros sowie anderen Finanzintermediären und Rechtsdienstleistern, von denen ein erheblicher Teil mit der Gründung von komplexen juristischen Unternehmenskonstrukten befasst ist. Dies häufig über Länder mit einer Rechtsordnung, die für ihre Undurchsichtigkeit bekannt ist.

Diese Konstrukte sind zwar legal, ermöglichen es aber auch, gewisse Transaktionen zu verschleiern und/oder den wahren wirtschaftlich Berechtigten bedeckt zu halten. Die Weltbank äussert sich im Rahmen ihres Kampfs gegen Wirtschaftskriminalität regelmässig besorgt darüber.

«Den meisten Fällen von Korruption im grossen Stil ist die Tatsache gemeinsam, dass sie sich auf Rechtsstrukturen wie Unternehmen, Stiftungen oder Trusts stützen, um die Eigentümerschaft und die Kontrolle von schmutzigen Geldern zu verschleiern»,

schreibt sie warnend im Vorwort zur Studie The Puppet Masters: How to Corrupt Use Legal Structures to Hide Stolen Assets and What to Do About It.

Bevor wir uns als Pöstler betätigten, ging es darum, die Hauptmerkmale der Unternehmen zu definieren, die wir suchen. Zu den Kriterien, auf die es zu achten gilt, gehören:

  1. keine operative oder kommerzielle Tätigkeit vor Ort;
  2. kein eigenes Personal (ausser Geschäftsführung);
  3. c/o-Adresse und/oder Sitz bei einem Treuhandbüro oder einer Anwaltskanzlei;
  4. komplexe Struktur (z. B. mit mehreren übereinander liegenden Organisationsebenen, bevor eine natürliche Person ins Spiel kommt);
  5. Geschäftsführende, die eine grosse Zahl weiterer Unternehmen führen;
  6. ungewöhnlich niedriger Verbrauch an Heizung, Strom und Internetdaten (diese Angaben sind allerdings nicht öffentlich zugänglich).

 Undurchschaubare Unternehmenslandschaft

© Public Eye

Die Studie von Public Eye zeigt, dass Genf rund 13'600 substanzlose Unternehmen zählt, die in Gebäuden untergebracht sind, in denen Anwaltskanzleien oder Treuhandbüros ihr Tagesgeschäft erledigen. Im Internet zögern «preisgünstige» Vermittler nicht, ihre Dienste anzubieten, um mit ein paar Klicks in weniger als zwei Wochen «ohne Wohnsitz in der Schweiz ein Unternehmen gründen» zu können. Manche bieten auch virtuelle Büros mit Schweizer Telefonnummern sowie der Weiterleitung von Anrufen und Post ab 99 Franken im Monat an. Und da sich die Schweiz weigert, ein öffentlich zugängliches Register der wirtschaftlich Berechtigten von Firmen einzuführen, das die Identifizierung der physischen Person hinter einer Briefkastenfirma erlauben würde, ist Diskretion garantiert.

Die Undurchsichtigkeit dieser Unternehmen erschwert die quantitative Recherche. Eine definitive Angabe zur Zahl von Briefkastenfirmen ist schwierig, doch eine Schätzung lässt sich auf der Basis verschiedener Datensätze vornehmen.

Die einfachste Methode ist, die Anzahl der Einträge im Genfer Handelsregister zu erfassen und davon die Zahl der Telefonnummern von Unternehmen abzuziehen, die im Telefonbuch search.ch eingetragen sind. Ende August 2020 haben wir 45'351 Genfer Unternehmen gezählt. Zieht man die 31'056 Telefonnummern ab, ergibt dies eine Differenz von 14'295 Firmen. Diese Schätzung ist am ungenausten, denn manche könnten eine kommerzielle Tätigkeit ausüben, ohne sich im Telefonbuch eintragen zu lassen. Andrerseits bieten in Genf diverse Treuhandbüros Dienste an, zu denen die Vergabe einer Telefonnummer mit lokaler Vorwahl gehört.

