Die 10 beliebtesten Ausreden der Modefirmen

© Yves Gelli/Corbis
Die Modefirmen zeigen ihre Kreativität nicht nur in ihren neusten Kollektionen. Auch ihre Erklärungen und Ausreden, weshalb ihre Arbeiterinnen und Arbeiter keinen Existenzlohn erhalten, sind mitunter sehr kreativ. Public Eye hat die 10 häufigsten unter die Lupe genommen.

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  • 1: Existenzlohn ist Aufgabe der Regierung

    Natürlich sollte ein gesetzlicher Mindestlohn auf einem existenzsichernden Niveau sein. Warum ist das in der globalen Textilindustrie jedoch nicht der Fall? Unter dem internationalen Wettbewerbsdruck sehen sich Regierungen gezwungen, ihre Lohnpolitik primär investorenfreundlich zu gestalten. Sie wissen nur zu gut, dass die Gefahr der Produktionsverlagerung ins billigere Ausland droht, falls die Löhne angehoben werden: Die Textilindustrie gehört zu den mobilsten der Welt. Tiefe Löhne sind aufgrund der Einkaufs- und Produktionspraxis der Branche noch immer ein entscheidender Standortvorteil.
    Multinationale Modekonzerne sitzen am Verhandlungstisch am längeren Hebel.

    Modekonzerne stehen daher in der Pflicht, sich zu Existenzlöhnen zu bekenne.

    Und sie müssen den lokalen Regierungen versichern, dass sie die Produktion nicht ins Ausland verlagern, falls der Lohn auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben wird. Es ist zudem zentral, dass Modekonzerne die ganze Lieferkette berücksichtigen und mit anderen Modefirmen zusammenarbeiten, um global einen Existenzlohn umzusetzen.

  • 2: Es gibt keine anerkannte Berechnungsmethode

    Aus Sicht der Arbeiterinnen und Arbeiter ist diese Ausrede besonders absurd. Es ist offensichtlich, dass die Löhne nicht zum Leben reichen, das bestreiten sogar viele Firmen nicht. Bisher gab es jedoch kaum ernsthafte Versuche der Firmen, dieses drängende Problem anzupacken. Die Asia Floor Wage-Alliance, ein Zusammenschluss von asiatischen Gewerkschaften und NGOs, hat ein breit abgestütztes Berechnungsmodell und eine klare Lohnforderung für einen Existenzlohn aufgestellt. Die Lohnhöhe basiert auf konkreten Erhebungen der Lebenshaltungskosten von Textilarbeiterinnen und Textilarbeitern  und ihrer Familien in Asien. Das AFW-Existenzlohnmodell wurde an zahlreichen Anlässen vorgestellt. Viele Firmen fanden den Ansatz interessant. Bisher nutzen jedoch erst wenige Unternehmen den AFW-Existenzlohn als Messgrösse und arbeiten auf dessen Bezahlung hin.

    Auch für Osteuropa und die Türkei legt die Clean Clothes Campaign (CCC) in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen konkrete Lohnforderungen vor. In einem ersten, unmittelbaren Schritt sollen die Löhne auf mindestens 60% des jeweiligen nationalen Durchschnittlohns steigen, danach sollte eine stufenweise Erhöhung hin zu existenzsichernden Löhnen erfolgen.

    Einen Konsens zu finden, wie Existenzlöhne berechnet werden könnten, ist möglich – leider fehlt (bisher) die Bereitschaft der beteiligten Unternehmen.

  • 3: Verlust der Wettbewerbsfähigkeit wegen höherer Löhne

    Der Lohnkostenanteil für die Produktion beträgt nur gerade 0.5-3% des Endverkaufspreises. Selbst wenn der Lohn der Näherinnen und Näher verdoppelt oder verdreifacht würde, wäre sein Anteil an den Produktionskosten immer noch sehr gering.

    Solange die tiefsten Löhne jedoch den Standortentscheid bestimmen, und grosse Modekonzerne Länder gegeneinander ausspielen, ändert sich nichts.

    Es muss in die Ausbildung, Infrastruktur und langfristige Zusammenarbeit mit Lieferanten investiert werden.

