Rückstände hochgefährlicher Pestizide Verbotene Pestizide in Lebensmittel-Importen: Aus Europa auf die Felder der Welt und zurück.

Jedes dritte getestete Lebensmittel, das von ausserhalb der EU importiert wird, enthält Rückstände von Pestiziden, deren Verwendung in der Schweiz verboten ist. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse von Public Eye, die beleuchtet, welch giftigen Substanzen die Anwender*innen und die Umwelt in Drittstaaten ausgesetzt sind. Obschon Rückstände verbotener Pestizide in Lebensmitteln eigentlich nicht erlaubt sind, gewährt der Bund zahlreiche Ausnahmen. Die Schweiz muss diese Gesetzeslücken endlich schliessen.

Rückstände oder Abbauprodukte von insgesamt 57 verschiedenen auf Schweizer Feldern verbotenen Pestizidwirkstoffen wurden 2021 in Lebensmitteln nachgewiesen, die von ausserhalb der EU in die Schweiz importiert wurden. Das zeigt unsere Auswertung von bisher unveröffentlichten Daten des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Diese enthalten an das BLV übermittelte Ergebnisse von Pestizidanalysen, welche kantonale Behörden 2021 aufgrund eines «Verdachts oder Risikos» bei ausgewählten Importlebensmitteln durchführten. Knapp die Hälfte der 1’419 Lebensmittel stammten aus EU-Ländern. Während in diesen Proben fast keine Spuren von verbotenen Pestiziden nachgewiesen wurden, enthielt mehr als jede dritte (35%) der insgesamt 737 in den BLV-Daten aufgeführten Lebensmittelproben von ausserhalb der EU solche Substanzen.   

Die meisten davon sind in ganz Europa verboten, werden aber in zahlreichen Ländern des Globalen Südens, wo die Regulierungen schwächer sind, weiterhin verwendet. Verkauft werden sie dort oft von Herstellern, die ihren Sitz in der Schweiz oder der EU haben.

Obwohl wir diese Gifte von unseren Feldern verbannt haben, lassen wir also zu, dass sie auf exotische Früchte, Gewürze, Gemüse und andere Lebensmittel gespritzt werden, die in die Schweiz importiert werden.

Und dies, obschon solche Rückstände verbotener Pestizide gesetzlich eigentlich untersagt sind. Für sie gilt, in der EU wie in der Schweiz die Bestimmungsgrenze von maximal 0.01 mg/kg. Dennoch werden auf Antrag teils deutlich höhere Grenzwerte, sogenannte «Einfuhrtoleranzen» gewährt. Möglich ist dies laut Bundesrat auch bei verbotenen Stoffen, solange der «Verzehr von damit behandelten Lebensmitteln» als «gesundheitlich unbedenklich» eingeschätzt wird. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch die Umwelt und die Gesundheit der Bäuerinnen und Landwirte in Drittstaaten, die den Giften direkt ausgesetzt sind.

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Exotische Früchte in einem europäischen Supermarkt: Bei 43% der Proben exotischer Früchte fanden wir Spuren verbotener Pestizide.

Spuren verbotener Pestizide wurden 2021 am häufigsten in Gewürzen, Küchenkräutern sowie diversen Gemüse- und Früchtearten aus Ländern wie Thailand, Indien, der Türkei, China und Brasilien festgestellt. Alle diese Stoffe wurden bei uns verboten, weil sie sich als hochgefährlich für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt herausgestellt haben. Unter den am häufigsten nachgewiesenen Pestiziden (siehe Tabelle) sind Gifte wie das Fungizid Carbendazim, welches das menschliche Erbgut verändern, die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und das Kind im Mutterleib schädigen kann. Oder auch das Insektizid Chlorpyrifos, das in der EU und der Schweiz 2020 verboten wurde, weil es vermutlich Hirnschäden und Entwicklungsstörungen bei Kindern verursacht. Unter den Top 12 finden sich zudem viele für Bienen und andere Bestäuber hochgiftige Insektizide, wie etwa die Neonicotinoide Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothiadinin. In über der Hälfte (56%) der Proben wurden Spuren von mehr als einem verbotenen Pestizid nachgewiesen. In einer Gewürzprobe aus Thailand waren es 18 verschiedene Stoffe.

Inakzeptable Gesetzeslücken schliessen

Schon vor drei Jahren hatten wir festgestellt, dass 2017 rund jedes Zehnte von den Behörden getestete Importlebensmittel (und jedes Fünfte von ausserhalb der EU) Spuren verbotener Pestizide aufwies.

