Agrarrohstoffhandel in der Schweiz – Eine Einführung

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Die Schweiz ist nicht nur Sitz der grössten Händler von Öl, Metallen oder Erzen der Welt, sondern auch ein bedeutender Handelsplatz für Agrarrohstoffe wie Kaffee, Kakao, Zucker oder Getreide. Der Sektor ist stark konzentriert mit einigen wenigen mächtigen Unternehmen, die sowohl den Anbau wie auch die Verarbeitung kontrollieren. Der Agrarhandelssektor birgt hohe Risiken für Menschenrechtsverletzungen wie Armutslöhne, Zwangs- und Kinderarbeit, für Abholzung oder Korruption. Die Schweiz als Sitzstaat vieler Agrarhändler trägt eine besondere Verantwortung, für Transparenz und die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen.

In einkommensschwachen Ländern, in denen ein Grossteil der Rohstoffe angebaut wird, die von den in der Schweiz ansässigen Unternehmen gehandelt werden, sind Menschenrechtsverletzungen allgegenwärtig. Diese reichen von fehlenden existenzsichernden Einkommen und Löhnen über Zwangs- und Kinderarbeit bis zu Gesundheits- und Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz. Darüber hinaus hat sich das Risiko von Steuervergehen und Korruption im Anbau von und Handel mit Agrarrohstoffen ebenfalls als hoch erwiesen. 

Agricultural Commodity Traders in Switzerland – Benefitting from Misery?

Der Bericht «Agricultural Commodity Traders in Switzerland – Benefitting from Misery?» (2019) von Public Eye durchleuchtet den undurchsichtigen Sektor des Agrarrohstoffhandels und dokumentiert die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen. Zudem hebt der Bericht die Verweigerungshaltung der Schweiz hervor, diese Probleme anzugehen und den Sektor dahingehend zu regulieren. Und er zeigt Wege auf, wie die bestehenden Herausforderungen bewältigt werden können.

Wachstum und Konzentration: ein Sektor im Wandel

Bevölkerungswachstum, steigende Einkommen und Urbanisierung treiben die Nachfrage nach Lebensmitteln in die Höhe. Die wachsende Nachfrage nach Fleisch und Agrotreibstoffen führt zu einem noch stärkeren Anstieg der Produktion von Agrarrohstoffen wie Soja, Mais und Zuckerrohr. Diese Entwicklungen haben einen strukturellen Wandel des globalen Agro-Food Systems in Gang gesetzt, der durch den technologischen Fortschritt noch beschleunigt wird. Die auf Freihandel ausgerichtete Wirtschaftspolitik sowie ein exportorientiertes Entwicklungsmodell treiben den Wandel weiter voran. In den letzten Jahren haben Übernahmen, Joint Ventures und Fusionen dazu geführt, dass einige wenige multinationale Unternehmen sich auf verschiedenen Stufen der globalen Agro-Food Wertschöpfungsketten ausdehnen und diese zunehmend dominieren. Heute kontrolliert eine kleine Zahl mächtiger Akteure grosse Teile unseres gesamten Agrar- und Ernährungssystems.

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Schwere Menschenrechtsverletzungen

Produktionssteigerungen im Agrarsektor haben zu einem Abwärtstrend bei den Nahrungsmittelpreisen geführt. Die Transformation des globalen Agro-Food Systems hat es jedoch auf spektakuläre Weise versäumt, weltweit Unterernährung und Hunger zu beseitigen. Darüber hinaus haben Menschen, die von der Landwirtschaft leben, unter den tiefen Produzentenpreisen gelitten und werden in vielen Fällen eines angemessenen Lebensunterhalts beraubt. Der Grossteil der für den Weltmarkt bestimmten Rohstoffe wie Kakao, Kaffee oder Baumwolle wird in einkommensschwächeren Ländern angebaut, in denen der Agrarsektor einen erheblichen Teil der Bevölkerung beschäftigt. Gleichzeitig sind Menschenrechtsverletzungen im Anbau von Agrarrohstoffen, insbesondere im globalen Süden, weit verbreitet. Die Bäuerinnen und Bauern erhalten keine existenzsichernden Einkommen und die Arbeitenden können kaum von ihrem Lohn leben. Dazu kommen Zwangs- und Kinderarbeit, Gesundheitsprobleme durch den Einsatz von Pestiziden, die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch Entwaldung und grossflächige Landaneignungen die zu Landraub führen können. Auch das Risiko von Steuervergehen, Korruption und unlauterer Einflussnahme auf die Politik ist im Rohstoffhandel besonders hoch. Diese Praktiken führen oft zu Menschenrechtsverletzungen, da sie den Ländern dringend notwendige finanzielle Mittel entziehen und die politischen Handlungsmöglichkeiten einschränken, um die Einhaltung der Menschenrechte ihrer Bevölkerung zu gewährleisten.