Die zweite Methode besteht darin, auf der Basis anonymer Daten der Statistik der Unternehmensstruktur (Statent) des Bundesamts für Statistik (BFS) alle Firmen aufzulisten, die weniger als eine Vollzeitstelle angeben. Von den 36'927 Gesellschaften, die vom BFS auf der Grundlage der AHV-Daten erfasst wurden, gibt es 19'139 Firmen mit weniger als einer Vollzeitstelle  (wobei das BFS nur Firmen erfasst, die im Minimum eine Lohnsumme von 2300 Franken pro Jahr auszahlen). Anders kommt mehr als jedes zweite Genfer Unternehmen (51,83%) mit sehr wenig Personal aus. Das sind namentlich juristische Konstrukte, die zur Erledigung der laufenden Geschäfte nur eine Geschäftsführung in Teilzeit brauchen. Aber Selbständigerwerbende wie Ärzt*innen oder Anwält*innen, die nicht in Vollzeit arbeiten.

Die letzte, präziseste Methode, die wir angewandt haben, war das Extrahieren der Daten aus dem Genfer Handelsregister, das über die Website Zefix.ch zugänglich ist, und dabei insbesondere die Namen von Geschäftsführer*innen von Unternehmen. Die Zuordnung zeigt Personen und Kanzleien, die Dutzende Unternehmen verwalten, die produktivsten davon bis zu 167. Die entsprechenden Firmen können also keine wirkliche Substanz haben. Bei der Analyse haben wir einen Schwellenwert von sechs verwalteten Unternehmen festgelegt (d. h. die Geschäftsführung widmet jedem Unternehmen weniger als einen Tag pro Woche).

Das Ergebnis: 13'638 Unternehmen, die wir als mehr oder weniger substanzlos einstufen; das entspricht 30,07 % der im Genfer Handelsregister eingetragenen Firmen.

Zum Vergleich: Im Register sind 10'143 Unternehmen mit einer c/o-Adresse bei einem Treuhandbüro oder einer Anwaltskanzlei eingetragen. Doch wie bereits erklärt, ist das nicht das einzige Indiz für das Vorhandensein einer Briefkastenfirma.

Pöstler können mit Firmengründungen nicht mithalten

Es ist ein offenes Geheimnis, dass schnelle, unbürokratische Unternehmensgründungen einer der grössten Standortvorteile des Finanzplatzes Schweiz sind. Zwar wurde im Rahmen der letzten Steuerreform auf den 1. Januar 2020 das Steuerprivileg für Sitz- oder Domizilgesellschaften abgeschafft. Doch selbst ohne Steuerprivileg zahlen Schweizer Unternehmen im internationalen Vergleich nur sehr niedrige Steuern. Die Gewinnsteuer liegt in Genf für Unternehmen ohne Berücksichtigung der von Fall zu Fall ausgehandelten Steuererleichterungen bei 13,99%. Zum Vergleich: Die Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD haben sich im Sommer 2021 auf eine globale Konzernsteuerreform geeinigt, die einen Mindestsatz von 15% auf Unternehmensgewinne vorsieht.

Die Abschaffung der Statusgesellschaften erfolgte unter dem Druck der OECD, bedeutet aber nicht, dass die substanzlosen Unternehmen verschwinden. In Genf erfolgen Firmengründungen in einem solchen Tempo, dass nicht nur die Pöstler kaum mithalten können. Auch die Justiz ist überfordert, und so schiessen fragwürdige Finanzintermediäre wie Unkraut aus dem Boden (siehe nachfolgender Kasten).

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  • Ein Feuer löschen, um ein anderes zu entzünden

    Zwar kommt es selten vor, aber manchmal werden Finanzintermediäre von der Justiz behelligt, weil sie Offshore-Unternehmen gegründet haben. So geschehen beim Vermögensverwalter Driancourt & Cie, ehemals an der Adresse Cours de Rive 3, der in einen auf das Jahr 2007 zurückgehenden Korruptionsfall verwickelt war. Dieses Genfer Unternehmen war von Dredging International Services, einer zypriotischen Niederlassung des belgischen Erdölkonzerns DEME, beauftragt worden, Schmiergelder an hochrangige Führungskräfte in Nigeria zu zahlen, um dafür Aufträge für Baggerarbeiter zu erhalten.

    Zur Verschleierung der Zahlungen hatten Driancourt & Cie sowie Geschäftsführer Alain Driancourt drei Offshore-Unternehmen gegründet, die mit Bankkonten bei der Credit Suisse und der EFG-Bank verbunden waren und den Genfer Vermittlern zusätzlich mehrere Millionen Euro an Provisionen einbrachten. Nach Meldung der Credit Suisse wurde 2011 eine Untersuchung eingeleitet. Sie führte zu einer Verurteilung durch die Finanzmarktaufsicht Finma, die im August 2015 die Auflösung des Vermögensverwalters verfügte. Keine drei Monate später gründete Alain Driancourt sein neues Unternehmen Driancourt SA, das am 13. November 2015 mit der Adresse Rue d'Italie 11 ins Handelsregister eingetragen wurde. An dieser Adresse befinden sich 42 Unternehmen, darunter mindestens drei Treuhandbüros, mit durchschnittlich 2,5 Angestellten pro Firma.

