Rana Plaza - Fabrikeinsturz in Bangladesch

© GMB Akash / Panos
Am 24. April 2013 stürzte in Savar nahe der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka ein neunstöckiges Gebäude zusammen, welches fünf Textilfabriken beherbergte. Das bis heute grösste Unglück in der Geschichte der Textilindustrie forderte 1138 Menschenleben und über 2000 Verletzte und steht symptomatisch für die desolaten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der gesamten Textil-, Kleider- und Schuhindustrie weltweit.

Was ist passiert?

Laut des bangladeschischen Innenministers waren drei der acht Etagen illegal errichtet worden, eine neunte befand sich im Bau. Im Gebäude waren neben Banken und Geschäften auch fünf Textilfabriken untergebracht, die für international bekannte Marken produzierten. Obwohl die Arbeiterinnen und Arbeiter dem Management schon vor dem Einsturz Risse in den Mauern gemeldet hatten, wurden sie angewiesen, weiter in diesem Gebäude zu arbeiten. Als das Gebäude am 24. April 2013 schliesslich in sich zusammenbrach, kam für viele jede Hilfe zu spät.

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Involvierte Markenfirmen

Zu den zwölf Firmen, die ihre Produktion im Rana Plaza-Gebäude zum Zeitpunkt des Zusammensturzes bestätigt hatten, gehören Benetton, El Corte Inglés, KiK und Mango. Lokale Aktivistinnen und Aktivisten fanden in den Trümmern jedoch auch Labels, Bekleidung und Bestellscheine weiterer Marken, die ihre Geschäftsbeziehungen zu den Fabriken in Rana Plaza bestritten oder als beendet erklärten. 32 Firmen konnten bis anhin mit Rana Plaza in Verbindung gebracht werden:

Adler Modemärkte (Deutschland), Auchan (Frankreich), Ascena Retail (USA), Benetton (Italien), Bonmarché (England), C&A (Belgien), Camaïeu (Frankreich), Carrefour (Frankreich), Cato Fashions (USA), El Corte Inglès (Spanien), Grabalok (Store 21, USA), Gueldenpfennig (Deutschland), Iconix (Lee Cooper, USA), Inditex (Zara, Spanien), JC Penney (USA), Kappa (Italien), Kanz (Kids Fashion Group, Deutschland), Kik (Deutschland), L.C. Waikiki (Türkei), Loblaws (Kanada), LPP (Polen), Mango (Spanien), Manifattura Corona (Italien), Mascot (Dänemark), Matalan (England), NKD (Deutschland), Premier Clothing (England), Primark (England/Irland), PWT (Texman, Dänemark), The Children’s Place (USA), Walmart (USA), YesZee (Italien).

Die Situation der Betroffenen

Nach dem Unglück dauerte es sehr lange, bis Opferlisten erstellt werden konnten, die eine notwendige Basis für Entschädigungszahlungen darstellen. Überlebende und Hinterbliebene sahen sich mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert – wie zum Beispiel zu beweisen, dass sie oder ihre Angehörigen in Rana Plaza gearbeitet hatten. Die gefragten Dokumente existierten entweder gar nicht oder waren in den Trümmern verloren gegangen. Und Familienangehörige von Vermissten konnten ohne Totenschein keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung stellen. Ein Grossteil der Betroffenen ist aufgrund körperlicher Verletzungen oder aufgrund eines Traumas nicht mehr in der Lage, zu arbeiten. Viele befinden sich zudem trotz des ausgehandelten Kompensationsabkommens weiterhin in einer finanziellen Notlage.

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    Betroffene und Angehörige mussten oft sehr lange warten, bis sie die ihnen zustehenden Kompensationszahlungen erhielten
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    Hinterbliebene mussten beweisen, dass ihre Angehörigen in der Fabrik gearbeitet hatten - aufgrund fehlender Papiere nicht immer eine einfache Angelegenheit.
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    Wo einst die Textilfabrik stand, klafft heute ein grosses Loch.
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    Viele Überlebende sind aufgrund von Verletzungen oder Traumata nicht mehr in der Lage, zu arbeiten.

Ein Meilenstein: Das Entschädigungsabkommen

Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis ein Entschädigungsabkommen, das sogenannte «Rana Plaza Arrangement», ausgehandelt werden konnte. Viele der in Rana Plaza produzierenden Firmen wehrten sich vehement dagegen, für die Missstände, die zu dem tragischen Unglück geführt hatten, Verantwortung zu übernehmen und einen finanziellen Beitrag an die Entschädigung der Betroffenen zu leisten. So dauerte es dann auch über zwei Jahre, bis die zur Entschädigung aller Betroffenen benötigte Summe von über 30 Millionen US-Dollar endlich zusammenkam. Das Kompensationsabkommen, welches von der Clean Clothes Campaign (CCC) gemeinsam mit drei Kleiderfirmen (Primark, Loblaw, El Corte Ingles), dem bangladeschischen Arbeitsministerium, bangladeschischen Arbeitgebervereinigungen, sowie globalen und nationalen Gewerkschaften koordiniert wurde, ist dennoch ein Meilenstein: Zum ersten Mal ist es gelungen, ein Abkommen basierend auf der ILO-Konvention 121 (Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten) auszuhandeln, welches die Entschädigung für medizinische Kosten sowie Lohnausfälle aller Betroffenen eines Industrieunglücks regelt.

