Dimensionen verantwor­tungsvollen Konsums: die Position von Public Eye

Durch Konsum die Welt retten, also einfach die «richtigen» Produkte kaufen und damit Gutes tun? Das tönt nicht nur zu schön, um wahr zu sein; es ist es auch. Denn die Logik des Kaufens, die auf einem vermeintlichen individuellen und gesellschaftlichen Fortschritt durch ständig wachsenden Konsum aufbaut, vergrössert Ungleichheiten und zerstört unseren Planeten.

Es ist unbestritten, dass der heutige, zu hohe Gesamtkonsum der Menschheit jenseits der Nachhaltigkeitsgrenzen liegt und folglich unwiederbringliche Umweltveränderung und -zerstörungen verursacht. Aber die Konsumchancen sind sehr ungleich verteilt: Manche konsumieren zu viel, anderen wird der Zugang zu Konsumgütern verwehrt. Die unterschiedlichen Möglichkeiten zu konsumieren, bringen grundlegende Gerechtigkeitsfragen mit sich. Es liegt auf der Hand: Ein Mindestmass an Konsum ist Voraussetzung für ein würdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe. So ist auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 25 festgehalten, dass jedem Menschen das Recht zusteht «auf eine Lebenshaltung, die Gesundheit und Wohlbefinden einschliesslich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet».  

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  • Ungleiche Verteilung des Konsums

    Es ist ein Ausdruck der globalen Ungerechtigkeit, dass vielen Menschen selbst dieses Mindestmass an Konsum vorenthalten wird, während andere in einem Ausmass konsumieren, das weit jenseits der Biokapazität der Erde liegt. Aus einer Gerechtigkeitsperspektive ist klar: Industrienationen wie die Schweiz, die insgesamt ein viel zu hohes Konsumniveau leben, stehen in besonderer Verantwortung, den Konsum zu reduzieren. Gemäss Bundesamt für Umwelt (BAFU) müsste der hiesige Gesamtkonsum um mindestens 50 Prozent sinken, um die Umweltbelastung verträglich zu gestalten. Doch es greift zu kurz, lediglich auf unterschiedliche durchschnittliche Konsumniveaus zwischen Staaten zu schauen. Die konsumstarke globale Mittel- und Oberschicht lebt heute unabhängig von nationalen Grenzen ökologisch unverträgliche Lebensstile.

  • Die Folgen des billigen Massenkonsums

    Das kapitalistische Wohlstandsversprechen «Mehr Konsum für alle» hat lange Zeit zu einem hohen Mass an Akzeptanz des auf Massenproduktion und -konsum ausgerichteten Wirtschaftssystems geführt. Globale Gültigkeit hatte das Versprechen indes nie. Die Kehrseite von billigem Massenkonsum gab es seit jeher, und es waren und sind vor allem die Menschen in Tieflohnländern und Tieflohnbranchen, die diese Last tragen: Entlang der global ausgerichteten Produktionsprozesse in der Konsumgüter-Industrie kommt es zu einer Vielzahl an Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen, sei es bei der Rohstoffförderung oder beim Anbau landwirtschaftlicher Produkte, in Fabriken, in der Transportindustrie, im Handel oder bei der Entsorgung von Konsumgütern.

    Nicht von ungefähr werden die Arbeitsverhältnisse in diesen Bereichen oft als «moderne Sklaverei» bezeichnet: Die Millionen von Lohnabhängigen und und kleinen Landwirt*innen, die für den Weltmarkt produzieren, erleben tagtäglich den Preisdruck auf ihre Löhne und ihr Einkommen. Sie stehen einer schlagkräftigen und hochmobilen Gruppe globaler Konzerne gegenüber und verfügen nur in den seltensten Fällen über ausreichend Verhandlungsmacht, um ihre Rechte durchzusetzen.