Ob es darum geht, die Steuern zu optimieren, riskante Marktoperationen zu verschleiern oder nach einem juristischen Schlag schnell wieder auf die Beine zu kommen: Die Schweizer Finanzintermediäre reagieren zügig. Da ist zum Beispiel die Genfer Niederlassung von Rosneft Trading, die am 19. Februar 2020 von den USA wegen des Verkaufs von venezolanischem Rohöl mit Sanktionen belegt wurde. Das russische Unternehmen brauchte nur einen Monat, um unter dem neuen Namen Energopole wiederaufzuerstehen. Ein Genfer Treuhandbüro kümmerte sich um die Gründung der Firma und ihre Unterbringung in den eigenen Geschäftsräumen an der Rue Mina-Audemars 3 (oder Rue de la Vallée 3, wie die Adresse vor der Feminisierung des Strassennamens im September 2020 hiess). An dieser Adresse gibt es gemäss Handelsregister 13 c/o-Adressen, davon zwölf beim Treuhandbüro.

Die Fülle von Firmennamen mit c/o-Adressen wie etwa die 136 Unternehmen an der Adresse 8 Rue du Nant in Eaux-Vives sagt noch nichts über die wirkliche Substanz der Unternehmen aus. Um über die Momentaufnahme des Genfer Handelsregisters hinauszukommen, haben wir unsere Analyse um eine weitere Variable ergänzt: die Zahl der Angestellten in Vollzeitäquivalenten (VZÄ). Die Ergebnisse sind manchmal verblüffend. Von den 20 Gebäuden mit der höchsten Unternehmensdichte (50 oder mehr) in Genf haben nur sieben im Durchschnitt mehr als fünf Angestellte. Dabei handelt es sich unter anderem um das Einkaufszentrum Carouge, das Krankenhaus La Tour in Meyrin, die Klinik Grangettes und das World Trade Center-Standorte, die wir aus unserer Liste entfernt haben, weil dort eine reale Geschäftstätigkeit stattfindet.

Der Rest sind Adressen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass dort eine Unzahl an Kanzleien und Unternehmen aus dem Finanz- und Immobilienbereich sowie aus dem Rohstoffhandel ansässig sind. Eine kürzlich in der ganzen Schweiz durchgeführte Studie des BFS bestätigt, dass von 900 Rohstoffhandelsfirmen über ein Viertel (26,4%) keine Angestellte haben. Erwähnt sei unter den Genfer «Geistergebäuden» jenes an der Adresse 15 rue du Cendrier: ein Gebäude mit durchschnittlich 2,4 Angestellten auf 91 Unternehmen.

Von diesem Gebäude aus bot ein Verkäufer von Offshore-Unternehmen zweiter Hand einem umstrittenen lokalen Anwalt eine leere Hülle namens Trekell für 5000 Franken an. Gemäss der Tribune de Genève stand Trekell später im Zentrum einer Affäre mit gefälschten Dokumenten, die auf manipulierten Videoaufnahmen beruhten, um den Cousin eines Scheichs aus Kuweit des Hochverrats zu bezichtigen. Der Prozess, der im Februar 2021 vor dem Bundesstrafgericht stattfinden hätte sollen, wurde vertagt.

Eine weitere bemerkenswerte Adresse ist 18 rue de Genève in Chene-Bourg. Nach unserer Erhebung haben dort 51 Unternehmen mit durchschnittlich 1,4 Angestellten pro Einheit ihren Sitz. Im Gebäude befindet sich auch ein alter Bekannter der Genfer Niederlassung von Mossack Fonseca, ein Treuhandbüro, das einst das Revisionsorgan der im Zentrum der Panama Papers stehenden Kanzlei war. Damals war es nach seinem Gründer benannt, dessen Name noch immer am Eingang prangt. Drei Monate nach dem Skandal, am 20. Juli 2016, änderte die Gruppe gemäss dem Eintrag im offiziellen Schweizer Handelsamtsblatt den Firmennamen ihrer luxemburgischen Muttergesellschaft und der Genfer Niederlassung.

