Gebäudesicherheit in Bangladesch

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Von 1990 bis 2013 zählte die Clean Clothes Campaign über 2200 Todesfälle und mehr als 4000 Verletzte aufgrund mangelhafter Gebäude- und Brandschutzsicherheit allein in Bangladeschs Textilindustrie. Der Einsturz von Rana Plaza am 24. April 2013, bei dem 1138 Menschen ihr Leben verloren und über 2000 verletzt wurden, ist das bislang düsterste Kapitel in der Geschichte der Bekleidungsindustrie und steht symptomatisch für die desolaten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der Textil-, Kleider- und Schuhindustrie weltweit.

Jahrelang hatten lokale Gewerkschaften und internationale NGOs – darunter auch die Clean Clothes Campaign (CCC), die in der Schweiz von Public Eye koordiniert wird – einen konkreten Massnahmenplan zur Verbesserung der Arbeitssicherheit in Bangladesch gefordert. Damit Schutzmassnahmen in Textilfabriken effizient und nachhaltig gestaltet werden können, initiierten Gewerkschaften und NGOs 2011 ein Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit. 2012 unterzeichneten zwar PVH (Tommy Hilfiger/Calvin Klein) und Tchibo als erste Unternehmen das Abkommen, doch insgesamt war der Wille auf Seiten der Modefirmen kaum vorhanden, die Arbeitssicherheit in Textilfabriken nachhaltig zu verbessern. Erst mussten bei den Fabrikunglücken im November 2012 (Tazreen Fashions) und im April 2013 (Rana Plaza) nochmals 1250 Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Leben lassen, bevor der öffentliche Druck auf in Bangladesch produzierende Modefirmen gross genug wurde und sie zu konkreten ersten Schritten zwang.

Das Gebäudesicherheitsabkommen

Die CCC hatte in den globalen Gewerkschaften starke Partnerinnen gefunden, mit deren Hilfe die Erarbeitung eines breit getragenen Sicherheitsabkommens vorangetrieben werden konnte. Dies führte im Mai 2013 zum weltweit ersten rechtlich verbindlichen Gebäudesicherheitsabkommen, dem «Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh». Die CCC unterzeichnete das Abkommen als Zeugin und nimmt während der Umsetzung eine kritische Beobachterinnenrolle ein. 

Das Gebäudesicherheitsabkommen ist ein Meilenstein für die Industrie, denn erstmals konnte damit ein rechtlich verbindliches Übereinkommen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten geschaffen werden.

Das Programm für mehr Gebäude- und Brandschutzsicherheit ist einzigartig in Bezug auf Rechtsverbindlichkeit, Umfang, Verpflichtungen der Firmen, Transparenz und Inspektionen.

Das Abkommen wurde zwischen den globalen Branchengewerkschaften IndustriALL, Global Union, UNI Global Union sowie bangladeschischen Gewerkschaften und international tätigen Markenfirmen geschlossen. Einerseits hat es präventiven Charakter (z.B. durch unabhängige Inspektionen und Arbeiternehmerkomitees) und andererseits verpflichtet es die unterzeichnenden Firmen, Missstände in ihren Zulieferfabriken zu beheben. Über 200 Firmen haben das Abkommen bereits unterzeichnet, welches nun 1600 Fabriken und über 2 Millionen Beschäftigte in Bangladesch abdeckt.

Die Umsetzung des Abkommens

Wichtige Kernelemente des Abkommens sind:

  • Offenlegung aller Zulieferfabriken in Bangladesch
  • Öffentliche Berichterstattung über alle Fabrikinspektionen und Korrekturpläne
  • Verbindliche Reparaturen und Renovierungen der bei den Fabrikinspektionen identifizierten Gefahrenursachen
  • Markenfirmen müssen zudem sicherstellen, dass diese Massnahmen inklusive allfälliger Lohnausfallsentschädigungen bei Fabrikschliessungen finanziert werden können.
  • Die Verpflichtung, während mindestens zweier Jahre nach Unterzeichnung weiterhin in Bangladesch produzieren zu lassen
  • Zugang zu den Fabriken für Gewerkschaften zur Durchführung von Schulungen über Sicherheit und Arbeitsrechte

Das Pionierabkommen bringt längst überfällige Verbesserungen für die Branche. So müssen Firmen erstmals all ihre Zulieferer in einem Produktionsland öffentlich machen und diese von firmenunabhängigen Sachverständigen untersuchen lassen. Die daraus resultierenden Korrekturmassnahmen müssen zudem von den Fabriken in Zusammenarbeit mit den Modefirmen umgesetzt werden. Die Verantwortung für die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz kann damit nicht mehr den Zulieferern alleine übertragen werden. Pionierhaft ist ausserdem, dass Firmen sich im Abkommen dazu verpflichten, ihre Zulieferer nötigenfalls auch finanziell bei den Reparaturen zu unterstützen.

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Der Accord nimmt die grossen Modefirmen in die Pflicht: Sie können die Verantwortung für Gesundheit und Sicherheit in den Fabriken nun nicht mehr an ihre Zulieferer abwälzen.