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Die Schweiz als Zentrum des globalen Agrarrohstoffhandels

Über die Rolle der Schweiz als globale Drehscheibe im Agrarhandel war bisher wenig bekannt. Public Eye hat die weltweit wichtigsten Agrarhändler bezüglich ihrer Aktivitäten in der Schweiz analysiert, um Licht in diesen undurchsichtigen Sektor zu bringen. Wenige wissen, dass 50% des globalen Getreide- sowie Kaffeehandels von in der Schweiz ansässigen Händlern getätigt und 40% des weltweit gehandelten Zuckers aus Schweizer Büros abgewickelt wird. Ebenso hat die Schweiz einen Anteil von 30% am weltweiten gehandelten Kakao, 25% bei Baumwolle und 15% bei Orangensaft. Und das sind noch konservative Schätzungen. Es besteht kein Zweifel, dass sich das Land zu einer der wichtigsten Drehscheiben für den Handel mit Agrarrohstoffen entwickelt hat. In den letzten Jahrzehnten haben viele der weltweit führenden Agrarhändler ihre Handelsniederlassungen am Genfer See oder in der Zentralschweiz eingerichtet. Angelockt von einer attraktiven Steuerpolitik, einem diskreten und unternehmensfreundlichen Umfeld und weitgehend fehlender Regulierung in den Bereichen Transparenz oder Menschenrechtsschutz im Ausland, bleiben die meisten Agrarrohstoffhändler der Öffentlichkeit unbekannt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass der Rohstoffhandel in der Schweiz grösstenteils aus sogenanntem Transithandel besteht und die Rohstoffe nicht physisch in die Schweiz gelangen. Damit erscheinen diese auch nicht in der Import- und Exportstatistik, was die Intransparenz eines bereits undurchsichtigen Sektors weiter erhöht.

Ein problematisches Geschäftsmodell

Die Analyse des Sektors zeigt: Die von der Schweiz aus operierenden Handelsgesellschaften sind sowohl im Anbau von Agrarrohstoffen als auch in deren Verarbeitung tätig. Sie besitzen oder pachten Agrarland oder schliessen Anbauverträge ab, die es ihnen ermöglichen, eine erhebliche Kontrolle über die Anbaustufe auszuüben. Viele in der Schweiz ansässige Agrarhändler können daher nicht als reine Handelsunternehmen betrachtet werden, sondern sind vielmehr zu Managern globaler Wertschöpfungsketten geworden. Der Zugriff auf die Anbaustufe führt zu direkteren Geschäftsbeziehungen zwischen mächtigen Händlern und weitgehend unorganisierten Kleinproduzentinnen oder Arbeitern. Da diese kaum über Verhandlungsmacht verfügen, um bessere Vertragsbedingungen auszuhandeln, sind diese Geschäftsbeziehungen oft alles andere als fair. Gleichzeitig entsteht mit der Ausdehnung der Händler auf den Anbau ein direkterer Zusammenhang zwischen diesen und den zahlreichen Fällen von Menschenrechtsverletzungen in den Produktionsländern.

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Fehlende Regulierung, mangelnde Durchsetzung

In den Produktionsländern liegt die Ursache für die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen vor allem in der schwachen Durchsetzung von Gesetzen und Regelungen. In den Sitzstaaten der Agrarhändler geht es hingegen weniger um die mangelhafte Durchsetzung, sondern vielmehr um das Fehlen konkreter Regulierungen zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen im Ausland durch Handelsunternehmen. Die Schweiz verlässt sich nach wie vor weitgehend auf die freiwillige Unternehmensverantwortung und hat bisher kaum verbindliche Vorschriften erlassen, um Menschenrechtsverletzungen entlang der Wertschöpfungsketten von in der Schweiz ansässigen Rohstoffhändlern zu bekämpfen. Die Intransparenz des Sektors verschärft das Problem noch. Auch diesbezüglich braucht es verbindliche Massnahmen.