Das Gebäudesicherheitsabkommen für Bangladesch

Bereits Jahre vor dem Einsturz des Rana Plaza Fabrikgebäudes forderten lokale Gewerkschaften und internationale NGOs, darunter auch die Clean Clothes Campaign, einen Massnahmenplan zur Verbesserung der Arbeitssicherheit in Bangladesch. Erst nach dem Fabrikfeuer von Tazreen sowie dem Einsturz von Rana Plaza konnte jedoch genug öffentlicher Druck aufgebaut werden, um einige Markenfirmen zu einem Umdenken zu bewegen. Im Mai 2013 kam der längst überfällige «Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh» zustande, ein Programm für mehr Gebäude- und Brandschutzsicherheit in der bangladeschischen Textilindustrie. Der Accord wurde ursprünglich für fünf Jahre ausgehandelt.

Die bis zum 31. Mai 2021 ausgehandelte Verlängerung bildet die Grundlage dafür, dass die Arbeit für Gebäudesicherheit fortgesetzt werden kann. Entscheidend für den Erfolg wird jedoch sein, dass möglichst alle Firmen, die in Bangladesch produzieren lassen, dem verlängerten Abkommen auch beitreten.

Neue Behörde übernimmt Accord

Aufgrund des Drucks des Arbeitgeberverbands der Textilfabrikbesitzenden (BGMEA) und wegen Klagen einzelner Textilfabriken wurde die  Arbeit des Accord-Büros im Juni 2019 von der neuen nationalen Institution namens RMG Sustainability Council (RSC) übernommen. Der Accord ist weiterhin bis Mai 2021 in Kraft, die Aufgaben und Funktionen des Accord-Büros führt jedoch seit dem 1. Juni 2020 der RSC durch.

Es war jedoch lange Zeit unklar, wie die Entscheidungsstruktur, die Finanzierung oder das Durchsetzungsvermögen der neuen Institution aussehen wird. Das sind jedoch wesentliche Faktoren dafür, ob die im Accord festgeschriebenen und rechtsverbindlichen Bestimmungen zur Gebäudesicherheit und zum Feuerschutz in den Textilfabriken tatsächlich umgesetzt werden. Sechs Monate nach Beginn der Arbeit des RSC hat die Clean Clothes Campaign untersucht, ob es dem RSC gelingt, den hohen Sicherheitsstandard des Accords tatsächlich weiterzuführen.

Unser Zwischenfazit im Januar 2022: Der RSC muss deutlich mehr machen, um in Bangladesch für sichere Textilfabriken zu sorgen.

Denn der RSC erfüllt bis heute weder die Sicherheitsstandards des Accords noch die Erwartungen in Bezug auf Entscheidungsstrukturen, Transparenz und Unabhängigkeit. Im Interesse der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesch ist es äusserst wichtig, dass die neue Institution RSC nach den gleich strengen Grundsätzen und Kriterien arbeitet wie das Gebäudesicherheitsabkommen.

Forderungen der Clean Clothes Campaign

Bangladesch ist das viertwichtigste Ursprungsland für Bekleidung, die in die Schweiz importiert wird. Schweizer Firmen beteiligen sich bisher jedoch noch nicht ausreichend am Accord: Bisher hat erst eine Schweizer Modefirma die Verlängerung des Gebäudesicherheitsabkommens (2018) unterzeichnet, obwohl viel mehr Schweizer Modefirmen in Bangladesch produzieren lassen.

Die Clean Clothes Campaign fordert von allen Akteurinnen und Akteuren, Massnahmen zu ergreifen, damit Menschen- und Arbeitsrechte in den Lieferketten weltweit respektiert werden müssen sowie Wiedergutmachung für Betroffene in Zukunft selbstverständlich wird.

Update

Juni 2021

Seit Juni 2020 werden die Aufgaben des Bangladesh Accord (2013-2021) von der neuen nationalen Institution RSC durchgeführt. Unser Zwischenfazit von Januar 2021 zeigt jedoch: Der RSC muss deutlich mehr machen, um in Bangladesch für sichere Textilfabriken zu sorgen.

September 2021

Nach monatelangen Verhandlungen über die Fortführung des Bangladesh Accords einigten sich die internationalen Gewerkschaftsverbände und Vertreter der Modefirmen im September 2021 auf ein neues internationales Abkommen für Gesundheit und Arbeitssicherheit. Dieses bewahrt nicht nur das durch den Bangladesh Accord eingeführte, erfolgreiche Modell, sondern baut es weiter aus. Die Mehrheit der Schweizer Modeunternehmen steht beim neuen internationalen Abkommen jedoch abseits. Wir erwarten von allen in Bangladesh produzierenden Modeunternehmen, dass sie ihren Beitrag zur Sicherheit der Arbeiter*innen leisten und jetzt das Abkommen unterzeichnen.

Dezember 2022

Das verbindliche internationale Abkommen für Sicherheit und Gesundheit in der Bekleidungs- und Textilindustrie wird auf Pakistan ausgeweitet. Das rechtlich durchsetzbare Arbeitsschutzabkommen zwischen Gewerkschaften und Modemarken wird den pakistanischen Arbeiter*innen in der Bekleidungs- und Textilindustrie wichtige neue Schutzmassnahmen eröffnen, wie sie Bangladesch seit bald zehn Jahren kennt.

April 2023

Anlässlich des 10. Jahrestages des Fabrikeinsturzes von Rana Plaza hat die Clean Clothes Campaign Schweiz einen Aufruf mit politischen Forderungen an den Bundesrat verfasst. 

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