Ein gefährliches Spiel

Substanzlose Unternehmen widmen sich nicht zwangsläufig zweifelhaften Geschäften. Wir wollen also nicht behaupten, dass all diese Unternehmen oder die Personen, die von ihrer Gründung profitieren, in ihren Ländern Steuern hinterziehen oder Finanzdelikte begehen. Doch ist es diese Art von Konstrukten, die meist verwendet wird, wenn es in der Schweiz darum geht, die wirtschaftlich Berechtigten, also diejenigen, die in letzter Instanz die tatsächliche Kontrolle über die Unternehmen und die Rechtskonstrukte ausüben, zu verschleiern.

Urteilen Sie selbst: Rund die Hälfte (44,36 %) der Mitteilungen, die bei der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) des Bundes eingehen, betrifft Domizilgesellschaften. Worum geht es bei diesen Verdachtsfällen? Oft um Korruption, behaupten die Schweizer Behörden in einem Bericht aus dem Jahr 2019. Bei rund 12% der Meldungen sind die juristischen Personen in der Schweiz registriert.

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  • Die Steinmetz-Galaxie wurde von Genf aus gesteuert

    Ein Genfer «Kontrollturm», so beschreibt die Präsidentin des Genfer Strafgerichts die treue Direktorin der Geschäfte des franko-israelischen Milliardärs Beny Steinmetz. Sie wurde gemeinsam mit dem franko-israelischen Bergbaumagnaten am 22. Januar 2021 wegen der «Umsetzung eines Korruptionspaktes» verurteilt, in dem es darum ging, Erkundungs- und Schürfrechte für die riesigen Eisenerzvorkommen in Simandou in Conakry/Guinea zu erhalten.

    Im ersten grossen Prozess über internationale Korruption in der Schweiz ging es auch um Genfer Briefkastenfirmen. Um die korrupten Machenschaften zu verschleiern, bediente sich die Beny Steinmetz Group Resources (BSGR) der Beraterfirma Onyx Financial Advisors und ihrer ehemaligen Geschäftsführerin, die schliesslich von der BSGR angestellt wurde, um ihr komplexes Firmenkonstrukt zu verwalten, mit dem die wirtschaftlich Berechtigten der Gruppe verschleiert und die Justiz umgangen werden sollte. «Alles wurde von ihrem Genfer Büro aus organisiert», betonte die Richterin bei der Urteilsbegründung. Sie war zuständig für die «administrativen und unternehmerischen Aspekte der korrupten Operation und die Schritte zu deren Verschleierung durch Scheinfirmen» und komplexe Manipulationen in der Buchführung.

    Die ehemalige Direktorin erhielt zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung wegen «Bestechung fremder Amtsträger» und «Urkundenfälschung». Beny Steinmetz, der früher in Genf seinen Steuersitz hatte, wurde zu fünf Jahren Gefängnis und 50 Millionen Franken Ersatzforderung verurteilt, weil er einen «Korruptionspakt» mit der Gattin des ehemaligen Präsidenten Guineas, Lansana Conté, geschlossen hatte.

    Bevor es zu diesem historischen Urteil kam, musste die Genfer Justiz erst die Nebelschwaden des Firmenkonstrukts der BGSR durchdringen, darunter mehrere Genfer Scheinfirmen – Frequence Holding SA, Terrane Holdings, Terrane Global Investments SA und BSG Real Estate (Switzerland) Sàrl – sowie andere Offshore-Firmen in Guernsey, Luxemburg und den britischen Jungferninseln.

    All dies geschah unter dem Dach der liechtensteinischen Balda-Stiftung, deren alleinige Begünstigte Beny Steinmetz und seine Familie waren, während sein Anwalt Marc Bonnant einer von drei Verwaltungsräten war. Derselbe Anwalt Bonnant verteidigte den Geschäftsmann auch vor Gericht – eine Rollenkumulation, die den mit grossen Korruptionsfällen bestens Vertrauten nicht sonderlich zu schrecken scheint. Sie widerspricht auch nicht den Schweizer Rechtsnormen. Beny Steinmetz und seine ehemalige Direktorin haben Berufung gegen ihre Verurteilung eingelegt.