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Hauptursache: Machtungleichgewicht entlang globaler Wertschöpfungsketten

Einer der Gründe für die fehlende und schwache Regulierung sowie für die mangelnde Durchsetzung in den Produktionsländern wie den Sitzstaaten liegt in der Möglichkeit einflussreicher Agrarhändler, ihre Machtposition zu missbrauchen. Die im globalen Agro-Food Sektor beobachtete ungleiche Machtverteilung ist kein Zufall. Im Gegenteil, sie ist systematisch und gewollt, da sie ein System fördert und aufrechterhält, das den grossen multinationalen Unternehmen zugutekommt – zum Nachteil von Millionen von Menschen, die im Anbau von Agrarrohstoffen tätig sind oder in Anbauregionen leben. Im Gegensatz zu Kleinbäuerinnen und Landwirtschaftsarbeitern sind multinationale Unternehmen in der Lage, die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu gestalten, auszulegen oder zu umgehen. Dieses Machtungleichgewicht widerspiegelt sich direkt in einer unzureichenden Regulierung zum Schutz der Menschen- und Arbeitsrechte, im Bereich Transparenz sowie im Wettbewerbsrecht, welches oft auf die Bedürfnisse multinationaler Unternehmen ausgerichtet ist und die am meisten Benachteiligten vernachlässigt.

Was muss sich in der Schweiz ändern?

Die Schweiz als Sitzstaat vieler der weltweit bedeutendsten Agrarhändler spielt eine zentrale Rolle bei der Verbesserung der Menschenrechtssituation entlang globaler Agro-Food Wertschöpfungsketten. Sie muss für ausreichende Transparenz im Rohstoffhandelssektor sorgen sowie eine verbindliche, menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungspflicht einführen, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte überall dort respektiert werden, wo Schweizer Unternehmen tätig sind. 

Um den zunehmenden Konzentrationsprozessen im globalen Agro-Food Sektor etwas entgegenzusetzen, bedarf es zudem einer effektiveren und umfassenderen Wettbewerbspolitik. Auch Agrarrohstoffhändler als Manager globaler Wertschöpfungsketten spielen eine wichtige Rolle. Es braucht jedoch eine grundlegende Veränderung in den Beziehungen zwischen Händlern und den Millionen von Menschen, die die Agrarrohstoffe produzieren. Nur so kann das Menschenrecht auf einen angemessenen Lebensstandard in der Landwirtschaft verwirklicht werden. Eine Voraussetzung dafür und ein entscheidender erster Schritt, ist die Transparenz über Geschäftsaktivitäten und -beziehungen, die Preisgestaltung entlang globaler Wertschöpfungsketten sowie Finanzdaten der Händler.

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Agrarrohstoffe

Es gibt eine Vielzahl von Definitionen von Agrarrohstoffen, die sich hinsichtlich der Produkte, die sie ein- oder ausschliessen, leicht voneinander unterscheiden.

Public Eye definiert Agrarrohstoffe, manchmal auch «Soft Commodities» genannt, als erneuerbare Rohstoffe, die sowohl als Nahrungsmittel als auch als Nichtlebensmittel in der landwirtschaftlichen Produktion angebaut und weltweit gehandelt werden.  Diese Definition schliesst Fleisch und Milchprodukte sowie Produkte aus der Fischerei und Forstwirtschaft ein, obwohl diese Produkte nicht im Mittelpunkt der Arbeit von Public Eye stehen. Produkte, die nicht global gehandelt werden und in erster Linie lokal und/oder zu Subsistenzzwecken angebaut werden, sind in der Regel nicht in den Definitionen von Agrarrohstoffen enthalten.

Der Ausgangspunkt dieser Definition liegt bei den Waren, d.h. den eigentlichen Rohstoffen, und nicht beim Endzweck der Produkte. Dieses Verständnis umfasst auch verarbeitete Produkte, da nur sehr wenige Agrarrohstoffe in ihrer ursprünglichen Form (d.h. als Feldfrüchte) international gehandelt werden. Alle Produkte durchlaufen die für die Lagerung und den Transport erforderliche Primärverarbeitung (z.B. Fermentation und Trocknung von Kakaobohnen, Konzentration und Gefrieren von Orangensaft, Pressen von Palmöl-Früchten).