Bewusstes und kritisches Konsumverhalten

© Martin Bichsel
Viele mit Konsum zusammenhängende Probleme sind strukturell und verlangen nach systemischen Lösungen. Es braucht bessere Gesetze und Regulierung; die Verantwortung kann nicht allein bei den Konsumierenden liegen. Dennoch hat individuelles Konsumverhalten einen Einfluss und Sie können mit bewusstem Konsum einen Unterschied machen.

Public Eye wird immer wieder um Konsumtipps und Einschätzungen zu einzelnen Produkten, Firmen und Labels gebeten. Abgesehen von unserer tendenziell konsumkritischen Haltung können wir diese Erwartung aus folgenden Gründen nicht erfüllen:

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  • Verantwortungsvoller Konsum reicht nicht – es braucht systemische Ansätze

    Individuelle Konsumentscheide sind, wenn man sich ernsthaft damit auseinandersetzt, alles andere als einfach und meist ist keine Lösung vollkommen zufriedenstellend. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass sehr viele verschiedene Faktoren (Ökobilanz, Produktionsbedingungen, etc.) in die Entscheidung miteinbezogen und gegeneinander abgewogen werden müssen. Ob Sie beispielsweise ein Bio-Produkt aus Übersee oder ein konventionelles Produkt aus der Schweiz als besser einstufen, hängt auch damit zusammen, ob Ihnen die Ökobilanz des Produktes, die lokalen Produktionsbedingungen oder andere Faktoren wichtiger sind.

    Das individuelle Konsumverhalten ist wichtig, und es hat eine Wirkung, wenn Sie sich dazu Gedanken machen und möglichst fair und nachhaltig einkaufen. Nebst dem individuellen Einkaufsverhalten spielt aber auch eine entscheidende Rolle, dass wir uns als Gesellschaft und als Bürgerinnen und Bürger engagieren, denn oft ist nicht das einzelne Produkt (der Kakao, die Banane, das Kleidungsstück, etc.) problematisch, sondern das System dahinter, beispielsweise die globale Nahrungsmittel- oder Textilindustrie. Wenige Konzerne dominieren diese globalen Wertschöpfungsketten und verfügen über ungleich mehr Macht als lokale Produzierende oder LohnarbeiterInnen.

    Um die strukturellen Probleme entlang der Wertschöpfungsketten anzugehen, braucht es systemische Ansätze.

    Wir setzen uns deshalb ein für politische Lösungen wie z.B. die Konzernverantwortungsinitiative oder das Gesetz über die öffentliche Beschaffung, das neu stärkere soziale und ökologische Kriterien beinhaltet. Auch Sie können etwas tun: z.B: Menschen in Ihrem Umfeld ansprechen, mit ihnen diskutieren und sie für Fragen rund um nachhaltigen Konsum sensibilisieren. Engagieren Sie sich für nachhaltige Lokalprojekte in ihrem Quartier, ihrer Stadt, und bei Abstimmungen an der Urne.

  • Produkte und Unternehmen zu empfehlen ist schwierig

    Wir verstehen das Bedürfnis nach Konsumtipps sehr gut. Allerdings gibt es oft keine einfachen Tipps und angebliche Alternativ-Produkte sind vielfach umstritten. Die grossen Probleme der globalen Nahrungsmittel- oder Textilindustrie sind struktureller Natur, das heisst sie sind eng verbunden mit der Art und Weise, wie die Industrie funktioniert und wie beispielsweise der Handel mit Agrarrohstoffen oder die Produktion von Kleidern organisiert werden. Wir engagieren uns deshalb für politische Lösungen, die die Behebung von Missständen strukturell angehen.

    Darüber hinaus können wir keine detaillierten Bewertungen aller Firmen leisten, denn ein seriöses Monitoring ist sehr zeitaufwändig. Würden wir zudem einzelne Firmen oder Projekte empfehlen, müssten wir unsere Hand dafür ins Feuer legen können, dass diese verantwortungsvoll handeln, das heisst Menschenrechte und Umwelt weltweit respektieren. Diese Informationen zu beschaffen und laufend aktuell zu halten würde einen enormen Aufwand bedeuten, den Public Eye nicht leisten kann. Wir geben darum auch keine Einkaufs-Tipps zu einzelnen Firmen ab.

  • Labels bieten eine Orientierungshilfe – aber nicht mehr

    Ein Label, das eine umfassend sozial- und umweltverträgliche Herstellung garantiert, gibt es bisher nicht – weder für Landwirtschaftsprodukte wie Kakao noch für andere Produkte wie Kleider. Im Sozialbereich mit Garantien zu arbeiten ist anspruchsvoll, denn durch kurze, punktuelle Kontrollen (sogenannte Audits) lässt sich die Arbeitsrealität der Produzierenden kaum korrekt abbilden. Viel wichtiger ist es, dass die Unternehmen langfristig ihre Geschäftspolitik anpassen und eng mit lokalen Gewerkschaften und NGOs auf mehr Nachhaltigkeit hinarbeiten.

