Intransparenz und Inkonsequenz: Russlands Krieg enttarnt das «Geschäftsmodell Schweiz»

Morgen jährt sich Putins Angriff auf die Ukraine zum ersten und hoffentlich letzten Mal. Als bevorzugtes Gastland kremltreuer Geschäftsleute und Handelsdrehscheibe für russische Rohstoffe steht die Schweiz seit Kriegsbeginn in der Kritik. Mit ihren Recherchen zum helvetischen Kohlehandelsplatz, sanktionierten Oligarchen und den Krisengewinnen der Rohstoffkonzerne hat Public Eye die wichtige Rolle und besondere Verantwortung der Schweizer Politik und Unternehmen gezeigt. Und dass es nach wie vor hapert bei der Umsetzung der Sanktionen.

Die faktenreiche Oligarchen-Galerie von Public Eye hat schon im Mai 2022 aufgedeckt, wie zahlreich und tief die Verstrickungen der Putin-nahen Business-Elite mit der Schweiz sind. Wegen der Intransparenz des Finanzplatzes wissen wir aber bis heute nicht, welcher Anteil der hiesigen Vermögenswerte von sanktionierten Personen überhaupt gefunden und eingefroren wurde. Und die zuständigen Behörden wollen weiter weder ernsthaft danach suchen noch sich international koordinieren. Das wäre zwingend notwendig, nicht zuletzt damit sich die Schweiz glaubhaft in die internationale Diskussion über rechtsstaatskonforme Möglichkeiten für die Einziehung von sanktionierten Vermögen zum Wiederaufbau der Ukraine einbringen kann. Der Ukrainekrieg hat weiter offengelegt, dass zum Waschen von Vermögenswerten illegaler Herkunft und zur Umgehung von Sanktionen dieselben Netzwerke benutzt werden. Dringender Handlungsbedarf besteht daher auch bei der Beseitigung der Mängel im Schweizer Dispositiv zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Finanzkriminalität. 

Neben dem Finanzplatz leistet auch der hiesige Rohstoffhandelsplatz lukrative Beihilfe zur Finanzierung der russischen Kriegsmaschinerie. Anlässlich des Kohleembargos von letztem Sommer zeigten Public-Eye-Recherchen, dass über die Schweiz 75% der russischen Kohleexporte abgewickelt werden. Doch beim zuständigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ist die Informationsgrundlage derart ungenügend, dass eine datenbasierte Politik und Umsetzung der Sanktionen gegenwärtig schlicht unmöglich sind. Mit dem kürzlich in Kraft getretenen Embargo gegen russisches Erdöl steht nun die Haupteinnahmequelle von Putins Staatsapparat im Zentrum unserer Recherchen. Wie schnell und gründlich die Schweiz, wo zu Kriegsbeginn noch zwischen 50 und 60% des russischen Erdöls gehandelt wurden, diese neuen Sanktionen umsetzt, wird ein wichtiger Gradmesser für deren politische Glaubwürdigkeit. Auch deshalb braucht die Schweiz dringend eine Aufsichtsbehörde für den Hochrisikosektor Rohstoffhandel. Diese würde gewährleisten, dass die in Genf oder Zug gehandelten Rohstoffe nicht aus Konfliktgebieten oder Ländern stammen, gegen die internationale Sanktionen verhängt wurden.  

Der Rohstoffhandelsplatz profitiert zudem auch selber massiv vom Krieg und den resultierenden Marktschwankungen. So verzeichneten die Schweizer Energie- und Agrarhändler im ersten Halbjahr 2022 allesamt historische Rekordgewinne. Statt Glencore, Cargill & Co mit weiteren Privilegien wie einer «Tonnage Tax» zu verwöhnen, muss die Schweiz vielmehr eine Übergewinnsteuer für die horrenden Krisenprofite einführen und für deren gerechte Umverteilung sorgen. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland stellen die Risiken und Nebenwirkungen der Geschäftsmodelle des Schweizer Finanz- und Rohstoffplatz ins internationale Rampenlicht. Public Eye zeigt, welchen Hebel die Schweiz und ihre Konzerne hätten, um die Finanzierung der russischen Kriegsmaschinerie einzuschränken. Doch auch ein Jahr nach der brutalen Invasion hapert es am politischen Willen und den nötigen Daten- und Gesetzesgrundlagen, um die Sanktionen konsequent und wirkungsvoll umzusetzen und die Rohstoffhändler zu regulieren. 

Mehr Informationen hier oder bei

Robert Bachmann, Fachexperte Rohstoffe & Finanzen, 044 277 79 22,