Made in Italy

© Public Eye
Firmen kehren nach Italien zurück – und mit ihnen die Sweatshop-Problematik. Die Rechercheergebnisse der Clean Clothes Campaign über die italienische Schuh- und Bekleidungsindustrie (2014) verdeutlichen, dass der globale Konkurrenzkampf um Tiefstpreise auch in Italien die Löhne drückt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert.

Die 2014 von der Clean Clothes Campaign (CCC) publizierte Studie «Can you earn a living wage in fashion in Italy?» zeigt, dass grosse Marken wie Louis Vuitton, Armani, Prada und Dior alte Fabriken zurückkaufen, die vormals infolge der Konkurrenz mit billigeren Produktionsstätten in postsozialistischen Ländern Europas und der Türkei schliessen mussten. Heute ist Italien wieder «konkurrenzfähig»: Die wiedereröffneten Fabriken beteiligen sich am internationalen Wettbewerb um tiefe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen.

Der Wettbewerbsdruck kommt aber nicht nur von aussen: Vor allem in der Toskana (Prato) hat sich eine Parallel-Industrie als billige Produktionsenklave innerhalb Italiens etabliert. Die Firmen agieren als direkte Lieferanten oder Unterlieferanten für den Export und zeichnen sich durch extreme Flexibilität und Kosteneinsparungen aus – und damit durch günstige, rasche Lieferungen. Produziert wird auch für das Luxussegment, u.a. für Firmen wie Armani, Valentino, Versace oder Max Mara. Die vorwiegend asiatischen Immigrantinnen und Immigranten werden zu prekarisierten Arbeitsbedingungen (u.a. niedriger Lohn, mangelnder Kündigungsschutz, geringe Arbeitsplatzsicherheit) angestellt. Darunter leiden aber nicht nur die asiatischen Beschäftigten: Mit dem Anwachsen dieser Parallel-Industrie wird das Lohn- und Preisniveau für den gesamten Sektor ausgehöhlt.

«Als Reaktion auf den globalen Wettbewerb um möglichst billige Preise bewegt sich Italien zunehmend in Richtung eines prekarisierten und flexibilisierten Arbeitsmarktes und die Arbeiterinnen und Arbeiter verlieren an Sozialschutz. Die Aussicht auf Arbeitsplätze durch Rückverlagerung der Produktionskapazitäten ist zwar gut, doch es ist katastrophal, wenn diese mit Armutslöhnen, fehlenden Gewerkschaften, unsicheren Arbeitsverhältnissen und gesundheitlich mangelhaften Arbeitsplätzen einhergeht», so Francesco Gesualdi, Autor der Studie und Mitarbeiter der CCC Italien.

Die CCC-Recherche basiert u.a. auf Interviews mit Arbeiterinnen und Arbeitern in Nord-, Zentral und Süditalien.

Die Recherche zeigt, dass die bezahlten Löhne in Italiens Modeindustrie deutlich unter dem vom nationalen Statistik Institut errechneten Existenzminimum liegen.

Ausserdem fand das Forschungsteam Unterlieferanten, die Arbeiterinnen und Arbeiter illegal zu Dumping-Löhnen von 700-800 Euro anstellen, oder von ihren Angestellten exzessive Überstunden verlangen.

Die Befragten berichten der CCC, dass sie den Alltag mit ihren Tieflöhnen nur bestreiten können, wenn sie Überstunden leisten, Unterstützung durch die erweiterte Familie in Anspruch nehmen, Vorschüsse der Sozialversicherungen beantragen, sich keine Sparbeträge für unerwartete Ausgaben, Ferien, Kultur oder Hobbies aufheben oder auf medizinische Untersuchungen und Behandlungen verzichten.

Löhne unter dem Druck der TROIKA

Aktuelle Beispiele aus der EU zeigen, dass Arbeitsrechte und Lohnniveaus in Europa systematisch unter Druck geraten: 2011 setzte die TROIKA (Kooperation der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, um Länder in der Eurozone zu «beraten», wenn deren Staatshaushalte in Schieflage geraten) Irland unter Druck, das daraufhin den gesetzlichen Mindestlohn um 11.5% senkte, um wieder «wettbewerbsfähig» zu werden. Spanien musste die Anpassung der gesetzlichen Mindestlöhne an die gestiegenen Lebenshaltungskosten 2011 aussetzen. Und die Europäische Zentralbank verlangte als Gegenleistung für die Beteiligung an Spaniens Schulden-Tilgung, dass das Land eine neue Anstellungskategorie (Mini-Jobs) mit Löhnen unter dem gesetzlichen Mindestlohn und mit nachteiligen Anstellungsbedingungen einführt. 2012 war Griechenland unter dem Druck der TROIKA gezwungen, als Gegenleistung für Rettungskredite den gesetzlichen Mindestlohn um ganze 22% zu senken.

Gefährdete Arbeitsrechte

Diese Entwicklung macht auch vor Italien nicht halt: Jüngste gesetzliche Reformen des Arbeitsmarkts in Italien haben bestehende Arbeitsrechte verwässert und Sozialschutz abgebaut. Es ist zu befürchten, dass sich das Lohniveau in Italien mittelfristig auf 800-900 Euro einpendelt, womit es weit unter der nationalen Kollektivvereinbarung und der Existenzlohnschätzung des Italienischen Statistikamtes angesetzt würde.

Starke Arbeitsrechte sind eine wertvolle Errungenschaften: Sie sollten unser Vorbild für menschenwürdige Arbeit sein. Die Festlegung von gesetzlichen Mindestlöhnen auf Existenzlohnniveau sowie ein hoher Sozialschutz sind gerade in Krisenzeiten als minimales Sozialnetz, als gesellschaftlicher Kitt und als Gleichstellungsmassnahme eine unumgängliche Notwendigkeit. Es wäre fatal – in Europa wie sonst wo auf der Welt – wenn im Namen der «Wettbewerbsfähigkeit» ein Sweatshop-Profil zur gesellschaftlich akzeptieren Norm würde.