    Zudem decken Labels meist nur einen kleinen Teil der gesamten Produktion einer Firma ab. Wenn ein Unternehmen kleine Teilsortimente mit höheren Sozial- und Umweltstandards anbietet, den Hauptteil der verkauften Waren aber konventionell laufen lässt, nützt dies wenig. Echte Nachhaltigkeit kann es nur geben, wenn Unternehmen sich bezogen auf ihre gesamte Produktepalette engagieren und existenzsichernde Löhne und Einkommen sowie andere Faktoren sozialer Nachhaltigkeit zu integralen Bestandteilen des Geschäftsmodells werden.

    Labels können für Konsumierende dennoch eine Orientierungshilfe sein, sofern man sich ihrer Grenzen bewusst ist. Jedes Label deckt nur einzelne Produktionsaspekte ab, es gibt grosse Unterschiede in der Ausgestaltung und Glaubwürdigkeit und der effektive Mehrwert ist teils sehr umstritten. Immer wieder werden Studien veröffentlicht, die aufzeigen, dass auch zertifizierte Bäuerinnen und Bauern keine existenzsichernden Preise für ihre Produkte erhalten und sich kaum aus der Armut befreien können.

    Wichtig bei der Orientierung mit Hilfe von Labels ist also, sich zu informieren, welche Aspekte ein Label abdeckt (und welche nicht) und seine Prüfmechanismen kritisch zu hinterfragen. Unabhängig überprüfte Produkte-Labels sind glaubwürdiger als firmeneigene Labels. Solche firmeneigenen Labels oder Branchenstandards zeichnen sich oft durch wenig ambitionierte Zielsetzungen, unwirksame Kontrollen und fehlende Sanktionsmechanismen aus.

    Das VOICE-Netzwerk, welches sich für bessere Arbeitsbedingungen im Kakaoanbau stark macht, anerkennt gewisse Verbesserungen durch Zertifizierungen. Allerdings reichen diese bei weitem nicht aus, um den Kakaoanbau sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten und beispielsweise Kinderarbeit zu verhindern und existenzsichernde Einkommen zu garantieren (VOICE-Positionspapier zu Zertifizierungen). 

    Lesen Sie auch unseren Labelguide zu Textilien.

Stellen Sie beim Einkauf kritische Fragen, und setzen Sie sich kritisch mit dem eigenen Einkaufsverhalten auseinander (z.B. Konsumreduktion von umstrittenen Produkten oder gar Verzicht). Es ist aber heute fast unmöglich, in jeder Hinsicht konsequent ökologisch und sozial nachhaltig zu konsumieren. Und so sehr wir uns bemühen: Bewusster Konsum allein wird die strukturellen Probleme nicht lösen – weshalb politisches Engagement wichtig ist.

© Martin Bichsel

Dennoch gibt es einige allgemeine Richtlinien, die Sie bei Ihren individuellen Konsumentscheiden berücksichtigen können.

Lebensmittel - kritischer Konsum

Zu 100% nachhaltig zu konsumieren ist in unserem globalen und industrialisierten Ernährungssystem kaum möglich; aber es gibt wichtige Stellschrauben für Ihren täglichen Einkauf: Setzen Sie sich mit dem eigenen Einkaufsverhalten auseinander und klären Sie für sich, welche Aspekte (z.B. Saisonalität und Regionalität, soziale Herstellungsbedingungen, CO2-Bilanz, etc.) Ihnen wichtig sind und wo Sie die Akzente setzen wollen. Ziehen Sie auch eine Konsumreduktion oder einen Verzicht gewisser Genussmittel in Betracht. Stellen Sie beim Einkauf gegenüber den Anbietern kritische Fragen. Konkrete Anregungen zum Lebensmittelkonsum finden Sie zudem hier.

Mode – kritischer Konsum

Der Markt der „fairen Mode“ wächst und es gibt viele Unternehmen, die auf einem guten Weg hin zu einer fairen Produktion sind. Trotzdem gibt es schlichtweg noch keine Kleidung, die entlang der gesamten Lieferkette zu 100% sozial und ökologisch nachhaltig produziert wurde. Deshalb empfehlen wir Ihnen generell, Kleider von guter Qualität zu kaufen, sie lange zu tragen und zu reparieren. Auch Secondhand-Läden und Kleidertauschbörsen sind gute Alternativen zu Fast Fashion. Weitere Anregungen zum kritischen Mode-Konsum und Informationsquellen zu fairer Mode finden Sie in unserem Mode-Dossier.

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Zu guter Letzt: Nehmen Sie sich nicht zu viel auf einmal vor und verzweifeln Sie nicht daran, dass Sie in aller Regel nicht 100% konsequent sein können und Kompromisse eingehen müssen. Wichtiger als vollumfänglich «korrekt» einzukaufen ist es, dass Sie langfristig und konsequent kleine Schritte tun und sich dahingehend auch auf der politischen Ebene engagieren.