    Die globale Konsumgüterindustrie, wie wir sie heute kennen, baut auf Machtungleichgewicht, Informations-Asymmetrie und Regulierungsdefiziten innerhalb internationaler Wertschöpfungsketten auf. Sie optimiert und maximiert Profite für wenige, umgeht systematisch Steuerzahlungen und profitiert von der Abwesenheit von Transparenzpflichten sowie dem harten Standortwettbewerb zwischen den Ländern. Die Geschäftsmodelle der Konsumgüterindustrie setzen im Kern auf Profitmaximierung durch Wachstum, Überkonsum und Verschwendung, etwa bei Kleidern oder Nahrungsmitteln. Und sie verschleiern durch tiefe Preise, was wirklich an Ressourcen und Arbeit in den Produkten steckt. Das omnipräsente und eventmässig inszenierte Einkaufserlebnis lenkt davon ab, dass Sozial- und Umweltkosten externalisiert und extrem ungleich verteilt werden – und wer tatsächlich für die tiefen Preise bezahlt.

  • Konsum als trügerisches Glücksversprechen

    Der individuelle Konsum nimmt quer über den Globus einen sehr hohen Stellenwert ein. Die Dominanz der individualistischen gegenüber einer kollektiven Perspektive verführt viele dazu, sich durch Konsum «Lebensqualität» kaufen zu wollen und Shoppen als beliebte und zeitintensive Freizeitbeschäftigung im Alltag einzubauen. Der Status innerhalb der Gesellschaft oder einer Peergroup ist nicht nur bei Jugendlichen oft stark abhängig von einem bestimmten Konsumverhalten beziehungsweise der Konsumfähigkeit. Der Mythos «Konsum macht glücklich» wird zusätzlich auf vielen Ebenen angeheizt: Wohlstand wird (auch statistisch) über Konsum und Konsumfähigkeit definiert, Wirtschaftswachstum baut primär auf Konsumwachstum auf und viele Medien, Kultureinrichtungen und Sportanlässe lassen sich von Konzernen und deren Werbeanzeigen finanzieren, was die Grenzen zwischen «realer» Welt und konstruierter Konsumwelt aufweicht. In unserer Gesellschaft, in der Wirtschaftswachstum zum massgeblichen Indikator für Fortschritt erklärt wird, ist hoher Konsum gesellschaftlich erwünscht: Wer konsumiert, verhält sich konform.

    Die hohe gesellschaftliche Bedeutung von Konsum bei gleichzeitig extrem ungleichen Möglichkeiten, zu konsumieren, ist sozialer Sprengstoff. Die Übernutzung natürlicher Ressourcen und die Aufheizung des Weltklimas sind zwei der ökologischen Komponenten, die diese Verteilungskämpfe bei weiterhin stetig wachsendem Gesamtkonsum zusätzlich verschärfen.

© Rowan Thornhill

Wo wollen wir hin?

Sozial- und umweltverträglicher Konsum sieht für Public Eye so aus:

  • Der Gesamtkonsum der Menschheit bewegt sich insgesamt innerhalb der planetarischen Grenzen; die Übernutzung und Zerstörung natürlicher Ressourcen, das Aufheizen des Weltklimas, die Vernichtung von Artenvielfalt und sonstige unumkehrbare Formen der Umweltzerstörung auf Kosten kommender Generationen werden gestoppt.
  • Die extreme Ungleichheit beim individuellen Konsum wird reduziert, sowohl zwischen den Ländern wie auch weltweit zwischen der konsumstarken Mittel- und Oberschicht und den einkommensschwächeren Schichten.
  • Alle Menschen können mindestens in einem Umfang konsumieren, der ihnen die Wahrnehmung ihrer Menschenrechte ermöglicht (insbesondere bezüglich Gesundheit, Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung und notwendiger Sozialleistungen).
  • Menschen- und Arbeitsrechte aller direkt und indirekt in die Produktion von, den Handel mit und die Nachnutzung (z.B. Recycling, Entsorgung) von Konsumgütern Involvierten oder davon Betroffenen werden geachtet.
  • Die Profite in den globalen Wertschöpfungsketten der Konsumgüterindustrie werden gesellschaftlich gerechter geteilt.
  • Sozial- und Umweltkosten von Konsum werden transparent aufgezeigt; es gibt etablierte Produktions- und Konsumweisen, die diese Kosten entlang der gesamten Lebensdauer (Produktion, Transport, Nutzung, Recycling und Entsorgung) minimieren, die verbleibenden Risiken und Kosten gerecht verteilen und nicht länger auf Schwächere abwälzen.
  • Die Fixierung auf Wachstum und Profitmaximierung weicht zunehmend einer stärker am Allgemeinwohl ausgerichteten Wirtschaftsweise und einem umfassenderen Wohlstandsbegriff. Der gesellschaftliche Stellenwert von individuellem Konsum wird reduziert, Wohlstand und Wohlbefinden orientieren sich nicht mehr primär am materiellen Besitz.
© Public Eye

Was ist unser Ansatz?