Nach dem Bankgeheimnis das Anwaltsgeheimnis

Warum diese Rolle der Schweiz und ihrer Vermittler*innen? Der Grund liegt im Grad an Undurchsichtigkeit, der den Finanzplatz noch immer kennzeichnet. Trotz Inkrafttreten des automatischen Informationsaustauschs im Januar 2017 setzt die von Public Eye mitbegründete NGO Tax Justice Network die Schweiz auf Platz drei des Financial Secrecy Index 2020, einer weltweiten Rangliste von Rechtsprechungen, die am meisten Instrumente zur Verschleierung von Vermögen bieten. Die Switzerland Global Enterprise (S-GE), die offizielle Organisation zur Exportförderung, wirbt sogar mit den Dienstleistungen von Anwält*innen, Treuhänder*innen und Notar*innen vor Ort, die Aktiengesellschaften «relativ einfach in ihren Verwaltungsrat berufen können».

Die Statistiken  der MROS, der zentralen Meldestelle für Geldwäscherei, die Hinweise auf den Verdacht von Geldwäscherei zentralisiert und filtert, lässt erahnen, dass sich Anwält*innen oft hinter ihrer Verschwiegenheitspflicht verstecken. In 90% der Fälle sind es Banken, die Verdachtsfälle melden, dies oft nach Veröffentlichung von Presseartikeln. 2019 haben das auch fünf Anwält*innen oder Notar*innen getan, was 0,1% der an die MROS übermittelten Meldungen dieses Jahres entspricht.

Zu erwähnen ist, dass Anwält*innen nur dem Geldwäschereigesetz (GwG) unterstehen, wenn sie Vermögen für ihre Kund*innen verwalten, nicht aber für ihre Mandate als Berater*innen. In den Beratungen zur Revision des GwG im März 2021 in Bern setzte sich die Anwaltslobby erfolgreich durch. Sie werden auch in Zukunft ihre Steuertricks ohne Sorgfaltspflicht anbieten können. Die Anwält*innen sind also weiterhin nicht verpflichtet, den Behörden einen möglichen Verdacht auf Geldwäscherei zu melden.

Der Berufsstand wird sich nicht von alleine ändern. Das ist die Überzeugung von Andres Knobel, Experte in Steuerfragen im Tax Justice Network, der folgendes Bild geprägt hat: «Es ist wie der Fuchs, der vor dem Hühnerstall herumstreicht und gleichzeitig für die Freiheit der Hühner kämpft.» Ohne Regulierungswillen vonseiten des Gesetzgebers wird die Schweiz ein Paradies für Füchse bleiben und Genf der Alptraum für Pöstler.

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  • Ein lückenhaftes System, das aber reformiert wird

    Die meisten Anwält*innen, die wir kontaktiert haben, enthielten sich unter dem Vorwand, diese Frage betreffe nicht ihren Tätigkeitsbereich oder sei ihrer Ansicht nach nicht mehr aktuell, jeden Kommentars. «Mit dem automatischen Informationsaustausch werden die Offshore-Statusgesellschaften von den Steuerbehörden nicht mehr anerkannt, die immer die Identität der die Unternehmen kontrollierenden Person(en) wissen wollen», meint ein Steueranwalt. Der seit Januar 2017 geltende automatische Informationsaustausch mit einigen OECD-Ländern schwächt tatsächlich die Undurchsichtigkeit gewisser solcher Konstrukte.

    Mit dem Wegfall der Sonderregelungen für Statusgesellschaften und Holdings im Zusammenhang mit der letzten Steuerreform sind manche dieser Vehikel zumindest aus steuerlicher Sicht überflüssig geworden. Die Botschaft des Steuerexperten Philippe Kenel: «Die Schweiz ist nicht mehr wie einst der Hort der Vertraulichkeit. Sie verwenden alte Begriffe für Dinge, die es nicht mehr gibt.» Als Beleg dafür verweist der Partner der Genfer Kanzlei Python auf die neuen Steuersätze für Unternehmensgewinne.

    Was den Kampf gegen die Geldwäscherei betrifft, überlässt das Schweizer Finanzaufsichtsorgan Finma die Kontrolle der Finanzvermittler den Selbstregulierungsorganisationen (SRO), während sie die Grossbanken direkt selbst beaufsichtigt. In der Schweiz gibt es rund ein Dutzend solcher SRO, und es ist Sache der Treuhänder*innen, Vermögensverwalter*innen und sonstigen Anwält*innen, die in der Finanzberatung tätig sind, sich dort einzutragen. Die SRO-Mitglieder werden danach durch von den SRO zugelassenen Revisionsstellen kontrolliert, die die von ihren Kund*innen gelieferten Unterlagen analysieren.