    So werden Produktivität, Verlässlichkeit oder vertikal integrierte Produktionsketten zu Standortvorteilen auf dem globalen Markt. Lohnerhöhungen führen zudem in vielen Fällen zu direkten Qualitätssteigerungen, da die Beschäftigten weniger oft den Arbeitsplatz wechseln, gesünder und motivierter sind, und damit auch produktiver.

  • 4: Besser schlechte Arbeitsplätze als keine

    Für viele Menschen ist die Arbeit in einer Textilfabrik die einzige Möglichkeit, Geld für sich und ihre Familien zu verdienen. Das macht sie aber auch besonders verletzlich und abhängig vom Arbeitsplatz. Die grosse Abhängigkeit darf kein Vorwand sein, um Menschen auszubeuten. Wer unter grossem Einsatz Produkte für die Modeindustrie fertigt, muss einen fairen Anteil am Erfolg der Konzerne erhalten.

    Textilarbeiterinnen und -arbeiter brauchen ihren Job – und eine faire Entwicklungschance für ein Leben jenseits der Armut.

    Arbeitskräfte weltweit sind heute grosser Willkür ausgesetzt. Ihnen werden Gewerkschaftsrechte verweigert, trotz unzähliger Überstunden reicht der Lohn kaum aus, sie bekommen vielfach weder Mutterschutz noch eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Arbeit in den Kleiderfabriken und Tiefstlöhne verschleissen die Menschen; sie leiden unter Mangelernährung und einer schlechten Gesundheit, sie haben keine Zeit für ihre Familie, weil sie zu viel arbeiten und erschöpft sind. Gemäss UNO-Menschenrechtserklärung (Artikel 23/3) haben alle Menschen, die arbeiten „das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihnen und ihrer Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen".

  • 5: Ein tiefer Lohn genügt bei tiefen Lebenshaltungskosten

    Die Lebenshaltungskosten sind in den Produktionsländern viel tiefer als beispielsweise in der Schweiz, das Preisniveau ist nicht vergleichbar. Die heutigen Mindestlöhne in den Produktionsländern sind aber dermassen tief, dass sie auch in den Produktionsländern kaum zum Leben reichen. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter erhalten zudem nicht einmal den ohnehin schon nicht ausreichenden gesetzlichen Mindestlohn.

    Ein Existenzlohn sollte die Grundbedürfnisse wie Nahrung, sauberes Trinkwasser, Unterkunft, Kleider, Schule, medizinische Versorgung und Transportkosten decken. Darüber hinaus sollte genug übrig bleiben, um für grössere oder unvorhergesehene Ausgaben sparen zu können. Wir sind im Einklang mit der Menschenrechtserklärung und den ILO-Standards der Meinung, dass es jeder Arbeiterin und jedem Arbeiter zusteht, für eine Standardarbeitswoche von max. 48 Stunden soviel zu verdienen, dass der Alltag in Würde bestritten werden kann.

    Existenzlöhne machen also niemanden reich. Die Menschen können aber mit einem Minimum an Würde leben.

  • 6: Konsumierende wollen nicht mehr bezahlen für ihre Kleider

    Konsumierende haben sich an sehr tiefe Preise gewöhnt. Der Lohnkostenanteil für die Produktion macht jedoch nur gerade 0.5-3% des Endverkaufspreises aus. Für ein T-Shirt von 10 CHF erhalten die Beschäftigten in der Fabrik im Durchschnitt gerade mal 5-30 Rappen (an der Produktion eines T-Shirts sind viele Menschen beteiligt, die 5-30 Rappen beziehen sich daher nicht einmal auf den Lohn einer Einzelperson). Eine Verdoppelung der Lohnkosten in der Produktion würde nur zu marginalen Mehrkosten führen, die problemlos von den Modeunternehmen getragen werden könnten, die selbst meist Milliardengewinne erwirtschaften. Selbst wenn die Mehrkosten direkt an die Konsumierenden weitergegeben würden, wäre der Betrag so klein, dass deswegen niemand in der Schweiz sich kein T-Shirt oder keine Hose mehr leisten könnte.