Was tun gegen den Konsuminfarkt? Die Änderung individuellen Konsumverhaltens spielt eine Rolle, doch angesichts der Grösse und Vielschichtigkeit der Probleme und des notwendigen Tempos für Massnahmen sind auch ein wirksames Eingreifen der Politik und eine Neuausrichtung der Wirtschaft unumgänglich.

Systemische Probleme verlangen nach systemischen Lösungen, und dazu braucht es entschiedene politische Lenkungsmassnahmen.

Public Eye betrachtet daher das Thema «Konsum» auch nicht als isolierte Fragestellung, sondern als Teil unserer Arbeit an einer für Mensch und Umwelt nachhaltigeren und gerechteren Wirtschaftsweise. Im Zentrum unserer Herangehensweise stehen die Respektierung der Menschenrechte und die Verwirklichung globaler Gerechtigkeit.

Konsum ohne Menschenrechtsverletzungen

Konsumbedürfnisse und -wünsche rechtfertigen keine Missachtung von Menschenrechten in der Produktions-, Handels- oder Entsorgungskette. Wir erwarten von Unternehmen die weltweite und uneingeschränkte Respektierung der Menschenrechte. Das bedeutet auch, dass die Interessen von Aktionärinnen und Aktionären nie über der Einhaltung der Menschenrechte stehen dürfen.

Ein paar Beispiele aus unserer Arbeit:

  • Wir recherchieren, zeigen konkrete Missstände auf und wie Schweizer Konzerne in Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind und bringen diese Themen an die breite Öffentlichkeit, beispielsweise bezüglich Arbeitsbedingungen in Kleiderfabriken oder im Anbau von Landwirtschaftsprodukten
  • Wir decken auf, wie Konzerne mit Sitz in der Schweiz lasche Umweltgesetze und internationale Regulierungslücken ausnutzen und welche Auswirkungen dies auf Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländer hat - beispielsweise in Bezug auf den Verkauf hochgefährlicher Pestizide oder sehr schwefelhaltigem Diesel.
  • Wir führen Kampagnen durch, um fordern damit von den Unternehmen mehr Verantwortung ein.
  • Auch nach unserem Einsatz für die Konzernverantwortungsinitiative bleiben wir dran: in nationalen und internationalen Netzwerken setzen wir uns für griffige Konzernregulierung ein.
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  • © GMB, Akash / Panos
  • © Benjamin von Däniken

Konsum als Gerechtigkeitsfrage

Wir blicken mit einer «Gerechtigkeitsbrille» aus zwei Richtungen auf das Thema Konsum: Zum einen treten wir für das Recht aller Menschen ein, mindestens in dem Umfang konsumieren zu können, der ihnen die Wahrnehmung ihrer Menschenrechte ermöglicht. Zum andern ist es dringend notwendig, den globalen Überkonsum einzudämmen. Die damit einhergehende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen trifft nicht nur kommende Generationen: Bereits heute leiden Millionen von Menschen in fragilen Kontexten oder einkommensschwachen Regionen überproportional an den Auswirkungen der exzessiven globalen Konsumgesellschaft. Konsumgerechtigkeit bedeutet auch die Umverteilung von Macht über die Nutzung von Ressourcen entlang der Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungskette.

Ein paar Beispiele aus unserer Arbeit:

  • Wir machen die unfaire Steuerpraxis und Fälle von Korruption publik, zum Beispiel in der Rohstoffbranche, zeigen, welche Summen dem Staatshaushalt rohstoffreicher Länder entgehen und was die Schweiz tun müsste, um dem entgegenzuwirken.
  • Wir beleuchten die Machtverhältnisse und die Ungleichheit in Produktionsketten, zum Beispiel beim Handel mit Agrarrohstoffen, zeigen, welche Auswirkungen diese auf Landwirt*innen haben und welche Massnahmen die Schweiz ergreifen sollte.
  • Wir arbeiten in internationalen Netzwerken mit, zum Beispiel in der Clean Clothes Campaign, und setzen uns zusammen mit Gewerkschaften und NGOs für existenzsichernde Löhne und die Umverteilung von Macht und Gewinnen in den globalen Lieferketten ein.
© Martin Bichsel