    Obwohl es Fälle von Finanzintermediär*innen gibt, die «ohne Bewilligung agieren», funktioniere das System nach Ansicht von Norberto Birchler, dem ehemaligen Direktor der Association Romande des Intermédiaires Financiers (ARIF), gut. «Es stimmt zwar, dass es in der Schweiz viele Domizilgesellschaften gibt. Im Sinn des GwG haben sie aber keine Rechtspersönlichkeit und können daher nicht ihre eigenen wirtschaftlich Berechtigten sein. Wir ermitteln immer den tatsächlichen Eigentümer eines Unternehmens», betont er. Persönlich ist er trotzdem der Meinung, dass Anwält*innen dem GwG unterstellt werden sollten, wenn sie Unternehmen gründen. «Das konnte im März in der Gesetzesreform nicht durchgebracht werden, könnte aber bei der nächsten Revision aufgrund des internationalen Drucks kommen.»

  • Methodik: Mehrstufige Analyse

    Gleich vorweg: Unsere Daten bleiben eine Momentaufnahme der aktuellen Unternehmensstruktur. Sie belegen die wirtschaftliche Struktur eines gegebenen Kantons zum Zeitpunkt unserer Datenextraktion von der Website Zefix.ch. Dieses Eintauchen in den Zentralen Firmenindex der Schweiz erlaubte uns eine erste Zuordnung von Adressen mit den meisten Firmensitzen und jenen mit den meisten c/o-Firmennamen.

    Damit konnten wir Zehntausende Unternehmen erfassen, von denen jene in Liquidation abzuziehen sind. In grossen Einkaufszentren gibt es logischerweise über hundert Unternehmen. Ebenso in Spitälern und Kliniken, wo Ärzte ihre Praxen registrieren. Auch die Entwicklung von Coworking Spaces führt zur Konzentration gewisser Firmen an ein und derselben Adresse. Wir haben sie aus unserer Analyse folglich herausgenommen.

    Die verschiedenen Handelsregister haben uns ebenfalls erlaubt, über die Technik des Extrahierens von elektronischen Daten (scraping) eine Auflistung von Personen und Kanzleien vorzunehmen, die am meisten Unternehmen pro Kanton verwalten.

    Danach mussten wir uns mit der Substanz dieser Unternehmen, der Anzahl ihrer Angestellten in Vollzeitäquivalenten (VZÄ), befassen. Anonymisierte Daten (ohne Firmennamen) sind auf der Website des Bundesamts für Statistik (BFS) öffentlich einsehbar. Sie beziehen sich unter Angabe der geografischen Koordinaten auf die Unternehmen und die Anzahl Angestellte. Doch Ergebnisse für Firmen mit weniger als vier Angestellten werden nicht detailliert aufgeführt und die Behörde hat zudem darauf geachtet, die beiden letzten Ziffern der Geolokalisierungsdaten systematisch zu ersetzen, um die Identifizierung der Unternehmen zu erschweren. Die Schweiz scheint die Anzahl der Angestellten als hochsensible Daten zu erachten.

    Um die nicht veröffentlichten Daten des Jahres 2018 (der letzten zum Zeitpunkt der Erhebung zugänglichen Statistik) zu erhalten, mussten wir eine Datenschutzvereinbarung unterzeichnen, die unser Recht auf Verbreitung allzu genauer Ergebnisse auf Unternehmensebene oder die Nennung von Unternehmen mit weniger als fünf Angestellten einschränkt. Auf der Grundlage dieser dritten Datenbank konnten wir also einen Durchschnittswert von Vollzeitäquivalenten pro Adresse errechnen. Diese haben wir verwendet, um über die Geolokalisierungs-API von Google Geocoding die Adressen zu lokalisieren. Das Adressverzeichnis wurde durch Recherchen auf Google Maps und Besuche der verschiedenen Eingangsbereiche und Stockwerke von Gebäuden sowie dem Telefonverzeichnis Search.ch ergänzt. Fehlende Telefonnummern können ein Hinweis auf die fehlende Substanz von Unternehmen sein.

    Auf die Frage nach den Gründen für die Vertraulichkeit ihrer Statistiken begnügte sich das BFS mit dem Hinweis, es wende die «geltende Gesetzgebung zum Datenschutz» an, und verwies auf eine Website.