    Der Lohnanteil der Arbeiterinnen und Arbeiter ist mit ca. 0.5 - 3 % der Kosten äussert gering.

    Eine Erhöhung der Löhne auf ein Existenzlohnniveau hätte für die Modefirma nur gering höhere Lohnkosten zur Folge. Zudem: Hohe Verkaufspreise sind keine Garantie für existenzsichernde Löhne. Auch teure Marken lassen ihre Ware in Tieflohnländern produzieren und zahlen ihren Näherinnen und Nähern Löhne, die nicht zum Leben reichen.

  • 7: Faire Löhne sind Teil unseres Verhaltenskodex

    Ein Verhaltenskodex auf der Website führt noch nicht zu einem Existenzlohn in den Fabriken. Zwar ist es wichtig, dass ein Unternehmen im Verhaltenskodex klar das Recht auf einen Existenzlohn für alle Arbeiterinnen und Arbeiter verankert. Damit das kein leeres Versprechen bleibt, braucht es aber umfassende Umsetzungs- und Kontrollmassnahmen, die idealerweise im Verbund mit anderen Firmen, Gewerkschaften und NGO angegangen werden. Es reicht zudem nicht, einen „fairen“ Lohn bezahlen zu wollen.

    Firmen müssen transparent machen, an welchem Richtwert sie sich orientieren, und wie sie einen Existenzlohn berechnen.

    Zudem muss klar kommuniziert werden, wie dieses Ziel erreicht werden soll.

  • 8: Wir können wegen der Wirtschaftskrise nicht mehr bezahlen

    Obwohl wir anerkennen, dass Wirtschaftskrisen einen Einfluss auf die Bilanzen von Modekonzernen haben können, ist klar: Das Recht auf einen Existenzlohn ist keine optionale Investition oder ein zusätzliches CSR-Programm, das Firmen nur in guten Zeiten anpacken können.

    Artikel 23 Absatz 3 der Menschenrechtserklärung hält fest: Alle, die arbeiten, haben das Recht „auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihnen und ihrer Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.“

    Firmen stehen - wie auch die UNO-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte festhalten - in der Pflicht, Menschenrechte zu respektieren.

    Ein Existenzlohn ist weder eine Gefälligkeit noch ein Privileg, sondern überlebensnotwendig für alle, auch die Beschäftigten in den Kleiderfabriken.

  • 9: Abzug von überqualifiziertem Personal

    Viele Firmen argumentieren damit, dass eine generelle Erhöhung der Löhne besser qualifizierte Personen wie Krankenpfleger oder Lehrerinnen anlocken würde. Diese würden dann in den Fabriken arbeiten, weil sie dort mehr verdienen als im Spital oder an der Schule, was wiederum das Bildungs- und Gesundheitssystem vor Ort zerstören würde.

    Dieses Szenario scheint auf den ersten Blick möglich, doch werden die negativen Auswirkungen von Lohnerhöhung im Textilsektor überschätzt.

    Wenn Löhne in den Fabriken ansteigen, ist es wahrscheinlich, dass der öffentliche Sektor nachzieht und ebenfalls die Löhne erhöht.

    Dank höherer Löhne fliessen mehr Mittel in die lokale Wirtschaft, womit weitere Investitionen ermöglicht werden und vielen die Perspektive auf ein Leben jenseits der Armut eröffnet wird. So wie die globale Textilindustrie heute funktioniert, bringt sie in den Produktionsländern nicht den erhofften Fortschritt für viele, sondern zementiert deren Armut.

  • 10: AktionärInnen sind nicht gewillt, einen Existenzlohn zu finanzieren

    John Ruggie, UNO-Sonderbeauftragter, hält in den „Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte“ fest, dass Unternehmen verpflichtet sind, Menschenrechte zu respektieren.

    Es braucht daher einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft.

    Es geht nicht an, dass Firmen und ihre Aktionäre Menschenrechte missachten.

    Existenzlöhne sind ein Menschenrecht – dieses steht allen zu, insbesondere jenen Arbeiterinnen und Arbeitern, die Produkte herstellen und damit die Grundlage für Gewinne von Modekonzernen liefern.