Seither hat sich der Anteil belasteter Lebensmittel deutlich vergrössert. Das liegt auch daran, dass seit 2018 viele hochgefährliche Pestizide vom Schweizer Markt genommen wurden. Darunter sind die Neonicotinoid-Insektizide, Chlorpyrifos, oder auch das wahrscheinlich krebserregende Chlorothalonil, dessen Abbauprodukte sich im Grundwasser angereichert hatten.

Dass die Präsenz dieser und anderer verbotener Stoffe in importierten Lebensmitteln trotzdem toleriert wird, ist für den Nationalrat inakzeptabel. Im Sommer 2022 hat er eine Motion von Christine Badertscher (Grüne) deutlich angenommen, die eine konsequente Nulltoleranz für Rückstände aller aus Umwelt- oder Gesundheitsschutz verbotenen Pestizide fordert.

Auch in der EU ist viel in Bewegung. Die Europäische Kommission hat die Lücke in der zur Schweiz analogen Gesetzgebung erkannt und beschlossen, bei der Festlegung von Rückstandhöchstgrenzen für Pestizide künftig nicht nur die Konsumierenden, sondern erstmals auch Aspekte wie «Globale Umweltauswirkungen» zu berücksichtigen. Als ersten Schritt hat sie im Februar 2023 eine Nulltoleranz für Rückstände von zwei bienenschädlichen Neonicotinoiden in Importlebensmitteln eingeführt, um dem «Bienensterben weltweit entgegenzuwirken», das «eine ernste Bedrohung» für die «Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktivität» und die «Ernährungssicherheit» darstelle.

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Angemessene Schutzkleidung ist für landwirtschaftliche Arbeitskräfte im Globalen Süden oft nicht verfügbar - hier ein Bauer in Rajasthan (Indien) bei der Koriander-Ernte.

Besonders in tropischen und subtropischen Ländern mit grosser Artenvielfalt kann die Verwendung von Insektiziden wie der Neonicotinoide verheerende Folgen haben. Andere hochgiftige Stoffe gefährden die Gesundheit der in diesen Ländern zahlreichen landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Weltweit vergiften sich laut einer vom UN Umweltprogramm UNEP zitierten Metastudie von 2020 jährlich bis 385 Millionen Menschen an Pestiziden, die überwiegende Mehrzahl davon im Globalen Süden, wo Pestizide vielerorts kaum kontrolliert sind und nicht sicher verwendet werden können.

Der Westschweizer Konsumentenverband FRC ist der Ansicht, dass «Lebensmittel, die unter dem Einsatz von bei uns verbotenen Substanzen hergestellt werden, die in anderen Ländern die Gesundheit oder Umwelt gefährden, in den Regalen des Schweizer Handels nichts zu suchen haben». Die Schweiz sollte diese Rückstände im Sinne eines nachhaltigeren Konsums nicht länger tolerieren, schreibt uns der Verband auf Anfrage.

In einem Brief an die Mitglieder des Ständeräts haben Mitte Mai auch zahlreiche Schweizer Produzentenorganisationen und der Schweizer Bauernverband ihre Unterstützung für Badertschers Motion bekundet. Die heutige Praxis schaffe «ungleich lange Spiesse» und damit einen «Wettbewerbsnachteil für Schweizer Landwirtschaftsbetriebe, welche bereits heute ohne die problematischen Stoffe auskommen müssen», meinen die Verbände. Die Schweiz müsse bei diesen Importen mehr politische Verantwortung übernehmen.

Das zuständige Bundesamt winkt indes ab. Der «Hauptzweck der Lebensmittelgesetzgebung» sei es, «die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten vor Lebensmitteln zu schützen, die nicht sicher sind», schreibt das BLV uns. Es gebe «keine rechtliche Grundlage, die Situation in Drittstaaten oder Umwelteinflüsse von Pestiziden zu berücksichtigen». Zugleich hält das Amt fest, dass man sich bei der «Festlegung der Rückstandshöchstgehalte», auch bei den neusten Entwicklungen, an der EU ausrichte.

Toxischer Bumerang

Verbotene Stoffe wurden gemäss den Daten des BLV besonders häufig in Lebensmitteln aus Ländern wie Thailand, Indien, der Türkei, Brasilien oder Ecuador nachgewiesen (siehe Abbildung oben). In diesen Ländern sind Pestizidvergiftungen ein verbreitetes Problem. Zu den Hauptverantwortlichen gehören hochgiftige, bei uns verbotene Substanzen.