Konsum als Politikfeld

Überkonsum und ungerechter Konsum sind nicht in erster Linie individuelle, sondern gesellschaftliche Probleme. Durch die neoliberale Wirtschaftsagenda wurden jahrzehntelang Fehlanreize gesetzt. Grundsätzlich ist es eine staatliche Aufgabe, Konsumfähigkeit zu ermöglichen, aber gleichzeitig dem Überkonsum entgegenzuwirken. Konsum und Produktion sind daher politische Handlungsfelder, in denen wir mit demokratischen Instrumenten (Abstimmungen, Wahlen, Initiativen auf nationaler, kantonaler oder kommunaler Ebene) die Spielregeln für die Wirtschaft verändern und als Gesellschaft neue Akzente und wo nötig auch neue Ziele setzen können.

Ein paar Beispiele aus unserer Arbeit:

  • Wir fordern politische Regulierungen, um unsere Wirtschaftsweise sozial- und umweltverträglicher zu gestalten und die Einhaltung von Menschenrechten sicherzustellen. Wir machen dazu alleine oder im Verbund konkrete Lösungsvorschläge, z.B. für Sorgfalts-, Transparenz- und Reportingpflichten für Konzerne, handelspolitische Massnahmen, nachhaltige öffentliche Beschaffung, etc.
  • Wir machen Advocacy-Arbeit für und mit Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen, agieren als ihr Sprachrohr und nehmen hiesige Firmen und die Schweizer Politik für Missstände in die Verantwortung.
  • Wir sensibilisieren in der breiten Öffentlichkeit, mobilisieren für Veränderung und initiieren kollektives Handeln.
© Rowan Thornhill

Vom individuellen Konsumverhalten zur gesellschaftlichen Transformation

Konsum und Produktion sind zwei Seiten einer Medaille, und um den Konsum gerechter und nachhaltiger zu gestalten, braucht es einen grundlegenden Wandel der Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensweise. Das gelingt nicht einfach und sofort, aber es gibt viele verschiedene Hebel, die von der Schweiz aus genutzt werden können. Die unterschiedlichen Stellschrauben von individuellem Konsumverhalten über Regulierung bis hin zu systemischen Grundsatzfragen sind wichtig und ergänzen sich.

Ein paar Anregungen dazu:

  • Individuelle Ansätze für kritisches Konsumverhalten in den Alltag integrieren: Wir können Konsum für uns selbst und im Gespräch mit unserem Umfeld neu definieren und von der Wachstumsideologie lösen, uns stetig informieren und das gelernte in unserem Umfeld weitergeben.
  • Transformation gestalten, etwa durch die Unterstützung kollektiver Ansätze und solidarwirtschaftlicher Modelle, durch Beteiligung an Tauschbörsen und Saatgutmärkten oder durch den Einsatz für politisch Servicedienstleistungen wie Bibliotheken und Ludotheken oder die Förderung von Solargemeinschaften.
  • Sich mit Gleichgesinnten engagieren, z.B. durch eine Mitarbeit im Schulbesuchsteam oder in Regionalgruppen von Public Eye, um in Schulen und an öffentlichen Anlässen zu den Menschen und Geschichten hinter den Konsumprodukten zu informieren, Anregungen für ein kritisches Konsumverhalten zu geben und zu motivieren, selbst politisch aktiv zu werden.

Es gibt nicht den einen richtigen Weg zu nachhaltigerem Konsum, sondern viele zielführende Strategien in unterschiedlichen, individuellen, kollektiven und politischen Handlungsfeldern. Wir begreifen diese Vielfalt der Handlungsansätze und Handlungsebenen als Chance. Ob als Einzelpersonen oder als Organisation wie Public Eye: Wir können viele, wenn auch sicherlich nicht alle Hebel gleichzeitig in Bewegung setzen. Wir müssen Prioritäten setzen, idealerweise dort, wo wir unsere Stärke sehen und wo unsere Interessen liegen. Wir sind überzeugt: Es sind die Vielfalt der Ansätze und die vielen Beiträge von engagierten Personen und Organisationen, die letztlich eine gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Transformation ermöglichen.

Denn globale Gerechtigkeit beginnt bei uns ­– und mit uns.