Die Umsetzung der Korrekturmassnahmen kommt dennoch grösstenteils nur schleppend voran, was – neben der zeitweise instabilen innenpolitischen Lage – auch auf Schwierigkeiten respektive den politischen Unwillen zur Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure in der Branche zurückzuführen ist. So konnten zwar alle Fabriken einer Erstinspektion unterzogen werden, jedoch bis anhin erst ein Bruchteil aller definierten Korrekturen umgesetzt werden.

Erfolg des Accord in Gefahr

Der Accord wurde ursprünglich für fünf Jahre ausgehandelt und lief im Mai 2018 aus. Um die bisherigen Bestrebungen für eine verbesserte Gebäudesicherheit in Bangladesch voranzutreiben, konnte eine Verlängerung des Accords um drei weitere Jahre bis zum 31. Mai 2021 ausgehandelt werden. Sie bildet die Grundlage dafür, dass die Arbeit für Gebäudesicherheit fortgesetzt werden kann.

Aufgrund des Drucks des Arbeitgeberverbands der Textilfabrikbesitzenden (BGMEA) und wegen Klagen einzelner Textilfabriken wurde die Arbeit des Accord-Büros im Juni 2019 von der neuen nationalen Institution namens RMG Sustainability Council (RSC) übernommen. Der Accord war bis Mai 2021 in Kraft, die Aufgaben und Funktionen des Accord-Büros führt jedoch seit dem 1. Juni 2020 der RSC durch.

Es war jedoch lange Zeit unklar, wie die Entscheidungsstruktur, die Finanzierung oder das Durchsetzungsvermögen der neuen Institution aussehen wird. Das sind jedoch wesentliche Faktoren dafür, ob die im Accord festgeschriebenen und rechtsverbindlichen Bestimmungen zur Gebäudesicherheit und zum Feuerschutz in den Textilfabriken tatsächlich umgesetzt werden. Im Januar 2021, sechs Monate nach Beginn der Arbeit des RSC hat die Clean Clothes Campaign untersucht, ob es dem RSC gelingt, den hohen Sicherheitsstandard des Accords tatsächlich weiterzuführen.

Unser Zwischenfazit: Der RSC muss deutlich mehr machen, um in Bangladesch für sichere Textilfabriken zu sorgen.

Denn der RSC erfüllt bis heute weder die Sicherheitsstandards des Accords noch die Erwartungen in Bezug auf Entscheidungsstrukturen, Transparenz und Unabhängigkeit. Im Interesse der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch ist es äusserst wichtig, dass die neue Institution RSC nach den gleich strengen Grundsätzen und Kriterien arbeitet wie das Gebäudesicherheitsabkommen.

Forderungen der Clean Clothes Campaign

Bangladesch ist das viertwichtigste Ursprungsland für Bekleidung, die in die Schweiz importiert wird. Schweizer Firmen beteiligen sich bisher jedoch noch nicht ausreichend am Accord: Bisher hat erst eine Schweizer Modefirma die Verlängerung des Gebäudesicherheitsabkommens (2018) unterzeichnet, obwohl viel mehr Schweizer Modefirmen in Bangladesch produzieren lassen.

Die Clean Clothes Campaign fordert von allen Akteurinnen und Akteuren, Massnahmen zu ergreifen, damit Menschen- und Arbeitsrechte in den Lieferketten weltweit respektiert werden müssen sowie Wiedergutmachung für Betroffene in Zukunft selbstverständlich wird.

Update

Juni 2021

Seit Juni 2020 werden die Aufgaben des Bangladesh Accord (2013-2021) von der neuen nationalen Institution RSC durchgeführt. Unser Zwischenfazit von Januar 2021 zeigt jedoch: Der RSC muss deutlich mehr machen, um in Bangladesch für sichere Textilfabriken zu sorgen.

September 2021

Nach monatelangen Verhandlungen über die Fortführung des Bangladesh Accords einigten sich die internationalen Gewerkschaftsverbände und Vertreter der Modefirmen im September 2021 auf ein neues internationales Abkommen für Gesundheit und Arbeitssicherheit. Dieses bewahrt nicht nur das durch den Bangladesh Accord eingeführte, erfolgreiche Modell, sondern baut es weiter aus. Die Mehrheit der Schweizer Modeunternehmen steht beim neuen internationalen Abkommen jedoch abseits. Wir erwarten von allen in Bangladesh produzierenden Modeunternehmen, dass sie ihren Beitrag zur Sicherheit der Arbeiter*innen leisten und jetzt das Abkommen unterzeichnen.

Dezember 2022

Das verbindliche internationale Abkommen für Sicherheit und Gesundheit in der Bekleidungs- und Textilindustrie wird auf Pakistan ausgeweitet. Das rechtlich durchsetzbare Arbeitsschutzabkommen zwischen Gewerkschaften und Modemarken wird den pakistanischen Arbeiter*innen in der Bekleidungs- und Textilindustrie wichtige neue Schutzmassnahmen eröffnen, wie sie Bangladesch seit bald zehn Jahren kennt.

April 2023

Anlässlich des 10. Jahrestages des Fabrikeinsturzes von Rana Plaza hat die Clean Clothes Campaign Schweiz einen Aufruf mit politischen Forderungen an den Bundesrat verfasst.