Weitere Informationen

  • Gesundheitliche Folgen in Indien, Thailand, der Türkei, Brasilien, Ecuador und Kolumbien

    Allein in Indien vergiften sich bis zu 145 Millionen Menschen – oder die Hälfte der Landarbeiter und Bäuerinnen des Landes – mindestens einmal jährlich an Pestiziden, so die Schätzung der Metastudie. 2021 registrierten indische Behörden fast 35'000 Todesfälle durch Selbstvergiftungen oder Unfälle, wobei Wissenschaftler*innen von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgehen. Bei uns verbotene Substanzen, etwa hochgiftige Organophosphat-Insektizide wie Chlorpyrifos oder Profenofos, spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Spuren beider Insektizide wurden 2021 mehrfach in Gewürzen und Gemüse aus Indien nachgewiesen. Insgesamt enthielt über die Hälfte der getesteten Lebensmittel (29 von 57) aus Indien verbotene Pestizide.

    Solche Pestizide wurden auch in 43 oder 37% der getesteten Lebensmittel aus Thailand nachgewiesen, besonders oft in Küchenkräutern und diversen Gemüsen. Auch dort zeigten Studien wiederholt eine erhöhte Präsenz von Pestizidspuren im Körper von Menschen, die in Landwirtschaftsregionen leben und arbeiten. Kürzlich hat die Regierung zwei hochgiftige Pestizide (Chlorpyrifos und Paraquat) deswegen verboten, ebenso wie deren Rückstände in Lebensmitteln im eigenen Land.

    Auch in knapp der Hälfte der Proben aus der Türkei wurden verbotene Substanzen festgestellt ebenso wie in den Bananen und anderen exotische Früchte aus Brasilien, Ecuador und Kolumbien. In Lateinamerika sind die Arbeiterinnen auf Fruchtplantagen sowie deren Anwohner diesen Substanzen besonders oft ausgesetzt, mit verheerenden Folgen für die Gesundheit, wie etwa unsere Recherchen auf Bananenplantagen in Ecuador zeigen. Ähnlich ist die Situation im ländlichen Brasilien, wo zahlreiche Studien auf einen Zusammenhang zwischen der wiederholten Exposition gegenüber hochgefährlichen Pestiziden und Folgen wie Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, Missbildungen, Krebs sowie neurologische oder hormonelle Probleme deuten.

Dass ausgerechnet auf den Plantagen, die oft für Europa bestimmte Exportware produzieren, Pestizide verwendet werden, die in Europa als zu gefährlich gelten, ist für Larissa Bombardi «unhaltbar». Die brasilianische Landwirtschaftsexpertin und ehemalige Professorin für Geografie an der Universität São Paulo spricht von einem «Giftkreislauf».

Denn häufig werden die verbotenen Pestizide in Europa produziert und von hier aus exportiert, bevor sie über Lebensmittel zurück zu uns gelangen. So meldeten Pestizidhersteller in der EU allein 2021 die Ausfuhr von über 13'000 Tonnen Neonicotinoid-Insektiziden, wie Public Eye und Unearthed kürzlich aufdeckten. Grösster Exporteur war der Schweizer Konzern Syngenta, der allein mehr als 10'000 Tonnen Thiamethoxam aus der EU hauptsächlich nach Brasilien ausführte. Hersteller in der EU meldeten 2022 auch den Export von über 380 Tonnen Chlorpyrifos.

© Ramiro Aguilar Villamarín / Public Eye
In Ecuador werden Bananen vor und nach der Ernte intensiv mit Pestiziden behandelt. Die gesundheitlichen Risiken für Arbeiter*innen und Anrainer der Plantagen sind enorm.

Nachdem vor einigen Jahren klar wurde, dass Syngenta auch aus der Schweiz verbotene Pestizide exportierte – darunter das jetzt in Importlebensmitteln nachgewiesene Insektizid Profenofos–, beschloss der Bundesrat im Herbst 2020, die Ausfuhrbestimmungen von hierzulande verbotenen Pestiziden zu verschärfen und den Export von fünf Substanzen, darunter Profenofos, ganz zu verbieten. Diese seit 2021 geltenden Regeln sind allerdings lückenhaft und schliessen zahlreiche bei uns kürzlich verbotene Pestizide wie Thiamethoxam oder Chlorpyrifos nicht mit ein. Im März erklärte Umweltminister Albert Rösti  im Ständerat, dass die Schweiz «grundsätzlich» auch den «Export dieser Stoffe untersagen» wolle, «wenn die Umwelt oder die Gesundheit von Menschen gefährdet wird».  

Der Bundesrat sollte diesen Worten endlich Taten folgen lassen, und konsequenterweise nicht nur die Ausfuhr, sondern auch die Einfuhr aller in der Schweiz aus Umwelt- oder Gesundheitsgründen verbotenen Pestizide über Lebensmittelimporte stoppen.

Letzteres will auch die Mehrheit der Ständeratskommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, die der kleinen Kammer Ende März empfahl, der Motion von Christine Badertscher in der Sommersession zuzustimmen.